Theo Waigel kontrolliert Siemens:"Nicht mehr in Knechtschaft"

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Wie Ex-Finanzminister Theo Waigel zu seinem Job bei Siemens kam und dort aufpassen will, dass nicht wieder geschmiert wird.

M. Beise, T. Fromm, K. Ott

Theo Waigel, 69, ist mit sich im Reinen. Seiner Zeit als Spitzenpolitiker trauert er nicht nach. Als Anwalt berät er Unternehmen im In- und Ausland. Jetzt erhält er ein spektakuläres Mandat. Im Auftrag der US-Justizbehörden soll er mehrere Jahre lang kontrollieren, dass Siemens nach der Aufarbeitung des Korruptionsskandals dauerhaft auf dem rechten Weg bleibt.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Waigel, warum haben Sie den Job bei Siemens bekommen?

Theo Waigel: Ich nehme an, weil ich das kann.

SZ: Davon gehen wir aus. Und sonst?

Waigel: Weil ich von niemandem abhängig bin. Ich bin mein ganz ganzes Leben lang unabhängig gewesen, auch gegenüber meiner eigenen Partei, der CSU, und gegenüber dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Das hat bei dem Vorschlag, mich als Monitor zu berufen, sicher eine wichtige Rolle gespielt. Und diese Unabhängigkeit erhalte ich mir auch in der neuen Aufgabe bei Siemens. Mit 69 Jahren begibt man sich nicht mehr in Knechtschaft.

SZ: Unabhängigkeit - war es nur das?

Waigel: Vielleicht noch der Umstand, dass meine Frau Irene Epple als Skirennläuferin bei den Olympischen Winterspielen 1988 in Amerika eine Silbermedaille gewonnen hat. Nein, im Ernst: Als Finanzminister habe ich viele Kontakte in die USA bekommen, durch direkte politische Verhandlungen, aber auch durch internationale Konferenzen im Rahmen der G7 und andere Organisationen. Da haben sich viele Bekanntschaften und auch Freundschaften ergeben, etwa zum früheren US-Präsidenten George Bush und zu seinem Nachfolger Bill Clinton. In Übersee weiß man, wer ich bin.

SZ: Die US-Behörden werden Sie aber kaum unbesehen akzeptiert haben.

Waigel: Ich war vor einem Monat in Washington. Dort haben mich zehn Vertreter der Börsenaufsicht und des Justizministeriums intensiv befragt. Das waren Ermittler, die mit dem Fall Siemens befasst sind, alles sachkundige Leute. Die wollten wissen, ob ich unabhängig bin, ob ich genügend Zeit für diese Aufgabe habe, was ich sonst so mache, und ob ich irgendwelche Beziehungen zu Siemens habe. Es ging sehr fair zu.

SZ: Haben oder hatten Sie denn Beziehungen zu Siemens?

Waigel: Nein. Natürlich hatte ich als Finanzminister ganz normale Beziehungen zur früheren Siemens-Spitze. Bei Auslandsreisen werden Regierungsmitglieder oft von Managern begleitet. Da hat sich ein ganz normales, gutes Verhältnis zu Herrn Pierer ergeben.

SZ: War Ihnen nach dem Termin in Washington gleich klar, dass Sie akzeptiert werden?

Waigel: Das nicht. Aber ich hatte ein gutes Gefühl. Ich habe auch mit meinem Englisch bestanden, das sich seit meiner Zeit als Finanzminister nicht verschlechtert, sondern verbessert hat. Ich erinnere mich, wie der damalige US-Notenbankchef Alan Greenspan zu mir gesagt hat: "Theo, when I met you first, your English was not existing, but your accent was excellent." Ich habe damals geantwortet: "It's a Bavarian accent between Franz Josef Strauß and Henry Kissinger." Solche Anekdoten habe ich jetzt in Washington erzählt, das schafft Atmosphäre.

SZ: Wie sind Sie überhaupt zum Kandidaten geworden?

Waigel: Der Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme rief mich vor ein paar Monaten an und sagte mir, in diesem Jahr sei für Siemens noch eine Einigung mit den US-Behörden möglich. Siemens brauche dazu einen glaubwürdigen Monitor, der den US-Behörden in den kommenden Jahren berichte, ob das Unternehmen auf dem richtigen Weg sei. Cromme fragte, ob das für mich denkbar sei.

SZ: Kannten Sie Cromme schon vorher?

Waigel: Kaum. Eher aus der Distanz.

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SZ: Mit wem haben Sie beraten, ob Sie diese Aufgabe übernehmen sollen?

Waigel: Zunächst mit mir. Ich habe für solche Dinge im Leben immer ein gutes Bauchgefühl gehabt. Dann natürlich mit meiner Frau. Und am Ende mit meinen Partnern in der Anwaltskanzlei. Die haben einhellig gesagt, sie würden sich freuen, wenn ich das mache, obwohl das für die Kanzlei gravierende Folgen hat. Wir dürfen während meiner Zeit bei Siemens und sogar noch in den zwei Jahren danach keine Aufträge von Siemens annehmen.

SZ: Wo wird Ihr Büro sein?

Waigel: In der Siemens-Zentrale am Wittelsbacher Platz hier in München. Ich kann dann in den nächsten Jahren übrigens ganz unverdächtig über den Weihnachtsmarkt dort gehen. Zuletzt war ich ein paar Mal bei Siemens, weil wir alles besprechen mussten. Wenn ich durch den Weihnachtsmarkt gegangen bin, haben mich viele Leute schon angeschaut. Ich musste dann so tun, als ob ich mich für die Stände interessiere.

SZ: Wie weit gehen Ihre Befugnisse bei Siemens?

Waigel: Ich habe Zugriff auf alle Daten und Unterlagen. Ich kann mit meinem Team, das ich mir selbst zusammenstelle, Stichproben vornehmen, ob Siemens sich an seine Beteuerungen hält. Das Unternehmen will ja alles tun, um Korruption und andere Vergehen so gut wie unmöglich zu machen.

SZ: Wie wird Ihr Team aussehen?

Waigel: Das werden Leute von Siemens sein, von Organisationen, die Erfahrung haben im Kampf gegen die Korruption, vielleicht auch aus meiner Kanzlei. Wirtschaftsprüfer und andere Experten.

SZ: Werden Sie mit Ihrem Team auch Stichproben im Ausland machen? Dort hat Siemens ja jahrzehntelang bestochen, es gibt viele kritische Märkte.

Waigel: Es wird sicher die eine oder andere Reise ins Ausland notwendig sein, um vor Ort nachzuschauen, wie die Arbeit bei Siemens funktioniert. Ob genug getan wird, um Korruption zu verhindern.

SZ: Reist der ehemalige Minister dann mit Entourage?

Waigel: Also, wissen Sie. Meine Resozialisierung ist weit fortgeschritten. Ich bin inzwischen so weit, dass ich mich selbst auf dem riesigen Flughafen von Chicago alleine zurechtfinde.

SZ: Wie viel Zeit werden Sie künftig mit Siemens verbringen?

Waigel: Am Anfang ziemlich viel, das wird deutlich mehr als die Hälfte meiner Arbeitszeit als Anwalt sein. Ich werde verschiedene Mandate in Beiräten von anderen Unternehmen und auch meine Beratertätigkeit für Mazedonien aufgeben, um nicht in Konflikte zu geraten.

SZ: Bei Siemens glauben immer noch manche Mitarbeiter, die Selbstreinigung in Sachen Korruption sei zu weit gegangen, sei entwürdigend. Wie sehen Sie das denn?

Waigel: Siemens hatte doch gar keine andere Möglichkeit, als alles so umfassend wie möglich aufzuklären. Wer an die New Yorker Börse geht, unterwirft sich deren Aufsicht. Hätte Siemens anders reagiert, dann wären die Geschäfte in den USA in Gefahr geraten - ein Riesenmarkt für Siemens. Jetzt kann sich das Unternehmen wieder auf die Geschäfte konzentrieren. Es ging nicht anders.

SZ: Ist Siemens jetzt geheilt?

Waigel: Ich bin mir ganz sicher, dass Vorstandschef Peter Löscher, Rechtsvorstand Solmssen und Aufsichtsratschef Cromme den richtigen Kurs fahren und mich unterstützen werden.

SZ: Sie werden nächstes Jahr 70. Was treibt Sie, noch einmal eine solche Aufgabe mit so viel Arbeit zu übernehmen? Das Honorar?

Waigel: Das bewegt sich eher im unteren Bereich der bei großen Kanzleien üblichen Tagessätze. Nein, der Job wird Spaß machen, das weiß ich jetzt schon. Und es geht mir um die Arbeitsplätze bei Siemens und um mein Land. Und um einen fairen Wettbewerb in der Welt - ohne Korruption und Schmiergeld.

SZ: Manche Menschen behaupten,es sei gar nicht möglich, im Ausland ohne Korruption zu bestehen?

Waigel: Auf Dauer kommt man mit dem klaren Bekenntnis, bei so etwas machen wir nicht mit, besser voran. Sünder wird es immer wieder geben, aber es darf nicht zum System werden, weder in einem Staat noch in einem Unternehmen. Ehrlicher Wettbewerb gewinnt.

© SZ vom 17.12.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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