Sein Vater Simon wandert aus Osteuropa ein, wo sie Juden brauchen, aber nicht schätzen. Simon flickt als Chirurg im amerikanischen Bürgerkrieg Soldaten der Südstaaten zusammen; das sind so die Umstände, in die Bernard Mannes Baruch im Jahr 1870 hineingeboren wird. Er hat es nicht einfach. Ein Sportunfall lässt Baruchs linkes Ohr taub. Er ackert in einer Mine in Cripple Creek/Colorado, wörtlich Fluss der Krüppel.
Es sind aber andere, nicht Baruch, die dort Jahre später viel Gold finden. Er heuert als Lehrling bei einem Börsenmakler in New York an, als ganz kleines Licht. Doch später wird Bernard Mannes Baruch ein großes Vermögen anhäufen, er wird die Mächtigen der Erde beraten und den Ausgang von Weltkriegen beeinflussen. Er wird es allen zeigen.
Seine Biografen notieren erstaunt, wie schnell der Börsenlehrling Baruch lernt. Der junge Mann steigt kurz vor dem Jahr 1900 vom Lehrling zum Teilhaber beim Bankhaus A.A. Housman auf, er wettet oft gegen kurzfristige Marktbewegungen, denen andere hinterherlaufen.
Investitionen in Radiotechnik und Autos
Oft zahlt sich das aus. Baruch selbst widerspricht der These, Erfolg an den Finanzmärkten habe vor allem jener, der im Auf- und Abschwung den richtigen Moment erwische: "Das perfekte Timing gibt es nicht. Wer das sagt, der lügt." Baruch bezeichnet sich stolz als Spekulanten, er meint damit besonders "speculari", den lateinischen Ursprung des Wortes, der "spähen" bedeutet und "beobachten".
Kein hektisches Kaufen und Verkaufen ist das, sondern etwas Durchdachtes, ein Sichten von Gelegenheiten. Als Spekulant versucht Baruch, Entwicklungen seiner Zeit zu erkennen. Ende des 19. Jahrhunderts befindet sich die amerikanische Wirtschaft im Wandel. Stahl-, Öl- und Eisenbahnfirmen schließen sich zusammen, es ist eine Zeit zum Reichwerden. Baruch wird reich.
Zur Jahrhundertwende, mit dreißig, besitzt er drei Millionen Dollar, damals sehr viel Geld. Um sein Vermögen zu mehren, versucht er später neue Entwicklungen zu erahnen. In den Zwanziger Jahren investiert er in Radiotechnik und Autos, die erst vor ihrem Siegeszug stehen. Dem Börsencrash 1929 soll er weitgehend entgangen sein, und der britische Premier Winston Churchill, so heißt es, war lebenslang dankbar, weil ihm Baruch rechtzeitig zum Verkaufen riet.
Gutes tun und davon reden
Nur der Biograf James Grant streut Zweifel, ob der Meisterspekulator wirklich immer so geschickt agierte. Und er nennt eine Quelle von Baruchs Reichtum, die vor hundert Jahren akzeptiert war, heute jedoch zum Himmel stinken würde:
Insiderwissen über baldige Entscheidungen in Firmen, die den Kurs steigen lassen. Fest steht, dass der Jude Baruch spätestens im depressions-geschüttelten Amerika der dreißiger Jahre für manche zur Fratze des hässlichen Spekulanten mutierte. Er hätte womöglich noch viel mehr Zorn auf sich gezogen, hätte er nicht früh angefangen, sich neu zu erfinden: Als politischer Akteur, der Gutes tat und es andere wissen ließ.
Lesen Sie im zweiten Teil, wie Spekulant Baruch im Ersten Weltkrieg an der deutschen Niederlage beteiligt war - und wie er auch politisch immer mehr Einfluss bekam.
Baruch handelte aus Pflicht wie aus Neigung, eine Mischung aus Motiven, wie sein Leben ohnehin stets in mehreren Farben schillerte. Er war ein harter Arbeiter, der sich für die Geldanlage bergeweise Wissen über Wirtschaftstrends anlas, aber auch mal 10.000 Dollar beim Bakkarat verzockte. Er liebte Frau und Kinder, ohne von anderen Bekanntschaften zu lassen, die ihm sein Charme und vielleicht auch sein Geld eintrugen.
Er spendete für die Rettung von Magazinen wie Vogue oder Vanity Fair und benutzte Journalisten als Sprachrohr. Er lebte großzügig in Hotelsuiten, privaten Eisenbahnwaggons, Landsitzen - und trat ohne Zögern in den Dienst seiner Nation, als diese seiner dringend bedurfte.
Aufsichtsfunktionen in der Kriegswirtschaft
1917, mitten im Ersten Weltkrieg, ist es soweit. US-Präsident Woodrow Wilson beruft Baruch an die Spitze von Gremien, die die Kriegsproduktion organisieren, "er bekommt faktisch die Kontrolle über die ganze Wirtschaft", wie die New York Times schreibt. Ein Jahr später hat das Deutsche Reich den Krieg verloren. General Paul von Hindenburg, den viele Deutsche für einen Helden halten und der 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennen wird, dieser Hindenburg also behauptet: "Deutschland wurde von Baruch besiegt".
Wie viel immer daran antisemitische Propaganda ist, Bernard Baruchs Leistungen sind unbestritten und werden beim Weltkriegssieger USA anerkannt. Fünf Dekaden lang wird er zur Größe in der Politik, ohne je ein Ministeramt anzustreben, er bleibt der Berater wechselnder Präsidenten bis zum Vietnam-Krieg.
Anfang der dreißiger Jahre sieht Baruch den Anti-Semitismus in Europa heraufziehen, selbst bei seinem Bekannten Winston Churchill, über den er nachher seiner Freundin anvertraut: "Churchill bewunderte Mussolini. Und wenn es Hitler dabei hätte bewenden lassen, nur Kommunisten und Juden zu töten, hätte Churchill mit ihm wohl wie viele andere kein Problem gehabt". Baruch rät, gegen Deutschland vorzugehen, doch seine Warnungen werden lange ignoriert, und man mag sich nicht ausmalen, was er den Juden hätte ersparen können, wenn er Gehör gefunden hätte. Nachdem Deutschland die Welt in einen neuen Krieg gezogen hat, wird Baruch wieder mit Aufsichtsfunktionen in der Kriegswirtschaft betraut.
Mann der Wirtschaft im Dienst der Politik
Als 1945 sechs Millionen Juden erschlagen, erschossen und vergast worden sind, wird aus Bernard Baruch kein ewiger Feind der Deutschen. Er wendet sich nach anfänglicher Unterstützung gegen den Morgenthau-Plan, Deutschland zu entindustrialisieren. Später befindet er, ohne eine Wiedervereinigung könne es keine echte Abrüstung geben. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Spekulant längst auf einer neuen Mission.
1948 schlägt er hellsichtig vor, Atomwaffen, die neue apokalyptische Bedrohung, unter die Kontrolle der Vereinten Nationen zu stellen. In einer Rede vor der UN in New York erklärt er: "Wir müssen uns entscheiden, zwischen Frieden auf der Welt und totaler Zerstörung. Wir sind hier, um eine Wahl zu treffen: Zwischen schnell und tot." A.M. Rosenthal, langjähriger Chefredakteur der New York Times, erinnerte vor einer Weile an diese Rede und schrieb: "Wir haben niemanden mehr unter uns von seiner Genialität und Menschlichkeit, um uns Rat und Führung zu geben".
Bernard Mannes Baruch war ein Mann der Wirtschaft, der sich in den Dienst der Politik stellte, statt wie andere nach der Politik zu schreien, wenn die Geschäfte schlecht laufen oder sie an den Selbstheilungskräfte des Marktes zweifeln. Die etablierten Wall-Street-Banker misstrauten dem Außenseiter, der an der Wall Street reich wurde, lebenslang für die Demokratische Partei eintrat und das Wettrüsten stoppen wollte. 1965 starb Baruch, er wurde 94 Jahre alt.