TV-Talkrunde:75 Sekunden fehlen

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Es ging am Sonntag um "Chancen und Risiken der Fußball-WM" beim Talk von Sabine Christiansen. Die Sendung war aufgezeichnet worden - und der NDR schnitt eine brisante Szene heraus.

Bernd Dörries und Hans Leyendecker

Weil nur ein Teil der Gäste am Wochenende Zeit hatte, war die Sendung ausnahmsweise schon am 31. Mai, aufgezeichnet worden. Und weil der zuständige Sender, der Norddeutsche Rundfunk, Angst vor juristischen Risiken hatte, kam er um die Chance, eine Affären-Geschichte voranzutreiben. Hinter den Kulissen kam es zu heftigen Scharmützeln. In Mails der Betroffenen ist davon die Rede, dass "Wahrheiten" unterdrückt werden.

Vor der Aufzeichnung hatte Utz Claassen, Vorstandschef des Energieunternehmens EnBW, die Gastgeberin zur Seite genommen. Er wolle in der Sendung auch auf einen "Polit- und Justizskandal" in Baden-Württemberg eingehen. Die Fernsehjournalistin ließ sich im Groben von Claassen, der zum dritten Mal in ihrer Sendung zu Gast war, die Geschichte erzählen, und sie wirkte zufrieden.

Beschwerden von EnBW

Aber der NDR ließ die kritische Passage, sie dauerte 75 Sekunden, herausschneiden. "Journalistischer Ehrgeiz und Sachkunde" hätten ausgereicht, protestierte ein EnBW-Manager, "um das Stück ungeschnitten laufen zu lassen."

Claassen, betonte NDR-Sprecher Martin Gartzke, habe "Behauptungen über ein Mitglied der baden-württembergischen Landesregierung" aufgestellt, "deren Wahrheitsgehalt Sabine Christiansen während der Aufzeichnung nicht überprüfen konnte und der sich auch bis zur Ausstrahlung der Sendung nicht abschließend hat klären lassen".

Der umstrittene Sachverhalt klingt zwar zunächst etwas kompliziert, ist aber im Kern ziemlich einfach. Weil Fußball-WM-Sponsor Claassen Ende vergangenen Jahres einigen Persönlichkeiten im Ländle, darunter FDP-Wirtschaftsminister Ernst Pfister, Gutscheine für je zwei WM-Tickets gegeben hatte und die sich für die kostenlosen Karten bedankten, leitete die Staatsanwaltschaft gegen Claassen und die vorgeblich Begünstigten, darunter Pfister, umstrittene Ermittlungsverfahren ein.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble jedenfalls, der auch bei Christiansen zu Gast war, sprach früh davon, dass mit "Kanonen auf Spatzen" geschossen werde. Schäubles Kritik hatte im Mai bereits Pfisters Parteifreund, der baden-württembergische Justizminister und Dienstherr der Staatsanwälte, Ulrich Goll, schroff zurückgewiesen.

Der Freidemokrat betonte, dass Schäuble selbst im Bundestag an einer Verschärfung der Anti-Korruptions-Gesetze mitgewirkt habe. In den Medien erschien Goll als Saubermann. Auch er hatte, das wurde rasch bekannt, von Claassen Gutscheine bekommen, diese aber abgelehnt.

Anfrage vom Minister

Von einem anderen Goll wollte Claassen bei Christiansen berichten: Sein Konzern sei im Dezember vergangenen Jahres gebeten worden, Tickets für den Fußball-Fan Goll zu besorgen. "Darf er eingeladen werden?" hatte eine EnBW-Mitarbeiterin Claassen schriftlich gefragt. Im letzten Augenblick hatte der Minister dann die Karten für das Spiel VfB Stuttgart gegen Schalke 04 von DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder bekommen. Wer bei EnBW für Goll angefragt hatte, lasse sich nicht mehr klären.

Der Minister müsse davon nicht informiert worden sein, aber es sei "rechtlich ja völlig unbedeutsam, ob jemand von EnBW oder vom VfB Stuttgart eingeladen" werde. "Zwei bis drei Heimspiele" des VfB besuchte Goll nach Aussage seines Sprechers im Jahr. Es gebe ein "grundsätzliches Angebot des VfB an die Mitglieder der Regierung, bei Heimspielen des VfB dabei zu sein. Dazu muss man sich beim VfB melden. Wenn es Karten für die Ehrenloge gibt, gibt es welche. Wenn nicht, dann nicht".

Oder wenn nicht, dann gibt irgendwie EnBW? Auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Konzern und Verein, der als GmbH firmiert und die Landesregierung braucht, antwortet Golls Sprecher noch: "Mit Hinweis auf ein laufendes Verfahren geben wir dazu keine Auskunft."

© SZ vom 6.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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