SZ-Serie: Die großen Spekulanten (23):Das Leben des Brian Hunter

Lesezeit: 6 Min.

Mit Wetten auf den Gaspreis verzockte der kanadische Hedgefonds-Manager Milliarden. Jetzt ist er zurück - und macht mit der alten Strategie wieder Geld.

Catherine Hoffmann

Was für ein schönes Wort: Amaranth. So heißt die Blume Tausendschön, der Name wurde aus dem Griechischen entlehnt und bedeutet "unverwelklich", amárantos.

Das "a" verneint, was die Araber unter marainein verstanden, vertrocknen und verwelken nämlich. Wie blitzschnell so eine imaginäre Blume verblühen kann, fanden Anleger zu ihrem Bedauern im September 2006 heraus. Sie hatten 4,5 Milliarden Dollar verloren, die Hälfte des Geldes, das in dem Hedgefonds Amaranth steckte - in nur einer Woche.

Wunderknabe der Finanzmärkte

Die Zahl stieg bald auf mehr als sechs Milliarden Dollar. Mehr Vermögen hat ein Hedgefonds noch nie eingebüßt. Der Skandal um Long Term Capital Management (LTCM) hatte 1998 "nur" vier Milliarden Dollar gekostet - genug, um das globale Finanzsystem in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Der Mann, der vor zwei Jahren die Milliarden verspielte und Amaranth Advisors durch eine fehlerhafte Einschätzung des Gaspreises in den Ruin trieb, ist Brian Hunter.

Er galt als Wunderknabe der Finanzmärkte und leitete damals die Energieabteilung der Hedgefonds-Gesellschaft aus Greenwich, Connecticut. Hunter gehörte zur illustren Szene der Öl- und Rohstoffspekulanten, die auf Preisschwankungen an den internationalen Handelsplätzen setzen. Im Jahr 2005 hatte der Fondsmanager seinem Arbeitgeber mit Wetten auf steigende Energiepreise noch rund eine Milliarde Dollar Einnahmen gebracht.

Hunter war das, was Erfolgsautor Nassim Taleb einen "Narren des Zufalls" nennt: ein Zocker, der sein Glück an den Terminbörsen sucht und Erfolge seinem außerordentlichen Talent, ja Genie zuschreibt.

Dabei hat er sich nur in den Klauen des Zufalls verfangen. Es ist der altbekannte Irrtum, dem auch viele Spieler im Casino erliegen: Nach einem Geldregen werden sie gierig, wollen die Glückssträhne verlängern und gehen höhere Risiken ein, um den Triumph zu wiederholen - bis sie scheitern, weil sie eben keine Genies sind. Auch Hunter verpasste den richtigen Moment, um seine Chips vom Roulettetisch zu nehmen, wie das Wall Street Journal süffisant bemerkte.

Eigentlich hätte er es besser wissen müssen. "Jedes Mal, wenn du glaubst zu verstehen, was die Märkte bewegt, passiert etwas anderes", gestand der Händler wenige Monate vor dem Debakel in einem Interview. Futures auf Rohstoffe wie Öl und Gas sind außerordentlich launische Wertpapiere. Der Traum vom schnellen Reichtum mit diesen Spekulationsinstrumenten wird schnell zum Albtraum, denn der Verlust kann höher sein als der Einsatz. Doch man muss kein Crack sein, um die Mathematik der Hedgefonds-Manager zu verstehen: Kopf heißt, du gewinnst - Zahl bedeutet, du verlierst. So einfach ist das.

Talent für komplexe Modelle

Hunter hat Mathematik und Physik studiert. Er wuchs im kanadischen Farmland in der Umgebung von Calgary auf, wo der Geist des Wilden Westen weiterlebt und ein Mann mit Cowboy-Hut sich im Büro ebenso sehen lassen kann wie auf der Ranch. Der globale Finanzjongleur in spe wurde in der Provinz groß. Als Student verdiente er sich während der Semesterferien ein paar Dollar auf Ölbohranlagen im Norden des Landes. Große Sprünge waren nicht drin. Seine ganze Energie steckte er ins Studium an der Universität von Alberta. Ein Professor entdeckte sein Talent für komplexe mathematische Modelle und Derivate.

Nach dem Examen arbeitete der damals 24-Jährige für das Pipeline-Unternehmen Trans-Canada Corp. Dort startete er seine ersten Versuche mit dem Handel von Erdgas-Optionen. Er fiel seinem Chef auf, weil er Preisanomalien am Markt frühzeitig erkannte. Hunter durfte deshalb immer größere Geldbeträge in die Termingeschäfte investieren. Es lief gut für ihn. Doch schon bald trieb es den ehrgeizigen Computerfreak raus aus dem Pipeline-Geschäft, fort aus Kanada.

Er wechselte ins Zentrum der Hochfinanz, zur Deutschen Bank nach New York City. Dort war er für Gastermingeschäfte zuständig und verschaffte seinem Unternehmen Millionen-Dollar-Gewinne. Die Bank dankte es ihm mit einem hohen Gehalt plus Bonus. Im Jahr 2002 habe er 1,6 Millionen Dollar verdient, berichtete das Wall Street Journal. Doch dann, Ende 2003, fuhr seine Mannschaft plötzlich enorme Verluste ein. Im Februar 2004 trennte sich die Deutsche Bank von Hunter und verweigerte ihm die erhofften Bonuszahlungen. Es dürfte um viel Geld gegangen sein.

Obwohl man im Streit auseinanderging und böse Zungen Hunter als "tickende Zeitbombe" beschrieben, hatte der keine Mühe, einen neuen Job zu finden. Er bekam ein Angebot von Nick Maounis, dem Chef von Amaranth Advisors. Der Hedgefonds, der auch an den Rohstoffmärkten sein Glück versuchte, galt unter Anlegern als heißer Tip. Es war die Aussicht auf das schnelle Geld, die die Menschen lockte. Der Boom der Weltwirtschaft und besonders die hohe Nachfrage aus China haben die Rohstoff- und Energiemärkte in einen Rauschzustand versetzt. Die Preise für Stahl und Kupfer, Öl und Gas schnellten in die Höhe. Am Anstieg, aber mehr noch an den großen Schwankungen der Rohstoffpreise, können Hedgefonds prächtig verdienen.

Amaranth hatte unmittelbar nach der spektakulären Pleite von Enron als einer der ersten Hedgefonds ein Energie-Portfolio aufgebaut. Hunter sollte helfen, das Depot zu managen.

Mit seinen erfolgreichen Spekulationen wurde der Kanadier schnell zum Star der Firma. Zum Dank durfte er seinen Arbeitsplatz von Greenwich in seinen Heimatort Calgary verlegen.

Spaß mit Rodeo

Von dort aus handelte er mit Erdgas-Kontrakten und frönte in seiner Freizeit dem Rodeo. Im Sommer, so erzählt man sich, fuhr er Ferrari, im Winter Bentley. Für sein Schalten und Walten bei Amaranth wurde er reich entlohnt. Wie viele Hedgefonds-Manager, die schnell zu großem Reichtum gelangt sind, scheut er die Öffentlichkeit. Fotos des Finanzjongleurs sind noch schwerer aufzutreiben, als Geld in einem legendären Hedgefonds anzulegen.

Mit seinen Gaspreisgeschäften macht Hunter 2005 ein Vermögen. Er setzt darauf, dass sich die Preisdifferenzen zwischen Erdgaskontrakten unterschiedlicher Laufzeiten verschieben. Der Hasardeur lag mit seinen Wetten richtig. Die beiden verheerenden Wirbelstürme Rita und Katrina hatten den Preis für Erdgas auf ungeahnte Höhen katapultiert und Hunter zur Hedgefonds-Legende gemacht. Man hielt ihn für so ausgebufft, dass er immer mehr Geld in die Hände bekam. Hunter baute die Erdgas-Anlagen von Amaranth immer weiter aus - von sieben Prozent auf die Hälfte des gesamten Firmenvermögens.

Zeitweise hielt der Fonds 100 000 Erdgaskontrakte - ein Fünftel des Jahresverbrauchs der US-Haushalte. Im Sommer 2006 bewegte der Fondsmanager mit seinen Spekulationen sogar den Erdgaspreis. An einem Tag mit besonders heftigen Preisschwankungen soll Hunter einem Mitarbeiter gesagt haben: "Junge, das wird uns eine CFTC-Untersuchung bescheren." Die US-Terminmarktaufsicht CFTC beschuldigte Hunter später, den Gasmarkt manipuliert zu haben. Doch zunächst verstand es der Händler, seine gigantischen Geschäfte geschickt zu verschleiern.

Er drehte ein großes Rad. In den ersten acht Monaten des Jahres 2006 häufte Hunter einen Gewinn von zwei Milliarden Dollar an. In der Hoffnung auf eine fatale Hurrikan-Saison im Herbst 2006 wettete der Starhändler von Amaranth darauf, dass Erdgas im März 2007 teurer sein wird als im April. Das Geschäft ging gründlich schief, weil kein kapitaler Wirbelsturm in dieser Saison seine zerstörerische Bahn über die Küste der USA zog.

Prekäre Wetten

Die Konkurrenz von Amaranth wusste um die prekären Wetten von Hunter - und hielt dagegen. Das verschärfte die Lage. Der Gaspreis fiel von zwei Dollar je 1000 Kubikfuß auf wenig mehr als 60 Cent. Das war eine gute Nachricht für Verbraucher, aber eine wirklich schlechte für Amaranth und seine Kunden. Ohne die erwartete Naturkatastrophe verloren sie viel Geld. Binnen weniger Tage wurde aus einem Jahresgewinn von 27 Prozent ein Verlust von 35 Prozent. 6,5 der einst neun Milliarden Dollar Fondsvermögen waren weg. Es war das Aus von Amaranth.

Verlierer der Pleite sind etliche Großinvestoren, darunter Pensionskassen aus Nordamerika, die die Alterssicherung von Bürgern verwahren. Hunter hat dagegen allein im Jahr 2005 zwischen 75 und 100 Millionen Dollar Prämien bekommen, bevor er den Fonds ruinierte. Haften muss er für sein Versagen nicht - ebenso wenig wie Amaranth-Gründer Nick Maounis. Der entschuldigte sich bei seinen Kunden mit den Worten: "Wir fühlen uns schlecht, weil wir unser Geld verloren haben. Wir fühlen uns noch viel schlechter, weil wir Ihr Geld verloren haben." Schuld am Desaster war das gute Wetter - nicht etwa die exzessive Risikobereitschaft von Hunter. Im Herbst 2006 hat Amaranth den Mann aus Calgary gefeuert.

Jetzt versucht der Pleitier sein Comeback. Schon Anfang 2007 hatte er einen eigenen Hedgefonds namens Solengo Capital aufgelegt. Doch das Startup wurde durch die Energiemarktaufsicht FERC gebremst. Hunter verkaufte Solengo an die Peak Ridge Capital Group, die ihn als Berater eines "einzigartigen Hedgefonds" engagierte, so die Eigenwerbung. Anlegern werden "überdurchschnittliche Erträge" versprochen - bei gleichzeitig "reduziertem Risiko". Tatsächlich machte der Fonds im ersten Quartal dieses Jahres knapp 50 Prozent gut. Das Pikante daran: Die Handelsstrategien haben sich seit Hunters Zeit bei Amaranth kaum verändert. Dazu gehört schon eine Menge Chuzpe.

Gier und Größenwahn sind eben feste Größen im Hedgefonds-Geschäft. Es finden sich auch immer wieder Anleger, die glauben, dass es das phantastische Tausendschön gibt. Sie sollten sich die Geschichte der Wunderpflanze Amaranth in Erinnerung rufen: Die Spanier untersagten den Anbau des Krauts im 16. Jahrhundert - unter Androhung der Todesstrafe. Nach dem Verbot geriet die Amaranth für Jahrhunderte fast völlig in Vergessenheit.

© SZ vom 24.6.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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