SZ-Serie: Mittelstand:Insolvenz - die selten genutzte Chance

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Viele Mittelständler zögern zu lange mit dem Gang zum Amtsgericht - für eine Sanierung in Eigenregie ist es dann oft schon zu spät.

Stefan Weber

Für Maria Paulus war schon knapp fünf Wochen vor Weihnachten Bescherung. Ihr Arbeitgeber, die insolvente Modehandelskette Sinn-Leffers, gab wenige Tage vor dem ersten Advent bekannt, dass die Filiale in Krefeld, in der die Mittfünfzigerin seit mehr als 20 Jahren als Verkäuferin arbeitete, weiterbetrieben wird. Ursprünglich sollte das Haus zu den 24 Standorten gehören, die Ende Februar 2009 geschlossen wurden: Potsdam war dabei, Pforzheim, Leipzig und Mühlheim an der Ruhr. Wie lange Paulus, deren tatsächlicher Name für diese Geschichte nicht wichtig ist, ihre Stelle behalten wird, ist ungewiss. Die Filiale in Krefeld arbeitet ebenso wie die anderen noch verbliebenen 23 Läden auf Bewährung: Sie muss Gewinn machen. Sonst droht irgendwann doch noch die Schließung.

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Detailliertes Sanierungskonzept

Die Manager von Sinn-Leffers wollen die Firma selbst retten. Schon mit der Anmeldung der Insolvenz beim Amtsgericht Hagen legten sie ein detailliertes Sanierungskonzept vor. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte das Gericht den erfahrenen Düsseldorfer Rechtsanwalt Horst Piepenburg. Bei solchen Insolvenzplanverfahren übernimmt der Verwalter nicht selbst die operativen Geschäfte, sondern ist eine Art Aufsichtsrat. Alles was die Manager machen, müssen sie von ihm absegnen lassen. Seit knapp zehn Jahren bietet das deutsche Recht die Möglichkeit eines solchen "Insolvenzplanverfahrens in Eigenverwaltung". In der Praxis wird diese Sanierungsalternative allerdings kaum genutzt, vor allem nicht von Mittelständlern. Denn die Aufstellung eines Insolvenzplans ist aufwendig und setzt intensive Gespräche mit den Gläubigern voraus. Große Firmen dagegen holen häufiger fachkundigen Rat ein und prüfen diese Sanierungsalternative. Verwalter Piepenburg kennt sich aus mit solchen Verfahren, auf die Art und Weise hat er vor Jahren schon Babcock Borsig saniert.

Die Chancen für ein Überleben der Textilkette Sinn-Leffers, die viele Jahre zum heute Arcandor firmierenden Karstadt-Quelle-Konzern gehörte, stehen nach Einschätzung von Beobachtern nicht schlecht. Eine Vorentscheidung fällt am nächsten Montag: Dann befinden die Gläubiger über den Insolvenzplan. Stimmen sie zu, dann kann das Verfahren nach Auskunft von Verwalter Piepenburg voraussichtlich schon im April abgeschlossen werden. Voraussetzung dafür, dass zumindest Teile der Modekette eine Überlebenschance haben und 2500 Mitarbeiter ihren Job behalten, war, dass Management und Eigentümer den Gang zum Amtsgericht nicht so lange aufgeschoben haben, bis das Unternehmen nicht mehr handlungsfähig war.

Im August 2008 stellten sie den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. "Viele Firmen, die in Bedrängnis geraten, vertrauen zu lange darauf, dass sie noch die Kurve bekommen und ihnen der Gang zum Amtsgericht erspart bleibt", meint Axel Bierbach, Partner der auf Insolvenzverwaltung spezialisierten Münchener Kanzlei Müller-Heydenreich, Beutler & Kollegen: "Sie konzentrieren alle Aufmerksamkeit auf den Versuch einer Sanierung und stolperen dann oft unvorbereitet in die Pleite."Hinzu kommt die oft panische Angst vieler Familienunternehmen vor der möglichen Insolvenz und ihren Folgen für das Image. "Insolvenz ist ein Stigma. Das möchte jeder vermeiden", meint Bierbach. Wer aber zu lange zögere, beraube sich der Chance, zumindest Teile des Unternehmens zu retten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum bei einer Insolvenz zumindest ein Teil der Geschäftsführung ausgewechselt werden sollte.

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Wie es in einem günstigen Fall ausgehen kann, zeigt das Beispiel der Drogeriemarktkette Ihr Platz. Mehr als 100 Jahre nach der Firmengründung meldete das Osnabrücker Unternehmen 2005 Insolvenz an und 9000 Mitarbeiter fürchteten um ihren Arbeitsplatz. Einen Großteil der Stellen gibt es noch. Auch da war Verwalter Piepenburg am Werk. Ihm gelang es, den Filialisten zu stabilisieren und neue Eigentümer zu finden. Inzwischen ist Ihr Platz eine Tochter von Branchenprimus Schlecker.

Die Vorbehalte gegen ein Insolvenzverfahren in Eigenregie erklären sich möglicherweise auch aus dem geringen Vertrauen, das vor allem die Gläubiger dem Management entgegenbringen. Sie fürchten, dass diejenigen, die die Insolvenz verschuldet haben, nun weitermachen wie bisher. Schon um nach außen Aufbruchstimmung zu signalisieren, empfehlen Insolvenzfachleute deshalb, die Geschäftsführung zumindest zum Teil auszutauschen; als Signal für einen Neuanfang. Das dürfte auch der Grund gewesen sein, weshalb bei Sinn-Leffers der Sanierungsfachmann Detlef Specovius von der Kanzlei Schultze & Braun aus Achern vorübergehend in die Geschäftsführung einrückte.

Die Chance eines angeschlagenen Unternehmens, über ein Insolvenzplanverfahren das endgültige Aus abzuwenden, besteht vor allem in der plötzlich gewonnenen Handlungsfreiheit: Sämtliche Verträge können gekündigt werden - langjährige Arbeitsverhältnisse wie das von Maria Paulus bei Sinn-Leffers mit einer Frist von nur drei Monaten und Mietverträge. Der Modehändler nutzte diesen Spielraum, um sich vor allem von der branchenunüblich hohen Mietbelastung zu befreien. Denn in den Verhandlungen zuvor waren nur wenige Vermieter zu freiwilligen Zugeständnissen bereit gewesen. Für Entlastung sorgte auch, dass die Bundesagentur für Arbeit drei Monate die Zahlung von Löhnen und Gehältern übernahm und die Betriebsrenten zunächst der Pensions-Sicherungsverein überwies.

Sollte Sinn-Leffers die Sanierung gelingen und ein Großteil der Filialen und Arbeitsplätze erhalten bleiben, wird dies nach Einschätzung von Juristen eine Empfehlung für eine häufigere Anwendung des Insolvenzplanverfahrens sein. "Um dieser Sanierungsalternative zum Durchbruch zu verhelfen, ist immer noch große Aufklärungsarbeit bei Banken, Kreditversicherern und Lieferanten notwendig", sagt Bierbach.

© SZ vom 05.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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