Tarifrunden:Der Acht-Prozent-Irrtum

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Die Gewerkschafter sollten nicht so tun, als könnten sie mit hohen Forderungen das Land retten. Wenn es ihnen gelingt, Reallöhne zu sichern, haben sie schon sehr viel erreicht.

Detlef Esslinger

Es gibt viele Dinge, die ein Interessenvertreter unbedingt können muss; zum Einmaleins gehört jedoch, die Interessen der eigenen Klientel als Interessen der gesamten Gesellschaft darzustellen. Das muss jeder drauf haben, egal, ob er für die Autoindustrie, die Milchbauern oder eine Gewerkschaft spricht. Nach dieser Devise geht auch der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske wieder vor, wenn er seine Acht-Prozent-Forderung für die Tarifrunde mit den Bundesländern begründet: Mit Einkommensteigerungen werde die Nachfrage erhöht, folglich der Abschwung gemildert, sagt Bsirske. Aber ist dies wirklich die Medizin, damit es nicht so weitergeht, wie es am Mittwoch angefangen hat: Dass die Bundesagentur für Arbeit Monat für Monat die Nation mit schlechten Nachrichten deprimiert?

Demo für mehr Geld: Verdi verlangt acht einen Aufschlag in Höhe von acht Prozent. (Foto: Foto: AP)

Die Debatte, welche Folgen ein Abschluss für die Volkswirtschaft haben wird, begleitet jede größere Tarifrunde, egal wie die Zeiten sind. Derzeit sind sie dramatisch, aber wer auch immer in die Tarifrunden des Jahres 2009 Hoffnungen oder Befürchtungen setzt, dem sei gesagt: Für beides besteht kein Anlass. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte durch die Abschlüsse weder erhöht noch gesenkt werden. Der erste Grund dafür ist ziemlich banal. Zwar finden in diesem Jahr etwa 80 Tarifrunden statt - aber nur wenige in Branchen, die Bedeutung für die Volkswirtschaft insgesamt haben. Verhandelt wird außer bei den Ländern unter anderem bei der Bahn, im Einzelhandel oder am Bau, nicht aber bei den Trendsettern Metall, Chemie oder Stahl. Schon deshalb können die Tarifpartner 2009 noch weniger als sonst den Impuls für mehr Nachfrage setzen.

Nur mal angenommen, es gelänge Verdi und dem Beamtenbund, in der Tarifrunde bei den Ländern, die übernächste Woche beginnt, viel von ihrer hohen Forderung durchzusetzen (was schon deshalb fraglich ist, weil die Gewerkschaften hier nur relativ wenige Mitglieder haben). Und nur mal angenommen, Verdi würde im Frühjahr auch - gegen jede Erfahrung - beim Einzelhandel viel herausholen. In diesen unwahrscheinlichen Fällen hätten zwei Millionen Arbeitnehmer jeweils mehrere hundert Euro zusätzlich zur Verfügung, übers Jahr gerechnet. Es wären dies trotzdem relativ wenige Arbeitnehmer mit relativ wenig zusätzlicher Kaufkraft.

Hinzu kommt: In einem Volk, das die Skepsis als Grundhaltung pflegt, und in einer Zeit, in der sich zu dieser Skepsis mitunter Angst, ja Panik gesellen - in dieser Zeit würden auch diese Arbeitnehmer zusätzliche Einnahmen dazu nutzen, für Notfälle etwas zurückzulegen - etwa für den Fall, dass es sie selbst erwischt. Ökonomen bezeichnen das Phänomen als "Rationalitätenfalle": Ein Verhalten, das für jeden Einzelnen rational nachvollziehbar ist, der Gemeinschaft aber schadet. Hohe Lohnzuwächse sind also gegen diese Rezession ungefähr so geeignet wie Aspirin gegen Krampfadern.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum nur der Staat der Nachfrage den erforderlichen Schub geben kann.

Derzeit kann nur der Staat der Nachfrage den erforderlichen Schub geben. Nur der Staat ist imstande, die Rationalitätenfalle zu überwinden und Summen in einer Höhe zu mobilisieren, die wirklich Einfluss auf die Konjunktur nehmen - durch Investitionen, durch Transfers, durch Steuerpolitik. Investitionen in die Wärmedämmung von öffentlichen Gebäuden würden nicht nur Menschen in Beschäftigung halten; sie sind sowieso nötig im Kampf gegen den Klimakollaps (in Relation zu dem auch die schlimmste Wirtschaftskrise nur Kleinkram ist). Eine deutliche Erhöhung des Arbeitslosengelds II würde denjenigen Menschen mehr Geld verschaffen, die gar nicht in der Lage sind, das Geld zur Bank zu tragen - sie brauchen jeden Cent. Im Steuerrecht könnte der Staat dafür sorgen, dass Lohnsteigerungen nicht dadurch wieder aufgefressen werden, weil nun höhere Steuersätze fällig sind. Mit seinen Impulsen würde der Staat auf jeden Fall mehr Menschen erreichen als die Tarifparteien. Er könnte so zumindest helfen, deren Konflikte zu entschärfen.

Dies alles heißt nicht, dass Forderungen nach Lohnerhöhungen in diesem Jahr unangemessen wären. Jeder Pfleger, der an der Uniklinik - also beim Land - beschäftigt ist, möchte nicht schlechter gestellt sein als sein Kollege, dessen Arbeitgeber das städtische Klinikum - also die Kommune - ist. Der hatte das Glück, dass seine Tarifrunde vor einem Jahr, im Boom, stattfand. Jeder Mitarbeiter der Bahn hat ein legitimes Interesse, am zurückliegenden Erfolg der Firma beteiligt zu werden.

Aber Tarifverhandlungen sind nun mal keine bundesweite Veranstaltung, bei der nach der Devise "Gleiches Plus für alle" verhandelt wird. Es ist nicht zu ändern, dass mal die einen Branchen, und dann mal die anderen zu jeweils günstigen oder ungünstigen Zeiten dran sind. Deshalb sind die Rekordforderungen so problematisch, an denen die Gewerkschaften zum Teil festhalten: die acht Prozent bei den Ländern, aber auch die zehn Prozent bei der Bahn. Sie orientieren sich an Erfolgen, die zwar erst kurz zurückliegen, die aber zu völlig anderen Zeiten erzielt wurden. Die Gewerkschafter sollten nicht so tun, als könnten sie mit hohen Forderungen das Land retten. Wenn es ihnen gelingt, Reallöhne zu sichern, haben sie schon sehr viel erreicht.

© SZ vom 08.01.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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