SZ-Serie: Kapitalismus in der Krise:Es reicht einfach nicht

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Bald wird es nicht mehr nur um ein paar Cent an den Tankstellen gehen, sondern um eine andere Frage: Kann die Zivilisation ohne fossile Energieträger überleben?

Sebastian Beck

Elmar Altvater kann es selbst noch kaum fassen. Beeindruckend sei alles, gesteht er. Irritierend geradezu. Wenn er jetzt Vorträge über den Kapitalismus und dessen Schattenseiten hält, dann hören ihm die Menschen plötzlich wieder zu.

Ölförderung in Kalifornien: Schon im nächsten Jahrzehnt könnten Angebot und Nachfrage so weit auseinander klaffen, dass die Kosten für Öl explodieren (Foto: Foto: AFP)

Dabei ist es noch nicht lange her, dass der 70-jährige Politikwissenschaftler aus Berlin eher belächelt wurde - als bekennender Linker, der die Titulierung als "Marxist" noch nie für eine Beleidigung gehalten hat.

"Ich bin Pessimist"

Nun erlebt Altvaters Kapitalismuskritik eine Renaissance, zumal er für sich in Anspruch nehmen kann, dass er die weltweite Finanzkrise einigermaßen präzise vorhergesagt hat.

"Ich bin Pessimist", behauptet Altvater von sich selbst. Entsprechend düster fällt die Zukunftsprognose aus, die er im Jahr 2005 in seinem Buch "Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen" aufgestellt hat: Altvater vertritt darin die These, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem bald den Exitus erleiden wird, weil ihm seine wichtigsten Ressourcen ausgehen: Öl und Gas. "Unser Zivilisationsmuster ist dann am Ende", sagt Altvater.

Mit dieser Einschätzung steht er nicht alleine da. Im deutschsprachigen Raum haben sich bisher allerdings nur wenige Wissenschaftler mit der Frage beschäftigt, welche Folgen es für Wirtschaft und Gesellschaft haben wird, wenn fossile Energieträger in absehbarer Zeit zur Neige gehen.

Einen von ihnen ist Jörg Schindler, Geschäftsführer des Ludwig-Bölkow-Instituts für Systemtechnik in Ottobrunn, das sich mit umweltfreundlichen Energie- und Verkehrssystemen beschäftigt. Über sich selbst sagt Schindler, er sei Optimist, doch das Ergebnis seiner Studie zur Verfügbarkeit von Öl und Gas ist furchterregend: ,"Es könnte Dinge geschehen, die wir nie zuvor erlebt haben und die wir wahrscheinlich nie wieder erleben werden, wenn die Übergangsphase abgeschlossen ist", schreibt Schindler darin.

Sein zentraler Befund lautet: Die weltweite Ölförderung hat im Jahr 2006 ihren Höhepunkt erreicht und wird bereits im nächsten Jahr zurückgehen - und zwar unwiderruflich. Beim Erdgas sieht die Situation nur unwesentlich besser aus. Selbst neue Funde könnten den Rückgang der Öl-Produktion allenfalls bremsen, aber keinesfalls aufhalten.

Denn von den 48 wichtigsten Förderländern haben 33 ihr Fördermaximum bereits hinter sich. Nur ein Beispiel: Das Ölfeld Cantarell vor der mexikanischen Küste zählt zu den größten der Welt, seine Förderleistung bricht jedoch so stark ein, dass Mexiko voraussichtlich in fünf Jahren kein Öl mehr exportieren kann.

Dramatische Lageeinschätzung

Zugleich wächst jedoch der weltweite Energieverbrauch; mehr als die Hälfte davon wird durch Erdgas und Erdöl gedeckt. Fachleute sind sich einig: Die in Folge der Rezession zuletzt stark gesunkenen Energiepreise werden bald wieder steigen. Schon im nächsten Jahrzehnt könnten Angebot und Nachfrage so weit auseinander klaffen, dass die Kosten für Öl und Gas geradezu explodieren werden.

Selbst die eher vorsichtige Internationale Energieagentur IEA kommt in ihrem aktuellen Energiebericht zu einer dramatischen Einschätzung der Lage: Um die Rückgänge der Förderleistung und die steigende Nachfrage auszugleichen, werden demnach bis 2015 zusätzliche Kapazitäten von 30 Millionen Barrel pro Tag benötigt - etwa dreimal so viel wie Saudi Arabien derzeit täglich liefert. Doch alle noch unerschlossenen Ölfelder sind entweder vergleichsweise winzig oder schwierig auszubeuten. Es reicht einfach nicht.

In ein oder zwei Jahrzehnten wird es deshalb nicht mehr um ein paar Cent an den Tankstellen gehen, sondern um eine grundsätzliche Frage: Kann die industrielle Zivilisation ohne fossile Energieträger überleben? Die Chancen dafür stehen aus heutiger Sicht eher schlecht. Der amerikanische Umweltjournalist Richard Heinberg, der sich seit Jahren mit Energiefragen beschäftigt, fasst es so zusammen: "Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem der globale gesellschaftliche Zusammenbruch in den nächsten Jahrzehnten wahrscheinlich und vielleicht sogar unvermeidbar ist."

Ist das alles nur Panikmache? Oder sind Öl und Gas gleichermaßen lebenswichtig wie unersetzbar? Tatsächlich wären die industrielle Revolution und der Aufstieg des Kapitalismus ohne fossile Energie unmöglich gewesen. Der Politikwissenschaftler Altvater spricht von der Dreifaltigkeit der europäischen Rationalität, des Energiesystems und des Kapitalismus - sie haben zwei Jahrhunderte lang bestens miteinander harmoniert: Am Anfang stand die kohlebefeuerte Dampfmaschine.

Sie verlieh der Menschheit zu Beginn des 19.Jahrhunderts eine bis dahin unvorstellbare Machtfülle. Es war der eigentliche Beginn der Globalisierung. Eisenbahnen und Schiffe transportierten riesige Gütermengen. Die mechanisierte Landwirtschaft setzte Millionen Arbeitskräfte für die Industrie frei. Anfang des 20.Jahrhunderts kam zur Kohle das Erdöl als Energieträger hinzu.

Die deutschen Chemiker Haber und Bosch erfanden ein Verfahren zur Herstellung von Stickstoffdünger. Damit konnten zwar einerseits die landwirtschaftlichen Erträge stark gesteigert werden. Andererseits werden zur Produktion des Düngers große Mengen fossiler Ausgangsstoffe wie Kohle oder Erdgas benötigt. So zogen hohe Öl- und Gaspreise in diesem Jahr auch einen Anstieg der Düngemittelpreise nach sich. Das war eine der Ursachen für die Verteuerung von Lebensmitteln.

Billige Kohle, Öl und später Gas revolutionierten im 19. und 20.Jahrhundert das menschliche Leben. Sie ermöglichten eine ungeheuere Steigerung von Produktion, Konsum und Profiten. Es ist daher kein Zufall, dass in den 1920er Jahren der Wachstumsbegriff Eingang in die Wirtschaftswissenschaft fand. Mittlerweile ist er in der politischen Diskussion zur alles entscheidenden Kategorie aufgestiegen: Kapitalismus ohne Wachstum - und zwar ohne möglichst schnelles - erscheint undenkbar. Denn Unternehmer müssen schon allein deshalb Gewinne erzielen, um die Kredite für Investitionen zu bezahlen; Gewinne aber bedeuten wiederum Wachstum. Dieser Logik kann sich niemand entziehen.

Über Jahrtausende fast kein Wachstum

Das war nicht immer so: "In der größten Zeit der Menschheitsgeschichte hat es kein Wachstum gegeben", sagt Altvater. Zwischen Christi Geburt und dem Jahr 1820 blieb das weltweite Pro-Kopf-Einkommen praktisch unverändert. Doch alleine zwischen 1930 und 2000 stieg der Wert der Industrieproduktion um das 14-fache.

Ähnliches gilt auch für das Bevölkerungswachstum: Der Club of Rome rechnete vor, dass es im Jahr 1650 noch 240 Jahre dauerte, bis sich die Erdbevölkerung verdoppelte. Im Jahr 1900 schrumpfte der Zeitraum auf hundert Jahre, jetzt sind es nur noch wenige Jahrzehnte. In einer begrenzten Umwelt ist exponentielles Wachstum auf Dauer freilich unmöglich - das lernen Biologiestudenten bereits im ersten Semester, wenn Sie Bakterienkulturen in der Petrischalen züchten. Und dennoch gilt Wachstum immer noch als Schlüssel für Wohlstand, als Ausweis des wirtschaftlichen Erfolgs, als völlig alternativlos.

Was aber, wenn der wichtigste Treibstoff des Wachstums ausgeht? Wenn Öl und Gas so teuer werden, dass sie in einigen Jahrzehnten nur noch für Spezialanwendungen eingesetzt werden können? Wenn jeder mit dem Auto zurückgelegte Kilometer zum Luxus wird? Wenn Kunststoffe unerschwinglich werden? Wenn die Wirtschaftsleistung deshalb nicht mehr steigt, sondern sinkt?

Viele Optionen

Womöglich schafft es die Menschheit doch noch, sich anzupassen. Aber die Einschnitte in die Lebensweise werden auf alle Fälle radikal sein: Selbst Jörg Schindler, der Optimist, sieht eine unvermeidliche Umstellungskrise heraufziehen, wenn die historisch kurze Episode der fossilen Energien zu Ende geht: "Nach 2015 werden wir für zwei Jahrzehnte in ein Loch fallen", prognostiziert Schindler. "Da werden sich globale Fragen der Verteilung und Gerechtigkeit stellen."

Und danach? "Es gibt viele Optionen, die wir uns noch nicht vorstellen können", sagt Schindler. Er glaubt fest an die erneuerbaren Energien. An Solarstrom, an Telekommunikation statt Verkehr, an Effizienz, an das Fahrrad. "Da sind enorme Potenziale verfügbar." Die Globalisierung der Wirtschaft und des Lebens, davon ist Schindler auch überzeugt, werde sich wieder umkehren: "Der Urlaub in der Dominikanischen Republik ist dann nicht mehr so das gängige Verhaltensmuster."

Elmar Altvater, der bekennende Pessimist, träumt ebenfalls von der solaren Revolution. Schließlich nütze es ja auch nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Nutzung der Solarenergie könnte seiner Einschätzung nach Gesellschaft und Wirtschaft grundlegend verändern - und zwar zum Positiven. Denn die Sonne scheint überall, sie liefert ihre Energie dezentral und wohldosiert: Sie könnte damit gewissermaßen zum Leitstern einer neuen Kultur werden.

Einer Kultur, die langsamer und partnerschaftlicher funktioniert als das Erdölzeitalter mit seinem Beschleunigungs- und Wachstumswahn. In der solaren Zukunft werden die Menschen solidarisch und nicht mehr profitorientiert wirtschaften, das hofft Altvater, der Utopist. Weil Solidarität nicht nur ein moralisches Postulat sei, sondern letztlich ein Gebot der Vernunft. Viel mehr wagt Altvater aber nicht zu prophezeien. Denn die Gesellschaft von morgen, sagt er, die sei ein Werk von Millionen Menschen.

© SZ vom 16.12.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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