Am liebsten hätte er ihn vom Hof gejagt, diesen Oppenheimer. Erst drei Jahre war es her, da hatte Leopold I., Herrscher des Hauses Habsburg und deutscher Kaiser, alle Juden aus Wien vertrieben. Keinem einzigen hatte er seitdem den Aufenthalt in der stolzen Kaiserstadt erlaubt. Und jetzt wollte ausgerechnet Oppenheimer, dieser "Judt von Haydelberg", sein Kriegskommissar werden.
Wären da nicht die Feldherren gewesen, die, verstreut über ganz Europa, darauf drängten, dass sich der Kaiser für Oppenheimer entscheiden sollte. Wären da nicht die Beamten der Hofkammer gewesen, die den Haushalt einfach nicht in den Griff bekamen. Wäre da nicht dieser taumelnde Vielvölkerstaat, sein Reich, gewesen, das sich von Tag zu Tag mehr aufzulösen drohte. Dann hätte Kaiser Leopold diesen Oppenheimer wohl nie als Kriegskommissar berufen.
Eine Aufgabe, mit der man sich nur unbeliebt machen konnte
So aber musste Leopold, misstrauisch und alles andere als begeistert, dem Heidelberger Samuel Oppenheimer die Versorgung seiner Armee anvertrauen. Aufgabe des Kriegskommissars war es, die Truppen mit Munition und Proviant zu versorgen. Ein Job, mit dem man sich nur unbeliebt machen konnte. Denn am Ende war der Kriegskommissar immer der Sündenbock. Wurde ein Feldherr in einer Schlacht besiegt, war gewohnheitsmäßig der Kriegskommissar schuld - er hatte nicht rechtzeitig für Nachschub an Munition und Proviant gesorgt.
Für diese undankbare Aufgabe war es leichter, jüdische Unternehmer zu gewinnen. Sie konnten mit Titeln und Privilegien an die Höfe der Absolutisten gelockt werden, weil sie keine Rechte hatten. Im Dreißigjährigen Krieg machten sich jüdische Kommissare unersetzlich. Ein schwedischer Diplomat sagte: "Alle Juden sind Kommissarii, und alle Kommissarii sind Juden." So war ein Netzwerk unter jüdischen Kaufleuten entstanden, das sich über ganz Europa spannte. Und am Wiener Hof saß eben Samuel Oppenheimer.
Die Türken vor Wien
Ein Jahr saß er dort als Kriegskommissar, als er dem Kaiser vorschlug, das gesamte Proviantwesen im Reich zu leiten - und zwar auf eigene Rechnung. Er könne, so Oppenheimer, hunderttausend Zentner Mehl und jedes erforderliche Quantum Hafer an jeden beliebigen Platz schaffen. Kein anderer Lieferant sei befähigt, dies zu leisten. Er wolle persönlich an Ort und Stelle sein Werk überwachen, und nicht wie bisher einem Gesandten die Vollmacht überlassen. Kaiser Leopold war geschockt. Der Herrscher wollte auf keinen Fall, dass die Hoheit über die Finanzen seines Reiches in den Händen eines Juden lag. Aber er konnte nicht anders, als Oppenheimer sein Okay zu geben.
Denn Leopold stand nicht nur innenpolitisch unter großem Druck. Der Türke Kara Mustapha und seine Truppen waren gerade ins österreichische Staatsgebiet eingefallen, und es war nur noch eine Frage von Tagen, bis sie vor Wien stehen würden. Allein Oppenheimer war in der Lage, die Versorgung der Armee zu sichern. Als 1683 die Türken vor den Toren der Stadt erschienen, beugte sich Leopold den Forderungen Oppenheimers. Der Jude aus Heidelberg war nicht nur am billigsten im Vergleich zu anderen Lieferanten, er war auch am demütigsten gegenüber dem Kaiser.
Den Vertrag aber genehmigte Leopold erst, als er selbst schon vor den Türken nach Passau geflüchtet war. Kanonendonner erschütterte unterdessen die Kaiserstadt an der Donau. Die Wiener sahen das ganze Abendland vom Islam bedroht. Nun lag es an Oppenheimer, die nötigen Gegenkräfte zu mobilisieren. Er musste mehrere Tage und Nächte durcharbeiten, um genug Hafer aufzutreiben, damit die Kavallerie nicht in Futternot kam. Und es gelang ihm.
Hunderte Schiffe und Festungen
Als die österreichischen Truppen nach der Befreiung Wiens hinter dem fliehenden Feind herjagten, schickte ihnen Oppenheimer Handgranaten und Pulver, Lunten und Pistolen. Er besorgte Flöße, um Truppen aus dem Reich auf dem Wasser der Donau heranzuschaffen, er beförderte Reiterregimenter von Braunschweig nach Böhmen und rüstete alle Festungen in Ungarn, Albanien, Siebenbürgen und Serbien aus.
Am meisten Sorgen machte er sich um Ofen (alter deutscher Name von Buda, dem westlichen Teil Budapests); dorthin schickte er die größten Mengen an Proviant, Munition, Kleidung, Tabak und Branntwein. Um das gerade eroberte Belgrad zu sichern, orderte er hunderte große Schiffe, Spital- und Feldeinrichtungen sowie Material zum Bau von Schiffsbrücken. Nichts entging seiner Aufmerksamkeit.
Oppenheimer verfolgte akribisch die Aktionen der Feldherren und Truppen, berechnete die Haushaltslage anderer Staaten und machte sich so ein Bild über die wirtschaftliche Lage von Europas Regierungen. Der Heidelberger trieb seine Gesandten, Korrespondenten und Agenten an, immer mehr zu leisten. Nur so war es möglich, dass er bekam, was er wollte: Pulver und Tücher aus Holland, Wolle und Salpeter aus Böhmen, Waffen und Munition aus Kärnten.
Monate im Gefängnis
Oppenheimer war selbst ein Getriebener. Mochten auch seine Schiffe havarieren, seine Waren beschlagnahmt, seine Transporte aufgehalten werden oder seine Geldsendungen verloren gegangen sein - nie verlor er den Willen weiterzumachen. Auch dann nicht, wenn ihm "boshafte, gewissenlose, passionierte Leute", wie er schrieb, versuchten zu schaden. Man plünderte sein Haus, vernichtete Geschäftspapiere. Seine Angestellten, sein Sohn und er selbst verbrachten immer wieder Monate im Gefängnis. Aber genau das stärkte seinen Mut durchzuhalten.
Am Wiener Hof löste Oppenheimer erregte Debatten aus. Der Kaiser, mittlerweile zurück aus Niederbayern, duldete ihn nur widerwärtig. Leopold erkannte zwar öffentlich an, dass ohne Oppenheimer die Armee verloren gewesen wäre, aber das war es auch schon. Es waren vor allem die Feldherren, die immer wieder betonten, dass man nur bekannte Großkaufleute mit Kapital und unbeschränktem Kredit wie Oppenheimer als Lieferanten gebrauchen konnte. Der bekannteste und erfolgreichste der Feldherren war Prinz Eugen, der nicht müde wurde, dem Kaiser seine positive Meinung über den Juden aus Heidelberg mitzuteilen.
Im Jahr 1692 versuchte Kaiser Leopold ein letztes Mal, den ihm verhassten Juden loszuwerden. Es müsse doch einen christlichen Kaufmann geben, der den Job genauso gut machte. Also setzte er Kardinal Kollonitsch, einen prominenten Verfolger der Protestanten und Juden, als Präsidenten der Hofkammer ein. Für Kollonitsch waren Juden "schädliches Unkraut". Er wollte Oppenheimers Monopol zerbrechen und ihn durch andere Lieferanten ersetzen. Einmal gab er ohne Wissen der Beamten der Hofkammer einem gewissen Herrn Vogel den Auftrag, Markgraf Ludwig von Baden und seine Rheinarmee zu versorgen. Aber das ließ sich der Markgraf nicht gefallen. Voller Zorn schrieb er an den Kaiser - und der entließ den Kardinal.
Das Reich stürzt ins Chaos
Das Geheimnis von Oppenheimers Erfolg lag in seinem Netzwerk im ganzen Reich. Überall hatte er Verbündete sitzen. In Frankfurt am Main Schwiegersöhne, in Heidelberg seinen Bruder Moses, in Hannover seinen Sohn Wolf, in Italien seinen Enkel Löw, in Amsterdam eine verschwägerte Familie. Auch andere bekannte Hofjuden waren für Oppenheimer tätig: Aron Beer in Frankfurt, Moyes Isaak in Bamberg sowie der bayerische Hoffaktor Samuel Ullmann.
Oppenheimer starb im Jahr 1703. Sein Tod stürzte Österreichs Staat in eine tiefe Krise. Es war das kritischste Regierungsjahr Leopolds I. Die Hofkammer kannte sich mit den Spekulationsgeschäften Oppenheimers nicht aus. Darüber wusste nur er selbst Bescheid. Also verhängte der Kaiser Konkurs über den Nachlass des Juden. Das war so, als ob er sich selbst einen Dolchstoß verpasst hätte, denn die Kreditwürdigkeit des Reichs war eng mit Oppenheimer verknüpft - auch nach dessen Tod.
Nirgends mehr bekam man Geld. Große Teile der Truppen im Reich verhungerten. Feldherr Prinz Eugen sagte, er würde lieber in einem ungarischen Dorf schwarzes Brot essen, als dieses Leben noch länger zu führen. Spätestens jetzt wurde auch Leopold klar, wie abhängig der österreichische Staat von seinem verstorbenen, verhassten Hofjuden gewesen war. Also setzte er dessen Söhne Emanuel und Wolf als Chefs der Hofkammer ein. Sie wussten noch am ehesten, wie ihr Vater zu Kredit kam.
Oppenheimers Söhne sollen helfen
Beim letzten Türkenkrieg drängte der Kaiser dann darauf, Sublieferanten einzustellen. Immer häufiger stellte er auch christliche Kaufleute wie den judenfeindlichen badischen Kammerrat Mohr von Mohrenfeld ein. Samuel Oppenheimer wurde zu Lebzeiten für seine Leistungen nicht geschätzt, schon gar nicht geehrt. Außer wertlosen Titeln - auf die man in Österreich aber nach wie vor viel Wert legt - bekam er vom Kaiser keine Belohnung für seinen Einsatz.
Nach seinem Tod wurde Oppenheimer einfach vergessen. Bitter in einer Stadt wie Wien, in der man normalerweise wenigstens nach dem Tod für seine guten Taten geschätzt wird. Doch Oppenheimer war eben Jude, für viele seiner Zeitgenossen ein Makel sondergleichen. Es gebe etwas, das nicht zu ändern sei, sagt schon der Herr Professor Robert in Thomas Bernhards in Österreich so umstrittenen Theaterstück "Heldenplatz": "Die Wiener sind Judenhasser. Und sie werden Judenhasser bleiben."