Tod des Nobelpreisträgers Ronald Coase:Ein Ökonom im Maschinenraum

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Nobelpreisträger Ronald H. Coase ist im Alter von 102 Jahren gestorben. (Foto: dpa)

Ronald Coase ging dorthin, wo Ökonomen selten sind: ins wirkliche Leben. Er wollte wissen, wie Wirtschaft funktioniert. Jetzt ist der Nobelpreisträger im Alter von 102 Jahren gestorben. Seine Gedanken wirken auch nach seinem Tod.

Von Alexander Mühlauer

Amerika ist am Boden, als ein junger Mann aus England im Jahr 1931 an der Westküste landet. Es ist die Zeit der Großen Depression und die Vereinigten Staaten sind ein Land voller Schlaglöcher. Der junge Mann will für gut zwei Jahre bleiben, solange das Geld seines Stipendiums reicht. Seine Name ist Ronald Harry Coase, er ist 20 Jahre alt. Und er ist gekommen, um zu lernen.

In seiner Heimat hat er sich gut vorbereitet. Er studiert in London. Zuerst Chemie, aber das sind ihm zu viele Formeln, zu viele Zahlen und Buchstaben. Also versucht er es mit Wirtschaft. Jetzt könnte man sagen: Keine gute Idee, auch an der London School of Economics gibt es genug mathematischen Kram. Aber wie gesagt, Coase interessiert sich nicht so sehr für Zahlen; er interessiert sich, nun ja, für das wahre Leben. Und genau deshalb ist er in die Vereinigten Staaten gereist. Er ist gekommen, um zu sehen, was die Welt der Ökonomie zusammenhält. Coase will wissen, wie das funktioniert, was man Wirtschaft nennt. Er will wissen, warum es eigentlich Unternehmen gibt.

Und so fährt er dorthin, wo die großen Firmen zu Hause sind. Er schaut sich die Fabriken an, wie es dampft, kracht, zischt. Er beobachtet, er spricht mit den Leuten, er notiert seine Gedanken. Ganz so wie ein Reporter. Coase ist vor Ort.

Was er sieht, macht ihn nachdenklich. Der Zeitschrift Forbes sagte er einmal: "Die Firma existierte zwar dem Namen nach in der ökonomischen Theorie, aber sie wurde nicht beschrieben. Die Studenten müssen noch immer Dinge lernen, die zwar in den Köpfen der Nationalökonomen existieren, nicht aber im wirklichen Leben."

Sein privates Glück findet er schneller als das berufliche

In Wirklichkeit sieht es nämlich so aus: Im Amerika der Dreißigerjahre wird viel über die Frage diskutiert, wie Preise entstehen, Unternehmen werden als naturgegeben hingenommen. Die russische Revolution ist damals gerade 14 Jahre alt. Lenin will die ganze Wirtschaft wie eine einzige große Fabrik führen. Die Nationalökonomen des Westens behaupten, das sei unmöglich; andererseits gibt es riesige Firmen in der westlichen Welt, die gut dastehen.

Das sind so die Gedanken, die sich Ronald Coase im Jahr 1931 macht. "In einem gut funktionierenden Wirtschaftssystem konnte es nicht nur Märkte geben, sondern auch planende Organisationen entsprechender Größe, also Firmen", schließt Coase aus seinen Beobachtungen. Alles, was für eine Volkswirtschaft wichtig ist, Wettbewerb, Transaktionen und Planung, findet in einzelnen Unternehmen statt. Und diese können nur überleben, wenn sie besser sind als andere und ihre Kosten niedriger halten als die Konkurrenten.

Aber was sind das bitte für Kosten? Coase erklärt seine Theorie an einem Beispiel. Will etwa ein Fabrikant für jede Büroarbeit in seiner Firma eine geeignete Hilfskraft auf dem Markt suchen, kostet ihn das Geld und Zeit, bevor die Sekretärin auch nur eine Zeile getippt hat. Es entstehen also Kosten für Preisvergleiche, Verhandlungen und Verträge. Je länger und je öfter solche Transaktionen wiederkehren, umso günstiger ist es, Partnerschaften zu bilden. Und genau das macht eine Firma, indem sie Mitarbeiter fest anstellt. Reibungsverluste, für die Coase später den Begriff der "Kosten-von-Markt-Transaktionen" einführt, lassen sich durch die interne Abwicklung von Aufträgen vermeiden. Die Hierarchie der Firma tritt an die Stelle des Marktes.

Das alles hält Coase 1937 in seinem Aufsatz "The Nature of the Firm" fest. Im selben Jahr heiratet er. Sein privates Glück findet er schneller als das berufliche. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, als Sohn eines Postbeamten im Nordwesten Londons, ist er der erste in seiner Familie, der studieren darf. Nach dem Abschluss lehrt er in England. 1951 geht er in die USA zurück, zuerst an die Universität von Buffalo, dann nach Virginia. 1964 erhält er einen Ruf als Professor für Volkswirtschaft an die Law School der Universität von Chicago. Doch jahrzehntelang bleiben seine Erkenntnisse weitgehend unbeachtet.

Das ändert sich erst 1991, Coase ist bereits 80 Jahre alt, als er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhält. Er wird für seine Theorie der Firma und eine weitere, die Ökonomie prägende, Erkenntnis ausgezeichnet: das Coase-Theorem. In der Begründung der Schwedischen Akademie der Wissenschaften heißt es, Coase habe die wirtschaftliche Mikrotheorie radikal erweitert. Es sei ihm gelungen, Prinzipien aufzustellen, die die institutionelle Struktur der Wirtschaft erklärten. Damit habe er wesentlich zum Verständnis der Funktionsweise der Wirtschaft beigetragen.

Das nach ihm benannte Theorem beschreibt der Ökonom bereits im Jahr 1960 im Journal of Law and Economics unter der Überschrift "The Problem of Social Cost". Das Essay beschäftigt sich mit den sogenannten externen Effekten wie etwa die Luftverschmutzung durch eine Fabrik. Menschen, die in der Nähe wohnen, leiden naturgemäß darunter. Für Fälle wie diesen hatte der Ökonom Cecil Pigou bereits 1920 eine Lösung gefunden: eine Umweltsteuer, die eine Fabrik zwingt, einen Filter einzubauen, die Produktion herunterzufahren oder die Firma gleich ganz zu schließen. Der Pigou-Steuer liegt also das Verursacherprinzip zugrunde. Und genau dieses kritisiert Coase. Damals ist das eine Unerhörtheit, rüttelt er doch damit am Rechtsempfinden der Gesellschaft.

Statt den Verschmutzer zur Rechenschaft zu ziehen, will Coase den Nutzen der Volkswirtschaft maximieren. Eine Steuer, so der Ökonom, bewirke da nur eine geminderte Wirtschaftsleistung und berge soziale Kosten, vor allem dann, wenn Arbeitsplätze abgebaut würden.

Coases Theorie ist Grundlage für den EU-Zertifikatehandel

Er schlägt deshalb etwas anderes vor: Die Beteiligten sollten besser verhandeln und nicht gleich den Staat zum Eingreifen auffordern. Man muss die Fabrik nicht zwingen, dass sie weniger Emissionen produziert, auch die Anwohner könnten die Kosten der Filteranlage mittragen. Denn so wie der Fabrikant ein Interesse daran hat, zu produzieren und Gewinn zu machen, so haben die Nachbarn ein Interesse an sicheren Arbeitsplätzen und an einer sauberen Umwelt - sie wollen frische Luft und ihre Ruhe. Dem Coase-Theorem zufolge ist es dabei egal, wie die Eigentumsrechte an Umweltgütern verteilt sind.

Ein Problem dabei sind vor allem die hohen Transaktionskosten. Die Beteiligten müssen Vertragspartner ausfindig machen, Rechtsanwälte einschalten, sie brauchen womöglich Dolmetscher und Techniker. Um die Kosten niedrig zu halten, rät Coase, bei Verhandlungen notfalls eine dritte Partei, also jemanden wie Heiner Geißler, als Vermittler hinzuzuziehen.

Coases Theorie ist die Grundlage für den Handel mit Verschmutzungsrechten, etwa den EU-Zertifikatehandel. Und in der Rechtswissenschaft prägt Coase noch immer das Forschungsgebiet "Law and Economics". Eine seiner Thesen: Es ist nicht optimal, alle Verbrecher einzusperren, weil dies für die Steuerzahler viel zu teuer sei. Der Aufwand wäre viel größer als der Nutzen für die Gesellschaft.

Ronald Harry Coases Gedanken wirken auch nach seinem Tod. Geboren am 29. Dezember 1910, ist er nun im Alter von 102 Jahren am 2. September 2013 gestorben. Das teilte die Universität von Chicago am Dienstag mit.

© SZ vom 04.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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