Thyssenkrupp:Jetzt muss der Aufsichtsrat ran

Lesezeit: 3 min

Nach nur einem Jahr muss der Vorstandschef des Krisenkonzerns Thyssenkrupp wieder gehen. Die Führung übernimmt eine Frau: die bisherige Chefaufseherin Martina Merz. Eine überraschende Rochade.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Es sind unstete Zeiten in Essen: Wenn Thyssenkrupp im November zur Bilanzvorlage lädt, dann wird das zweite Jahr in Folge eine andere Person durch die Zahlen führen. Und es wird erstmals eine Frau sein, die an der Spitze des einst so stolzen und männerdominierten Stahlkonzerns steht: Martina Merz, 56, leitet erst seit Februar den Aufsichtsrat von Thyssenkrupp. Doch nun greift die Ingenieurin aus Schwaben zu einem hierzulande ungewohnten Mittel: Der Aufsichtsrat will sie vorübergehend an die Vorstandsspitze entsenden; der glücklose Konzernchef Guido Kerkhoff muss nach nur gut einem Jahr an der Spitze gehen. Das gab Thyssenkrupp am späten Dienstagabend bekannt.

Die Neue und der Alte: Martina Merz soll Guido Kerkhoff an der Spitze von Thyssenkrupp ablösen. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Der Ruhrkonzern schlingert schon seit Jahren, weiß nicht so recht, was er mit seinen vielen Geschäften vom Stahlwerk bis zum U-Boot-Bau anfangen soll, und steht damit sinnbildlich für die Sinnkrise vieler Industriekonglomerate weltweit. Milliardenschulden aus einer gescheiterten Expansion nach Amerika lasten auf Thyssenkrupp. Der Versuch, die krisenanfälligen Stahlwerke in ein Gemeinschaftsunternehmen auszulagern, scheiterte im Mai an Wettbewerbsbedenken in Brüssel. Auch den kühnen Plan, Thyssenkrupp in zwei Firmen aufzuspalten, musste Kerkhoff aus Kostengründen zurücknehmen. Ratingagenturen haben die Kreditwürdigkeit herabgestuft, seit dieser Woche ist Thyssenkrupp nicht mehr im führenden Aktienindex Dax vertreten.

Die Lage ist also ernst für den Konzern und seine 160 000 Beschäftigten - und nun verlieren große Aktionäre die Geduld. Kerkhoff habe das Vertrauen der Investoren verloren, heißt es von mehreren Seiten. Aufsichtsräte seien spätestens seit ihrer jüngsten Sitzung enttäuscht, wie langsam der 51-Jährige vorankomme. Denn man hatte sich ja etwas vorgenommen in Essen: Man wollte raus aus den Schulden und wieder beherzt investieren können.

"Philosophiefrage" in Essen: Tafelsilber komplett verkaufen oder nicht?

Notgedrungen kündigte der Konzern im Mai an, dass er seine Aufzugssparte teilweise an die Börse bringen wolle. Es ist zwar ein Zukunftsgeschäft, das mit den höchsten und stabilsten Gewinnen, doch Thyssenkrupp braucht das Geld. Im August korrigierte der Konzern dann, dass er alternativ auch einen Komplettverkauf prüfe. Prompt meldete Kerkhoff ein "großes Interesse" von Finanzinvestoren und Konkurrenten; der finnische Aufzugshersteller Kone warb gar öffentlich für eine Fusion. Bald kursierten Schätzungen, wonach die Thyssenkrupp-Sparte locker 15 Milliarden Euro wert sein könnte. Beteiligte diskutieren bereits, ob der Konzern seinen Aktionären nach dem Verkauf eine Sonderdividende ausschütten sollte.

Hochofen in Duisburg: Mit 28 000 Beschäftigten sind die Stahlwerke von Thyssenkrupp einer der wichtigsten Arbeitgeber im Ruhrgebiet. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass Kerkhoff zumindest teilweise am Aufzugsgeschäft beteiligt bleiben wollte. Die Restfirma um Stahl, Autoteile und Anlagen sollte noch ein wenig von dessen Gewinnen profitieren, so die Logik. Von einer "Philosophiefrage" ist in Essen die Rede: Sollte der Konzern sein sprichwörtliches Tafelsilber auf einen Schlag verkaufen oder nicht?

Zudem soll der Fortschritt an anderer Stelle die Aufsichtsräte enttäuscht haben. So hatte Kerkhoff angekündigt, dass der Konzern all seine Geschäfte verbessern wolle und insgesamt effizienter werden wolle. Bis zu 6000 Stellen will Thyssenkrupp abbauen, hieß es im Mai, davon 4000 in Deutschland.

Aktionäre und Arbeitnehmervertreter hoffen nun auf schnelleren Konzernumbau

Diese Aufgaben liegen nun vor Noch-Aufsichtsratschefin Merz, die sich laut Aktiengesetz für höchstens zwölf Monate an die Vorstandsspitze entsenden lassen kann. Die frühere Bosch-Managerin ist seit ein paar Jahren hauptberufliche Aufsichtsrätin, gehört auch dem Kontrollgremium der Lufthansa an. Merz gilt als fleißige Faktenfrau, die mittlerweile tief in den Zahlen von Thyssenkrupp drinstecke.

Die größte Aktionärin des Konzerns, die Krupp-Stiftung aus Essen, spricht der Schwäbin jedenfalls "das volle Vertrauen" aus. Auch der zweitgrößte Anteilseigner Cevian unterstützt den Führungswechsel "voll und ganz", teilt der schwedische Investor mit. "Wir sind zuversichtlich, dass Thyssenkrupp nun endlich eine eindeutige Strategie und einen klar definierten Maßnahmenplan erhält", sagt Cevian-Gründer Lars Förberg. Er kritisiert schon seit zwei Jahren öffentlich, dass der Ruhrkonzern viel zu kompliziert aufgestellt sei und fordert mehr Freiheit für die einzelnen Geschäfte.

Auch Konzernbetriebsratschef Dirk Sievers kündigt an, dass seine Arbeitnehmervertreter "konstruktiv mit Frau Merz zusammenarbeiten" möchten. Thyssenkrupp müsse den Umbau freilich "schneller und konsequenter" umsetzen, sagt selbst Sievers, damit es gute Perspektiven für möglichst viele Geschäfte gebe.

Vorstandschef Kerkhoff vor Millionenabfindung

Und Guido Kerkhoff? Er soll nun mit dem Aufsichtsrat über einen Aufhebungsvertrag verhandeln. Als der langjährige Finanzchef im vorigen Sommer als Nachfolger des zurückgetretenen Heinrich Hiesinger an die Vorstandsspitze rückte, genehmigten die Kontrolleure Kerkhoff einen Fünfjahresvertrag. Daher geht man nun in Essen davon aus, dass der Noch-Konzernchef bald mit einer Millionenabfindung sein Büro in der gläsernen Zentrale in der Thyssenkrupp-Allee räumen wird.

Im November 2020 dürfte schon zum dritten Mal in Folge ein neuer Vorstandschef durch die Konzernbilanz führen, falls Merz dann - wie vorgesehen - in den Aufsichtsrat zurückkehrt.

© SZ vom 26.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: