Twitter:Hallo Welt

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Gründer Jack Dorsey packt bei Twitter wieder selbst an. (Foto: Peter Foley/dpa)

Vor Kurzem übernahm Jack Dorsey wieder die Regie bei Twitter - jetzt wirbt er offensiv um die Gunst der Software-Entwickler.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Auf 150 Metern findet mitten in San Francisco gerade eines der unterhaltsamsten Experimente der Technologie-Branche statt: Im Dachgeschoss von Market Street Nummer 1355 sitzt Jack Dorsey, Mitgründer und gerade wiederernannter Chef von Twitter. Vormittags. Einen Block weiter, in Market Street 1455, sitzt Jack Dorsey, Gründer und Chef des Bezahldienstes Square. Nachmittags.

Die eine Firma (Square) will Dorsey an die Börse bringen, die andere (Twitter) aus der Schusslinie der Wall Street nehmen. Halbtags. In der Branche werden nun Wetten darüber abgeschlossen, ob das funktionieren kann oder ob die Welt in Zeitlupe erlebt, wie fehlgeleiteter Ehrgeiz zu einem unternehmerischen Unfall mit Totalschaden führt.

Dass sich der ambitionierte Dorsey beide Aufgaben zutraut, ist kein Geheimnis - immerhin hatte sein Vorbild Steve Jobs mit Pixar und Apple ebenfalls zeitweise zwei Firmen gleichzeitig geführt. Square gilt trotz geringer Gewinnmargen noch als vergleichsweise einfache Herausforderung: Die mit sechs Milliarden Dollar bewertete Firma hat ein intaktes Führungsteam und konzentriert sich darauf, zum Komplettservice für kleine Ladeninhaber zu werden. Dorsey wollte mit dem mobilen Kreditkartenleser ursprünglich den Handel revolutionieren; die Umsetzung der jetzigen, bodenständigeren Strategie überlasse der einst als detailverliebter Manager gefürchtete Design-Spezialist deshalb gerne seinen Managern, heißt es.

Twitter wirkt da als "erstgeborenes" von Dorseys Start-ups verlockender. Das Unternehmen steht wegen ausbleibender Profite unter Druck der Anleger und hat auch sonst mit heftigen Problemen zu kämpfen. In den vergangenen zwölf Monaten wechselte die Firma fast das komplette Management aus und erlebte einen Abzug von Talenten, der auf dem heiß umkämpften Arbeitsmarkt des Silicon Valleys nur schwer verkraftbar ist.

Dorseys Vorgänger, Dick Costolo, wurde von der Belegschaft zwar geschätzt, galt aber als zögerlicher Entscheider und unfähig, belastbare Strukturen in einer Firma zu etablieren, die innerhalb von nur drei Jahren von 350 auf 3500 Mitarbeiter gewachsen ist. Schon im Juli hatte der damals noch interimistisch als Chef agierende Dorsey den ehemaligen Komiker Costolo recht unverblümt kritisiert und die stagnierende Zahl neuer Nutzer als "nicht hinnehmbar" bezeichnet; am Mittwoch legte er nach und warb auf der hauseigenen Entwickler-Konferenz um einen "Neustart der Beziehung" mit den externen Software-Programmierern: "Twittert eure Wünsche unter dem Hashtag #helloworld. Wir hören zu!" Die Externen sollen mit neuen Diensten auf Twitter-Basis das Wachstum ankurbeln, wurden aber in der Vergangenheit häufig ausgebremst, wenn ihre Ideen zu erfolgreich wurden. Dies seien "Verwirrungen" gewesen, für sich seine Firma entschuldigen wolle, erklärte Dorsey nun.

Ob hinter solchen Äußerungen der rücksichtslose und machtbesessene Jack Dorsey aufscheint, den der US-Autor Nick Bilton in seiner Twitter-Biografie skizzierte, ist nicht gesagt. Jene, die an ihn glauben, sprechen von einem Reifungsprozess des Multimilliardärs, der jüngst 20 Prozent seiner Square-Anteile in eine Stiftung zur Unterstützung Benachteiligter überführte.

Vergangene Woche entließ Dorsey - quasi als erste Amtshandlung nach seiner endgültigen Inthronisierung Anfang Oktober - 336 Twitter-Mitarbeiter. Zuvor hatte die Firma mit "Moments" eine Art Höhepunkte-Funktion eingeführt, die den Dienst auch für Nutzer zugänglicher machen soll, die das 140-Zeichen-Prinzip nicht verstanden haben. Der Mann von der Market Street nimmt seinen Job als Halbtags-Retter offensichtlich ernst: Er hat keine Zeit zu verlieren.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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