Werkzeuge:Hilti entlässt in Russland und hilft

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Hilti verdient sein Geld nicht nur mit Bohrmaschinen und anderem Gerät, sondern auch mit Software für Baustellen. (Foto: Thomas Einberger/argum/imago)

Der Liechtensteiner Werkzeughersteller trennt sich von 300 seiner 1300 Beschäftigten in Russland, wo 700 Kunden auf Sanktionslisten stehen. Gleichzeitig startet die Firma ein Millionen-Hilfsprogramm.

Von Uwe Ritzer, Schaan

Ein zentraler Standort in Moskau, ein zweiter in Samara an der Wolga, der Rest der insgesamt 1300 Mitarbeiter ist über das ganze Land verteilt. Seit 30 Jahren macht der auf Bauwerkzeuge und Befestigungstechnik spezialisierte Hilti-Konzern in Russland Geschäfte. In fast jedem seiner Marktsegmente ist das Unternehmen mit den ikonisch knallroten Gerätschaften dort Marktführer. "Es ist eines unserer erfolgreichsten Länder", sagt Konzernchef Christoph Loos. Kein Wunder, Russland ist ein riesiges Land, in dem viel gebaut wird. Hilti werde alles tun, um den Standort langfristig nicht aufzugeben, sagt Loos. Aber wer könne momentan schon sagen, ob das realistisch sei?

Erst einmal entlässt Hilti in einem ersten Schwung 300 russische Beschäftigte. Sozialverträglich und verantwortungsvoll werde man sich von ihnen trennen, verspricht Finanz- und Personalchef Matthias Gillner. Hilti werde allen seinen russischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen, "die schwierige Zeit zu überbrücken, da wir überzeugt sind, dass nicht sie, sondern ihre menschenverachtende Regierung für das ausgelöste Elend verantwortlich ist", sagt Heinrich Fischer, Verwaltungsratspräsident des Konzerns.

Die Geschäftsbeziehungen zu 700 Kunden in dem Land, die auf diversen Sanktionslisten stehen, hat Hilti bereits gekappt. Maschinen liefert der Liechtensteiner Familienkonzern auch nicht mehr nach Russland; etwa 50 Prozent der Hilti-Produkte dürften nach den internationalen Boykottbestimmungen ohnehin nicht mehr dorthin ausgeführt werden. Nur ein kleines Restgeschäft für langjährige Kunden werde in Russland noch abgewickelt, sagt Loos. Auch aus Belarus hat sich Hilti zurückgezogen und notgedrungen auch in der Ukraine ihr Geschäft vorerst eingestellt, wo die Firma 100 Menschen beschäftigt. Um die kümmere man sich weiter, verspricht Verwaltungsratschef Fischer. Unter anderem habe man ihnen "ihr Gehalt im Voraus ausbezahlt, um sie fürs Erste mit Liquidität zu versorgen".

Wer vor dem Krieg ins benachbarte Ausland flüchtet, dem wird logistisch geholfen. Und vor Ort unterstützt der Elektrowerkzeughersteller eine Organisation, die humanitäre Nothilfe leistet. Zudem haben die Firma Hilti und die gleichnamige Stiftung mit Blick auf die Kriegsopfer einen Solidaritätsfonds zugunsten der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" eingerichtet und eine Million Schweizer Franken eingezahlt. Alle Beschäftigten hat der Bauzulieferer dazu aufgerufen, ihrerseits zu spenden; Hilti will die entsprechenden Beträge dann verdoppeln.

Hilti erwartet bis zu 100 Millionen Euro Kosten wegen des Krieges

Vorstandschef Christoph Loos rechnet damit, dass die Kriegsfolgen das Unternehmen zwischen 50 und 100 Millionen Euro kosten werden. Viel Geld, aber nichts, was Hilti erschüttert. Der Familienkonzern, der in Liechtenstein nicht nur einen Briefkasten, sondern in der Gemeinde Schaan ein veritables Hauptquartier betreibt, beschäftigt weltweit 31 000 Menschen, 1500 mehr als im Jahr zuvor. Diese erwirtschafteten 2021 einen Umsatz von umgerechnet 5,8 Milliarden Euro, gut zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Der Reingewinn stieg um 16,3 Prozent auf 821 Millionen Euro. 2021 war damit das beste Jahr in der Firmengeschichte. Hilti sei "weiterhin in sehr guter Verfassung", sagt Loos. Eine formidable Untertreibung. Auch für das laufende Jahr geht Loos, ein gebürtiger Mannheimer, der am Jahresende vom operativen Chefposten als Nachfolger Fischers in den Verwaltungsrat wechseln wird, von einem "deutlich zweistelligen Wachstum mit einer Umsatzrendite von über elf Prozent" aus.

Gleichzeitig wird kräftig investiert. Allein in seine Deutschland-Zentrale in Kaufering im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech steckt Hilti bis zu 250 Millionen Euro. An dem nach den Worten von Finanzchef Gillner "mit Abstand zweitwichtigsten Standort nach Schaan" entstehen zwei Entwicklungszentren für chemische und elektronische Produkte. Mehr als 500 Entwicklerinnen und Entwickler sollen dort unter anderem an Brandschutzthemen arbeiten.

Global betrachtet ist die Baubranche mit einem Anteil an der weltweiten Wertschöpfung von fast 14 Prozent der größte Wirtschaftszweig. Die Kunden von Hilti hätten volle Auftragsbücher, sagt Verwaltungsratschef Fischer, auch wenn mancherorts, in der Golfregion etwa, der enorme Bauboom der vergangenen Jahre merklich abflache. Der Markt dort sei gesättigt, sagt Loos, während andere Länder gewaltig zulegen. Ägypten zum Beispiel, wo etwa 100 Kilometer von der Hauptstadt Kairo entfernt "ein neues Kairo entsteht", wie es Loos formuliert. Hunderte Milliarden würden dort investiert. Obendrein plane die ägyptische Regierung in dem Land das größte Kernkraftwerk der Erde. Möglich machten dies eine ambitionierte Regierung und eine wiedergewonnene politische Stabilität in dem Land, sagt Loos.

Baustellenmanagement ist ein Geschäftsfeld der Zukunft

Große Wachstumschancen sieht Hilti für sich jedoch über das reine Geschäft mit Baustellenausrüstung hinaus. Zum Beispiel im Softwarebereich. Mit IT-Angeboten will Hilti Firmen unterstützen, das Management ihrer Baustellen und die Kommunikation der Mitarbeiter vor Ort mit Planern und Lieferanten zu verbessern. Das sei ein gewaltiges Geschäftsfeld der Zukunft, sind sie in Schaan überzeugt. Deshalb hat Hilti im vergangenen November die Firma Fieldwire aus San Francisco für knapp 300 Millionen Euro übernommen. Diese bietet nach Unternehmensangaben "eine führende Software-Plattform für das Baustellenmanagement an, die weltweit bereits auf mehr als einer Million Baustellen eingesetzt wurde". Es handele sich um eine "umfassende, einfach zu bedienende und hardwareunabhängige Software-Lösung" für die digitale Baustellenverwaltung. "Die Software wird sowohl von General- als auch von Spezialunternehmen eingesetzt, um die Produktivität auf Baustellen zu verbessern", heißt es.

Trend Nummer zwei auf den Baustellen dieser Welt sei das möglichst einfache, mobile Arbeiten. Anstatt sich mit umständlichen Kabeln herumzuplagen, Maschinen mit Benzin auftanken zu müssen oder unterschiedliche Akkus für unterschiedliche Geräte zu benötigen, hat Hilti ein System entwickelt, um vom Einhandwinkelschleifer bis zum 20 Kilogramm schweren Abbruchhammer ein und denselben mobilen Akku verwenden zu können. "Nuron" heißt die Produktpalette, bei der der Akku auch automatisch Daten zur Gerätenutzung sammelt und an eine Cloud übermittelt. Dadurch soll unter anderem das Ersatzteilmanagement automatisch gehandhabt werden. Auf einen Schlag brachte Hilti als erstes Unternehmen der Branche mehr als 60 Maschinen auf den Markt, bei denen ein Akku überall passt. Nach wie vor allerdings will Hilti nicht in das Heimwerkergeschäft einsteigen, sondern ausschließlich andere Unternehmen beliefern.

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