Nach wochenlangem Hickhack ist noch immer nicht klar, ob die chinesische Tanzvideo-App Tiktok in den USA eine Zukunft hat. Doch unabhängig davon, wie die Verhandlungen nun ausgehen, lässt das Geschacher schon jetzt einen tiefen Blick in die Seele des Unternehmers und Staatsmanns Donald Trump zu. Ja, mehr noch, es ist geradezu ein Musterbeispiel für jenen misstönenden Dreiklang, den der US-Präsident für Politik hält: Erpressung, halbgarer Kompromiss, Siegesmeldung. So hat er schon seine Firmen regiert, so regiert er jetzt einen Staat.
Ausgangspunkt Trump'scher Verhandlungstaktik ist immer die eigene Stärke im Verhältnis zur relativen Schwäche des anderen. Die USA sind derzeit die einzige politische Weltmacht, doch der Präsident nutzt diesen Umstand nicht etwa zur Moderation, sondern dazu, anderen seinen Willen aufzuzwingen. Das ist ein Politikverständnis, mit dem sich einst Königreiche führen und später noch Schulhofprügeleien gewinnen ließen. Einer bedeutenden Demokratie jedoch ist es unwürdig.
Im Fall Tiktok hat Trump bekanntlich mit einem Verbot gedroht, falls der chinesische Besitzer Bytedance die App nicht an eine US-Firma verkauft. Begründung: Tiktok gebe Daten amerikanischer Nutzer an die Regierung in Peking weiter und bedrohe damit die Sicherheit der Vereinigten Staaten. Falls alle mitmachen, soll nun das außerchinesische Tiktok-Geschäft unter Beteiligung der Konzerne Oracle und Walmart in eine US-geführte Firma mit Sitz in Texas umgewandelt werden.
Ein klarer Fall von Nötigung, denn Bytedance bleibt nur die Wahl zwischen zwei Übeln. Dabei ist strittig, ob Trump mit den Spionagevorwürfen überhaupt recht hat. Fakt dagegen ist: Um Datenschutz geht es ihm sicher nicht, denn er hat in vier Jahren nichts, aber auch gar nichts unternommen, um die Amerikaner vor der Datenausbeutung etwa durch heimische Tech-Konzerne zu schützen. Und auch die Sache mit der nationalen Sicherheit riecht: Warum sollen die Daten der Tiktok-Nutzer bei Oracle sicherer sein als bei Google, wo schon bisher ein Teil gespeichert war?
Wahrscheinlicher ist, dass sich Trump einen seiner "Deals" hat basteln lassen - jenen typischen Mischmasch aus Plan- und Vetternwirtschaft unter Missachtung vieler Regeln. So fällt etwa auf, dass Microsoft, dessen Gründer Bill Gates der Präsident verachtet, entgegen ersten Erklärungen nicht zu den neuen Tiktok-Eigentümern gehören wird. Die Trump-Spender Oracle und Walmart dagegen sind dabei und verbessern so zugleich ihre Wettbewerbsposition gegenüber dem Amazon-Konzern von Chef Jeff Bezos - für Trump die größte Hassfigur der US-Wirtschaft.
Das alles kann natürlich Resultat unternehmerischer Überlegungen sein - wahrscheinlich aber ist das nicht. Es ist vielmehr ein altbekanntes Muster Trump'scher Politik, Claqueure und Hofschranzen finanziell zu belohnen und Kritiker zu bestrafen. Der Mann, der einst auszog, den Polit-"Sumpf" in Washington trockenzulegen, hat lediglich den einen Morast durch einen anderen ersetzt.
Dass Trump zum "Deal" bereit ist, obwohl er viel mehr gefordert hatte, zeigt, dass es ihm nie um die Sache ging. Ziel war eher die Konstruktion eines wahlkampftauglichen Themas, das es ihm erlaubt, sich in der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Führung in Peking als harter Hund zu inszenieren: Seht her, ich habe dem Betreiber einer gefährlichen chinesischen App das Handwerk gelegt und zugleich Jobs, Steuermilliarden und technisches Know-how in die USA geholt.
Was dagegen in der Washingtoner Debatte erstaunlicherweise fast gar keine Rolle spielt, ist die Frage, ob ein solch erzwungener Verkauf überhaupt verfassungsgemäß ist. Denn man könnte ja schließlich argumentieren: Gefährdet Tiktok nachweislich die nationale Sicherheit, dann muss die App ohne Wenn und Aber verboten werden. Tut sie es aber nicht, ist auch ein Zwangsverkauf unzulässig. Und was ist eigentlich, wenn Peking morgen damit beginnt, zurückzuschlagen und US-Konzerne wie Apple oder GM unter fadenscheinigen Vorwänden zum Verkauf ihrer chinesischen Geschäfte zu zwingen?
Doch so weit denkt ein Präsident nicht, der sich immer nur von einem schnellen Scheinerfolg zum nächsten hangelt. Woran er sich dagegen sehr wohl erinnern dürfte, ist jene Riesenblamage, die ihm Tiktok-Nutzer bescherten, als sie sich im Juni zu Zehntausenden zu einer seiner Wahlkampfveranstaltungen anmeldeten, nur um anschließend geschlossen daheimzubleiben. Beleidigt sein als Motiv und als politische Antriebsfeder - so wird aus dem dissonanten Trump'schen Drei- oft genug ein noch schieferer Vierklang.