SZ-Serie: Kapitalismus in der Krise:Amerikas Angst

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Der Kollaps der Finanzmärkte wurde in den USA ausgelöst. Er ist das Symbolbild eines Systembruchs, eines geopolitischen Zeitenwandels.

Stefan Kornelius

Als sich eine kleine Gruppe amerikanischer Außenpolitik-Experten im Frühjahr 2005 zu einer Strategie-Diskussion verabredete, blutete die Wunde noch. John Kerry hatte im November die Wahl verloren und die Fachleute, allesamt aus dem Umfeld der Demokraten, wollten nicht noch einmal so ein Desaster erleben.

Demonstration der Übermacht: US-Soldaten entspannen 2003 in einer Polstergarnitur in einem der Paläste Saddam Husseins westlich des Tigris. Fünf Jahre später gilt der Irak-Feldzug als gescheitert. (Foto: Foto: AP)

Sie gründeten einen neuen Think Tank, eine jener Washingtoner Denkfabriken, in denen die Akteure Unterschlupf finden, die gerade nicht auf den Regierungsposten sitzen.

Das "Center for a New American Security" liegt nur drei Blocks vom Weißen Haus entfernt auf der Pennsylvania Avenue, aber das ist unbedeutend. Wichtig war, dass sich hier die Freidenker versammelten, die mit Wucht den nächsten Angriff auf die Bastion der Republikaner planen sollten. Oder auch nur den Aufstieg aus der Asche.

Regieanweisung für Obama

"The Phoenix Inititive" hieß ihr Projekt, und der Name sollte den Gefühlszustand der Demokraten wiedergeben. George Bush hatte sie mit seiner Außenpolitik geradezu zertrümmert, nun musste etwas Neues her.

Der Titel des Studienberichts der Gruppe, veröffentlicht drei Jahre später im Sommer 2008, war pompös und nichtssagend wie bei so vielen dieser Think-Tank-Empfehlungen: "Strategische Führung: Ein Handlungsrahmen für eine nationale Sicherheitsstrategie für das 21. Jahrhundert."

Interessant aber war, wer sich unter den Autoren tummelte: Susan Rice, Jim Steinberg, Anne-Marie Slaughter, Ivo Daalder, Tony Blinke, Kurt Campbell und ein paar andere aus dem Orbit der Demokraten, die sich nicht so sehr hatten anstecken lassen von der Bush-Hybris der letzten Jahre und die vor allem nicht mit den Neokonservativen paktiert hatten.

Der Bericht der Phoenix-Initiative gilt nun als Regieanweisung für die Obama-Präsidentschaft, und mehr noch: als Manifest gegen den Abstieg. Denn auch Obamas Beratern ist nicht entgangen, dass Amerikas Gewicht in der Welt abnimmt, dass sich neue Mächte formiert haben, dass den USA die Gefolgschaft verweigert wird.

Erstaunlich ist, dass der Bericht zunächst feststellt, wo der Staat und das starke Amerika alleine nicht mehr helfen können: Terrorbekämpfung, Nuklearverbreitung, Klima und Ölabhängigkeit. Gleiches Bild bei regionalen Konflikten: Im Nahen Osten und in Ostasien ist Amerika alleine machtlos.

Munter geht es weiter in ungewohntem Ton: Großmachtsdiplomatie wird so gut wie gar nicht angesprochen, die Welt ist vielmehr miteinander verknüpft, die Macht wird aufgeteilt. Neue Töne, geradezu erstaunliche Erkenntnisse aus Washington - die Post-Phase ist angebrochen: post-hegemonial, Post-Kalter-Krieg, Post-Anti-Terror-Krieg.

Die neue Zeitrechnung lässt ahnen, dass auch in Washington ein Weg aus dem globalen Schlamassel gesucht wird. Wie also umgehen mit den starken Aufsteigern, den Öl-Autokraten, den selbstbewussten Neulingen im globalen Machtspiel? 1905 erschien in Großbritannien ein Buch, das Aufstieg und Niedergang des britischen Empires beschrieb.

Tatsächlich litt das viktorianische Britannien an seiner imperialen Überdehnung und spürte, dass es ein Ende haben würde mit der Vorherrschaft zur See und in den Kolonien. 1906 wurden die Konservativen mit einer krachenden Niederlage bei den Unterhauswahlen bestraft, aber selbst die siegreichen Liberalen konnten das imperiale Zeitalter nicht verlängern.

100 Jahre lang, angefangen mit der Industrialisierung im späten 19. Jahrhundert, dominierten seitdem die USA die Weltpolitik - gewollt oder ungewollt. 100 Jahre lang beherrschte die Idee Amerika die Phantasie der Menschen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg aufholte.

Der gewaltige, nie versiegende Wachstumsschub in der Wirtschaft, unbestechlich attraktive, demokratische Ideale und ein einlösbares Freiheitsversprechen in einer liberalen Kultur machten Amerika zu einer unbezwingbaren Macht. Viele wollten so werden. Nach zwei Weltkriegen waren die Anker für eine globale Idee ausgeworfen - Amerikas Aufstieg zur Weltmacht, am Ende zur alleinigen Supermacht, war nicht aufzuhalten. Das hatte es seit Rom nicht mehr gegeben.

Sieg im Wettbewerb der Ideen

Amerika gewann, weil es im Wettbewerb der Ideen siegte: Demokratie, Freiheit, Kapitalismus, kulturelle Attraktivität und im Zweifel die größere Kanone für den guten Zweck - die Zutaten der amerikanischen Erfolgsgeschichte waren universell zu gebrauchen, der Übergang zum amerikanischen System geradezu unausweichlich.

Allein: Das Wachstum scheint gestoppt, geradezu im Wortsinn. Der Kollaps der Finanzmärkte, ausgelöst in den USA, ist das Symbolbild eines größeren Systembruchs, eines geopolitischen Zeitenwandels, der bei weitem nicht erst im Jahr 2008 begann, aber in diesem amerikanischen Wahljahr zertifiziert wurde. Die Amerikaner stellen sich selbst eine Quittung aus, weil sie spätestens mit dem Zusammenbruch der eigenen Pensionsfonds gemerkt haben, dass es nicht mehr rund läuft, dass ihr Land an Kraft verliert in der Welt.

Die Präsidentschaft George Bushs versinnbildlicht diese Schwäche. Bush trat an zu einem Zeitpunkt, an dem die hegemoniale Selbstüberschätzung noch nicht arrogant artikuliert, aber schon längst gelebt wurde. Amerika hatte den Zenit seiner Macht erreicht und verbreitete seine Ideen unangefochten auf der Welt.

Die Revolution der Informationstechnologie ging vom Silicon Valley aus, die Hedgefonds-Kommandeure überzogen jede auch noch so kleine Ökonomie auf der Welt mit maßgeschneiderten Finanzierungs-Paketen, Amerika ließ auf der Welt produzieren und bezahlte mit dem Selbstbewusstsein des Marktführers.

Masterplan zur Bezwingung des Hegemons

Der Widerstand gegen diese Form der Führung war gering, aber er war nicht verschwunden. Heute ist klar: Auf dem Weg zur Zähmung Gullivers wuchs in Russland ein Rohstoff-Imperialismus heran, verbrüderten sich die Öl-Populisten von Venezuela bis Iran, suchte China stille Bruderschaften in seiner unmittelbaren Nachbarschaft - und entwarf Osama bin Laden mit seinen Geistesgenossen den Masterplan zur Bezwingung des Hegemons.

Amerika reagierte mit blanker Stärke, mit seinem so offensichtlich überlegenen Militär, mit seiner politischen Übermacht. Es forderte Gefolgschaft ein und wollte Demokratie erzwingen. Stattdessen erntete es noch mehr offenen Widerstand und stilles Unverständnis. Das amerikanische Modell wurde als einschnürend empfunden.

Ironischerweise waren es die Segnungen der Globalisierung, die Verbesserung des Lebensstandards hunderter Millionen Menschen in den sogenannten Emerging Economies, den Aufsteigerstaaten, die auch den Wunsch nach mehr Identität, nach eigenen nationalen Symbolen, nicht selten auch nach einem eigenen politischen Modell stärkten. Seltsamer, aber erklärbarer Widerspruch: Je mehr sich die Welt vernetzte, je mehr universelle Marktwerte und politische Standards galten, desto mehr wuchs der Wunsch nach Abgrenzung, kultureller Identität und Messbarkeit.

Kümmerliches Erbe

Die USA hatten in diesem Moment für ihren globalen Führungsanspruch aber nur eine nationale Hülle zu bieten. Oder wie indisch-stämmige Außenpolitik-Analyst Fareed Zakaria feststellte: "Amerika hat mit seiner großartigen, historischen Mission Erfolg gehabt: die Welt zu globalisieren." Aber dabei hat es versäumt, sich derselben Kur zu unterziehen.

So hinterlässt George Bush am Ende seiner Präsidentschaft von acht Jahren ein kümmerliches Erbe: Die Nation verunsichert bis ins Mark; zehn Billiarden Dollar Schulden, Tendenz steigend; das Militär in zwei Kriege verstrickt, die mit herkömmlichen Vorstellungen von Sieg oder Niederlage nicht zu beenden sein werden; Amerikas Vorbildrolle auf der ganzen Welt geschwächt; ideologische Rivalitäten weltweit; traditionelle Vorstellungen von Bündnis und Freundschaft beschädigt. Die wilsonische Idee der amerikanischen Sonderrolle, das gerade den Republikanern so vertraute Sendungsbewusstsein steht in Frage.

Viele amerikanische Analysten sprechen bereits von der "sanften Landung", der behutsamen Wiedereingliederung des Landes in die Reihe der Gleichgesinnten, von der Phase der Selbstbescheidung.

Aber ist die Zerknirschung nicht verfrüht, angesichts der nackten Marktdaten im geopolitischen Spiel? Amerikas Militär ist noch immer jedem potentiellen Herausforderer weit überlegen. Chinas strategische Ambitionen sind begrenzt, selbst das iranische Bedrohungspotential schrumpft auf ein Maß, das mit den Mitteln der Abschreckung leicht zu ertragen ist.

Russlands energiepolitisches Erpressungspotential sinkt mit dem Ölpreis, und alle aufstrebenden Ökonomien werden ihre Ambitionen zügeln müssen, solange die Volkswirtschaft Nummer eins ihre Nachfrage drosselt - und das ist nun mal die amerikanische. Um internationalen Einfluss und Durchsetzungskraft zu messen, reichen aber Panzerketten und Kaufkrafttabellen nicht aus. Die wahre Währung im Wettbewerb der Ideologien heißt: Legitimation, Glaubwürdigkeit.

Die Idee Amerika funktionierte, solange Amerika im Wettstreit der Ideologien, der Kulturen und der Freiheit mehr bot, als es abverlangte. Nun, am Ende der alten Ideologien, werden neue Antworten gesucht auf die Frage, wie viel Demokratie sein muss, wie viel Liberalität, wie viel Markt und wie viel Gerechtigkeit. Ein neuer Wettbewerb ist ausgebrochen um die perfekte Ideologie für das post-ideologische Zeitalter.

Wer also gibt sie, die Antwort auf die Frage nach der besten Gesellschaft, in der nationale Gefühle und die angenehmen Seiten der globalisierten Welt Platz haben, in der es gerecht und sozial zugeht, in der die Rettung des eigenen Planeten zum weltweiten Megathema wird, in der sich die Heterogenität der Welt widerspiegelt, ohne dass sie die Spannungen dieser Welt austragen muss?

Amerika hat sich zunächst auf ein Symbol verständigt. Ein kraftvolles Symbol: Barack Obama, einen schwarzen Präsidenten, in dem sich so viele auf der Welt spiegeln können. Obama ist der Globalisierungs-Präsident, weil er auch eine neue Sprache spricht, ohne seine Ideologie bisher preisgegeben zu haben. Ob er Amerikas Niedergang aufhalten, ob er das Land gar wieder stärken kann, ist aber ungewiss.

© SZ vom 09.12.2008/hgn/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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