Trabantenstadt Toyota-City:Nichts ist mehr möglich

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Keine andere Region in Japan wird von der Wirtschaftskrise so heimgesucht wie die Heimat des weltgrößten Autokonzerns - ein Besuch in Toyota-Stadt.

Christoph Neidhart

Betritt man den Amigos-Laden, ist Japan auf einmal verschwunden. Im Hintergrund läuft brasilianische Musik, der Besitzer Emerson Tamamori spricht mit seinen Kunden Portugiesisch, und bei ihm gibt es neben Brot, Telefonkarten und Deos auch Kaffee, Würste oder Tomatenpüree aus Brasilien.

Willkommens-Schild in Toyota-City: Die Geschäfte beim Autokonzern laufen schlecht - viele Zeitarbeiter haben ihren Job verloren. (Foto: Foto: AP)

Tamamoris Laden ist eine südamerikanische Insel in der japanischen Provinz. Er liegt in Homidanchi, einer Trabantensiedlung von Toyota-Stadt. Und auch wenn die Geschäfte sehr schlecht laufen, der Umsatz um die Hälfte eingebrochen ist und er im Gegensatz zu früher selbst noch sonntags arbeiten muss, der 25-Jährige hat Glück gehabt: Wäre er in der Autofabrik geblieben, anstatt den Laden 2005 mit einer Kollegin zu übernehmen, dann hätte er heute wohl keine Arbeit mehr. Tamamori ist einer von fast 8000 Brasilianern in Toyota-Stadt, die Hälfte von ihnen hat allein in den vergangenen drei Monaten ihren Job verloren.

Der Amigos-Laden ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie massiv die Weltwirtschaftskrise Toyota-Stadt getroffen hat. Bis vor kurzem galt sie als die reichste Stadt Japans, nun ist sie plötzlich die mit der höchsten Arbeitslosenquote des Landes. Im vergangenen Jahr noch hat der Autokonzern Toyota, der hier beheimatet ist, ein Viertel aller Steuern bezahlt, in diesem Jahr zahlt er nichts, erwartet er doch einen Verlust von vier Milliarden Euro. Der Stadt werden deshalb am Jahresende 750 Millionen Euro Unternehmenssteuer fehlen.

Der "Toyota-Schock"

Doch damit nicht genug: Weil Toyota nach dem Just-in-time-Prinzip produziert, also möglichst keine Lagerbestände aufbauen will, brechen auch den Autozulieferern die Aufträge weg. Angesichts der Monokultur in Toyota-Stadt bedeutet dies, dass die gesamte Wirtschaft stockt. Von den insgesamt 423.000 Einwohnern arbeitet ein Viertel in Fabriken, davon sind 88.000 in der Autoindustrie und davon wiederum 26.000 direkt bei Toyota. In den vergangenen Monaten wurden Tausende Zeitarbeiter entlassen und Festangestellte auf Kurzarbeit gesetzt.

In der Präfektur Aichi, wo die Stadt liegt, spricht man deshalb nur noch vom "Toyota-Schock". Er zieht auch andere große Städte wie das nahegelegene Nagoya in Mitleidenschaft, weil dort Zulieferer angesiedelt sind, die nun keine Aufträge mehr bekommen.

Toyota-Stadt hieß bis vor einem halben Jahrhundert Komoro und war nicht mehr als ein Bauerndorf. Doch mit der Ansiedlung des Autokonzerns wuchs der Ort. Vor 50 Jahren nahm er dann nach einer umstrittenen Volksabstimmung den Namen seines besten Steuerzahlers an. Seither ist in Toyota-Stadt alles Toyota, so dass man oft nicht weiß, ob jetzt der Ort oder der Autokonzern gemeint ist. Es gibt die Toyota-Bibliothek, die Toyota-Philharmonie, das Toyota-Theater und das Toyota-Fußballstadion. Die meisten Einrichtungen werden von der Stadt und dem Konzern gemeinsam finanziert.

Mit der Umbenennung gelang es dem Autokonzern, alle Einwohner zu Werbeträgern zu machen, denn jedes Mal, wenn sie gefragt werden, woher sie kommen, fällt der Name Toyota. Aber auch die Stadt, so wurde damals bei der Volksabstimmung für die Umbenennung geworben, profitiere davon: Wenn Komoro den Autonamen annehme, werde die Firma ihren Sitz nicht abziehen.

Im zweiten Teil: Toyota Stadt - eine grüne Siedlung, die nahezu vollständig auf einen öffentlichen Nahverkehr verzichtet.

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Heute stellt sich Toyota-Stadt als grüner, offener und internationaler Ort dar. Mit vier Prozent hat sie einen größeren Ausländeranteil als jede andere Stadt in Japan. Trotz der sieben Autowerke und mehr als 400 Zulieferbetriebe sind die Luft und das Wasser sauber, die Fabriken arbeiten mit geschlossenen Brauchwasserkreisläufen, und der Yahagi-Fluss kann bis heute natürliche Auen bilden. Gemächlich, fast lautlos fahren die Autos durch die Hügellandschaft mit Reisfeldern, Gemüseplantagen, Bambuswäldchen, vorbei an Wohnhäusern und Autowerken. Ein Verkehrsleitsystem informiert über Parkplätze und geringfügige Staus.

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Aber das Grün zwischen den Wohnblöcken und Werken verschwindet allmählich. Vor zehn Jahren fuhr man noch durch offene Felder zum Toyota-Hauptsitz, heute passiert man vier Autohäuser. Überall sind nun Tankstellen, Video-Verleihe und Schnellrestaurants zu sehen. Das großzügige Kulturangebot dagegen wird kaum wahrgenommen, das Toyota-Kunstmuseum besuchen am ehesten Auswärtige. Der frühere Kurator klagte einmal, man kenne ihn in London besser als in Toyota-Stadt. Im Theater wird kaum Theater gespielt, weil niemand kommt. Die Leute gehen lieber in die Spielautomatenhallen, oder sie sitzen zu Hause vor Großbildfernsehern.

Gute Parkplätze - nur für Toyota-Fahrer

Wer es sich leisten kann, wohnt nicht in der als provinziell verrufenen Toyota-Stadt, sondern im nahegelegenen Nagoya. Seit Anfang April tragen die Angestellten der Stadtverwaltung im Rathaus einen Aufkleber auf dem Namensschild, "freiwillig", wie es heißt, darauf steht: "Ich liebe Toyota." Damit ist die Stadt gemeint, nicht der Autokonzern, das erkennt man am Schriftzug. Eine Sachbearbeiterin im Rathaus bittet, nicht mit Namen zitiert zu werden, dann sagt sie: "Ich liebe Toyota nicht, ich fahre auch keinen Toyota, niemals."

Als sich der Milliardenverlust für den Autokonzern abzeichnete, sollten sich die leitenden Angestellten der Firma ähnlich freiwillig einen neuen Toyota kaufen. Wie viele Autos so abgesetzt wurden, weiß die Pressestelle von Toyota nicht. Ihr ist auch nicht bekannt, dass Angestellte, die andere Automarken fahren, auf dem Firmengelände nur abgelegene Parkplätze bekommen. Das aber wird von vielen Einwohnern kolportiert.

Ein richtiges Zentrum findet man in Toyota-Stadt auch heute noch nicht, nur eine hochgelegte Fußgängerzone, unter der sich eine Straße befindet. Hier gibt es Coffeeshops, teure Warenhäuser und schicke Restaurants. Diese sind abends voll, trotz der Krise, die Japan jetzt noch stärker zu einer Zweiklassengesellschaft gemacht hat. Die Festangestellten können immer noch damit rechnen, ihren Job das ganze Arbeitsleben zu behalten, die Zeitarbeiter aber, zu denen die Mehrheit der Ausländer in Toyota-Stadt gehört, können ihre Jobs alle halbe Jahre verlieren. Es sind vor allem Südamerikaner und Chinesen, sie können bei ihren niedrigen Löhnen kaum sparen und erhalten bestenfalls drei Monate Arbeitslosengeld.

Auf Autos ausgerichtet

Wie die Gäste in den schicken Restaurants macht auch die Stadt vorerst weiter wie bisher. Trotz des Einbruchs. Sie stützt sich auf die finanziellen Rücklagen und hofft, dass der Autokonzern in einem Jahr wieder Steuern zahlt.

So grün sich die Stadt auch gibt, sie ist fast vollständig auf Autos ausgerichtet. Parkhäuser und Parkplätze dominieren das Stadtbild. Bis vor kurzem gab es kein öffentliches Nahverkehrsnetz. Der Autokonzern, der mit mehreren Abgeordneten im Stadtparlament vertreten ist, habe kein Interesse daran gehabt, heißt es. So sind die Einwohner gezwungen, ein Fahrzeug zu haben, auch die, die sich das kaum leisten können - wie die Brasilianer von Homidanchi. Das spürt nun auch der Ladenbesitzer Emerson Tamamori. Weil sich in der Krise seine Kunden immer weniger leisten können, fahren sie jetzt lieber in die Supermärkte, die die Waren billiger anbieten können als er.

In den vergangenen Jahren hat die Stadt zumindest ein Busnetz aufgebaut, und neuerdings gibt es auch Radwege. Die Busse fahren mit Hybridantrieb, einige sogar mit Brennstoffzellen, also mit Wasserstoff. Ein Banner an einer Straßenbrücke fordert die Leute zur "CO2-Diät" auf. Auch das ist neu.

Im dritten Teil: Die Probleme der Japaner mit brasilianischen Arbeitern - und wie die Regierung gegen die wachsende Arbeitslosigkeit vorgeht.

Toyota-Stadt war bis zur Krise rasant gewachsen - so wie der Konzern und seine Zulieferer auch. Im März vergangenen Jahres beschäftigte der Autobauer 9200 Zeitarbeiter. Jetzt lässt er die Verträge auslaufen, um die Anzahl um zwei Drittel zu reduzieren. Noch größer ist der Anteil an Zeitarbeitern bei den Zulieferfirmen. "Wir dachten, alle diese Autos seien verkauft worden", sagt Sankichi Furuhashi, der ein Büro für die Integration der Zuwanderer leitet, über den Boom, den Toyota in den vergangenen Jahren erlebte.

Mit dem Hybridfahrzeug Prius hat sich Toyota zwar ein grünes Image geschaffen, in den USA aber verkaufte es aggressiv benzinfressende Geländefahrzeuge, von denen viele bis heute nicht bezahlt sind. Trotz der Misere der Zeitarbeiter hört Furuhashi aber kaum Kritik an Toyota. "Die Leute fragen eher, wie können wir Toyota helfen? Sie wissen ja, wie viel sie Toyota verdanken."

Keine Lust auf französisches Brot

Für den Boom heuerten Vermittlungsfirmen seit den neunziger Jahren auch Arbeiter in Brasilien und Peru an. Man stampfte Wohnheime und die Satellitenstadt Homidanchi aus dem Boden, um die vielen Ausländer unterzubringen. Einer dieser Zuwanderer war auch der Ladenbesitzer mit dem japanischen Nachnamen, Emerson Tamamori. Seine Großeltern waren von Japan nach São Paolo ausgewandert. In Brasilien nannte man ihn den Japaner, hier in Japan ist er der Brasilianer.

Die Vermittlungsfirmen rekrutierten in Südamerika gezielt Leute der japanisch-stämmigen Minderheit. Diese würden sich, glaubte man, in Japan leichter integrieren. Dennoch kam und kommt es in der Trabantensiedlung Homidanchi zu Konflikten. Die Brasilianer sortierten ihren Müll nicht, schimpfen japanische Einwohner, sie parkten ihre Autos falsch, und sie seien zu laut. "Und wenn man etwas sagt", schimpft ein Rentner, der auf einer Bank hinter Emerson Tamamoris Laden liest, "dann verstehen sie einen einfach nicht." In Umfragen sagte die Hälfte der Japaner von Toyota-Stadt, die Ausländer machten das Leben unsicherer und unangenehmer. Aber ist es nicht besser geworden? Homidanchi scheint so sauber zu sein wie Siedlungen, in denen nur Japaner leben. "Weil die Müllsammelstellen vergittert wurden", sagt der Rentner, "und weil die Brasilianer jetzt weniger Geld haben."

Emerson Tamamori kennt die Vorbehalte. Und da er an diesem Tag nur sehr wenige Kunden hat, zeigt er auf einen Korb mit "französischem Brot". "Die Japaner essen das nicht", sagt er. "Die Brasilianer können nicht ohne." Aber Japaner tauchen in seinem Laden ohnehin kaum auf, obwohl von den 12.000 Einwohnern der 42 Wohnblocks von Homidanchi fast die Hälfte Japaner sind und es keinen japanischen Laden gibt, nur noch einen brasilianischen Supermarkt.

"Hello Work"

In den vergangenen Monaten seien 2000 Brasilianer weggezogen, sagt der Ladenbesitzer. Die Mehrheit von ihnen nicht, um nach Brasilien zurückzukehren, dort fänden sie auch keine Arbeit, sondern in Wohnheime. Viele Männer schickten aber ihre Familien zurück, oft unter dem Protest der Kinder, die hier geboren seien. Die brasilianische Privatschule in Homidanchi hat zwei Drittel ihrer Schüler verloren, die Eltern können sich das Schulgeld nicht mehr leisten. Jetzt behalten manche die Kinder zu Hause, anstatt sie in eine öffentliche japanische Schule zu schicken.

Tamamori macht sich natürlich große Sorgen, dass die Krise noch lange dauern könnte und dass er dann mit seinem Laden nicht mehr über die Runden kommt. Aber wäre er in der Autofabrik geblieben, würde er wohl jetzt schon bei "Hello Work" stehen. So heißt das Arbeitsamt in Japan. Es vermittelt nicht nur Jobs, sondern auch Unterkünfte an Zeitarbeiter, die aus firmeneigenen Wohnungen ausziehen müssen. An Computerterminals können Arbeitslose die wenigen Stellenangebote studieren. Da es so wenige Jobs gibt, hat die Regierung angekündigt, rückkehrwilligen Südamerikanern die Reise zu bezahlen. "Wir haben davon gehört", sagt Masami Kawajiri, der stellvertretende Direktor von "Hello Work", "aber geschehen ist noch nichts."

Der Ladenbesitzer Tamamori findet es zwar gerecht, dass die Regierung den Menschen bei der Rückreise helfe, aber wer das Geld annehme, darf drei Jahre nicht nach Japan zurückkommen. Deshalb glaubt er nicht, dass viele nach Südamerika zurückgehen werden. Er zumindest bleibt hier.

© SZ vom 08.06.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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