Thomas Cook:Staatshilfe für Urlauber

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Die Bundesregierung will die Kunden der insolventen Reisefirma Thomas Cook entschädigen - sie befürchtet andernfalls Klagen.

Von Cerstin Gammelin und Herbert Fromme, Berlin/Köln

Die Sehnsucht ist groß nach einem unbeschwerten Urlaub wie hier vor der Pandemie auf Mallorca. Die Veranstalter setzen auf Tests und Impfungen. (Foto: Jaime Reina/AFP)

Die Bundesregierung wird deutsche Kunden des insolventen Reiseveranstalters Thomas Cook entschädigen. "Wir haben uns in der Bundesregierung darauf verständigt, dass sich die Kunden darauf verlassen können, dass ihr Versicherungsschein gilt", sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht am Mittwoch im Bundestag.

Lambrecht sagte, alle Kunden bekämen die Differenz zwischen der vom Versicherer gewährten Entschädigung und dem gezahlten Preis für die Reise aus der Staatskasse erstattet. Voraussetzung ist, dass sie alle weiteren Ansprüche an den Bund abtreten und auch andere Möglichkeiten nutzen, um das gezahlte Reisegeld zurück zu bekommen, etwa über die Erstattung von Kreditkartenzahlungen. "Alles, was dann noch offenbleibt, wird erstattet", sagte sie.

Die Ministerin wies darauf hin, dass der Schaden für die Steuerzahler so gering wie möglich gehalten werden solle. Der durchschnittliche Reisepreis betrage etwa 800 Euro. "Das waren keine Luxusreisen", sagte sie. Zugleich kündigte sie an, die EU-Reiserichtlinie so zu überarbeiten, dass künftig alle Schäden von Versicherern der Reiseveranstalter gedeckt werden.

Thomas Cook war nach der EU-Pauschalreiserichtlinie dazu verpflichtet, die Vorauszahlungen von Reisenden gegen Insolvenz abzusichern. Dies geschah durch eine Kundengeldversicherung beim Versicherer Zurich. Die Gesellschaft wird jedoch die Vorauszahlungen nur zu 17,5 Prozent erstatten. Die Regierung hat auf Druck von Versicherern und Reisebranche eine Höchstgrenze eingezogen und eine EU-Richtlinie nicht ausreichend umgesetzt: Ein einzelner Versicherer darf bis höchstens 110 Millionen Euro Risiken von Pauschalreiseveranstaltern versichern - auch wenn er mehrere Veranstalter absichert. Dadurch blieben die Versicherungsbeiträge für die Reisefirmen niedrig, die Versicherer hatten ein überschaubares Risiko. Die Thomas-Cook-Pleite sprengt diesen Rahmen bei Weitem. Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, und die Tourismuswirtschaft lobten zwar den Schritt der Bundesregierung. Die Grünen sprachen aber von einem Schuldeingeständnis. Der tourismuspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Marcel Klinge, kritisierte: "Die große Koalition hat eine effektive Kundengeldabsicherung seit 2017 fahrlässig verschleppt."

Als das Gesetz 2017 reformiert wurde, warnten bereits Experten sowie Bundesrat und Justizministerium davor, die enge Obergrenze von 110 Millionen Euro beizubehalten. Doch die Unionsparteien und das Wirtschaftsministerium setzten sich durch, die Begrenzung blieb.

Unterschiedliche Angaben gab es zur Höhe des Schadens. "Es sind aus unserer Sicht 170 Millionen Euro", sagte Lambrecht im Bundestag dazu. Hinzu kämen Ansprüche aus dem Reisejahr 2020, "das können noch einmal 20 bis 30 Millionen Euro sein". Die Zurich hat dagegen errechnet, dass ihr Aufwand allein aus der Rückholung von Urlaubern 59,6 Millionen Euro betrug. Damit bleiben nur noch 50,4 Millionen Euro der versicherten 110 Millionen Euro, um Kunden zu entschädigen, die Vorauszahlungen geleistet haben. "Die Ansprüche belaufen sich auf 287,4 Millionen Euro", sagte ein Sprecher. Weil nur 50,4 Millionen Euro dafür zur Verfügung stehen, ergibt das die Quote von 17,5 Prozent. Nach dieser Rechnung müsste der Steuerzahler also für insgesamt 237 Millionen Euro aufkommen. Wenn Berlin keine Zahlungsbereitschaft signalisiert hätte, wären Klagen von Geschädigten gegen die Bundesregierung wahrscheinlich gewesen. Für Unruhe hat in Berlin ein Gutachten des Tübinger Staatsrechtlers Martin Nettesheim gesorgt, im Auftrag der Zurich-Versicherung. Er stuft die Begrenzung von 110 Millionen Euro pro Versicherer als europarechtswidrig ein, weil sie gegen die EU-Richtlinie verstößt. Die "Umsetzungsverstöße" des deutschen Gesetzgebers seien offenkundig. Das gebe Reisenden, die nicht vom Versicherer entschädigt werden, einen Schadenersatzanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland, argumentierte der Jurist. Auch der Versicherer hätte mit einer Klagewelle rechnen müssen, weil er Versicherungsscheine ausgab, die offenbar nicht die erwartete Leistung boten.

Ministerin Lambrecht zufolge müssen Kunden nicht selbst aktiv werden, um ihre Rechte zu wahren. Die Bundesregierung will Anfang 2020 alle Kunden über die weiteren Schritte zur Abwicklung informieren.

Ob die staatliche Hilfe gemeinsam mit der Versicherungsleistung ausgezahlt wird, steht noch nicht fest. Am Mittwoch gab es dazu Gespräche zwischen Zurich und Justizministerium.

© SZ vom 12.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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