SZ-Serie: Die großen Spekulanten (18):Vulgär, verschlagen und sehr vermögend

Lesezeit: 6 Min.

Der Räuberbaron James Fisk war der Meister der schmutzigen Tricks an der Wall Street im 19. Jahrhundert - bis ihm eine Romanze zum Verhängnis wurde.

Nikolaus Piper

Als der amerikanische Bürgerkrieg 1865 zu Ende war, begann das Zeitalter der Räuberbarone. So bezeichnet man jene rücksichtslosen Urkapitalisten, die sich in der damals praktisch unregulierten Wirtschaftswelt der Vereinigten Staaten märchenhafte Profite sicherten. Der wildeste diese Räuberbarone war James Fisk. Der Sohn eines Hausierers aus Brattleboro in Vermont steckte hinter zwei der größten Schmierenstücken der Börsengeschichte: dem Krieg um die Erie-Eisenbahn und dem Schwarzen Freitag von 1869 an der Wall Street.

Ohne Skrupel zum Erfolg: James Fisk kam mit rüden Tricks zu viel Geld. (Foto: Foto: oH)

James oder Jim Fisk galt als einer der geschmacklosesten Männer New Yorks. Ein Zeitgenosse schilderte ihn so: "Er ist ungebildet, vulgär, prinzipienlos, verschwenderisch und macht sich ständig selbst lächerlich durch ein Stück offensichtlichen Pomps, das er zur Schau stellt." Er trug knappe Westen, die seinen mächtigen Bauch unterstrichen, sein Schnurrbart war an den Enden gezwirbelt und hatte "die Farbe einer Jersey-Kuh". Wegen seiner Liebe zu Phantasie-Uniformen wurde er auch "Jubilee-Jim" genannt. Frauen pflegte er gewohnheitsmäßig in den Po zu kneifen.

Geschäftschancen im Bürgerkrieg

Bereits mit zwölf Jahren hatte Jim die Schule abgebrochen und seinen Vater begleitet, wenn dieser mit dem Hausierer-Wagen in Vermont und Connecticut unterwegs war. Mit 16 verdingte er sich eine Zeitlang bei einem Zirkus, wo er einiges über wirkungsvolle Auftritte lernte.

Als er anschließend wieder zu seinem Vater zurückkehrte, baute er dessen Firma so erfolgreich um, dass daraus ein kleines mittelständisches Unternehmen mit fünf Pferdewagen und mehreren Angestellten wurde. Das beeindruckte einen Großhändler aus Boston namens Eben Jordan so, dass er Jim einen Job, und kurz darauf die Partnerschaft anbot.

Dann kam der 12. April 1861. An diesem Tag fiel der erste Schuss im amerikanischen Bürgerkrieg, und Fisk erkannte sofort die Geschäftschancen: Er zog nach Washington, mietete sich im Willard Hotel nahe des Weißen Hauses ein und empfing reihenweise Kongressabgeordnete und Generäle. Binnen kurzem war er einer der wichtigsten Lieferanten der Nordstaaten-Armee. Fisk kaufte aber auch Baumwolle beim Kriegsgegner in den Südstaaten und schmuggelte die verbotene Ware in den Norden.

Schneller als die offizielle Nachricht

Ermutigt von seinem Erfolg ließ sich Fisk 1864 von Jordan für 65.000 Dollar ausbezahlen und zog nach New York. In der Broad Street, genau gegenüber der Börse, eröffnete er seine eigene Broker-Firma. Von dort aus landete er seinen nächsten Coup. Im Frühjahr 1865 war klar, dass die Südstaaten den Krieg nicht mehr gewinnen konnten; die Anleihen der Konföderierten jedoch wurden in London immer noch gehandelt, und zwar zu einem erstaunlich hohen von 80 Pfund pro 100-Pfund-Anleihe.

Das wollte Fisk nutzen: Als der Südstaaten-General Robert Lee schließlich am 9. April 1865 kapitulierte, schaffte es Jubilee-Jim, ein Schiff mit einem Agenten so schnell über den Atlantik zu schicken, dass er London noch vor der offiziellen Nachricht vom Schlachtfeld erreichte. Der Agent verkaufte Anleihen auf Termin und fuhr einen riesigen Gewinn ein, als der Kurs tags drauf zusammenbrach.

Durch und durch marode

In New York brachte das Glück Fisk wenig später mit einem gewissen Daniel Drew zusammen. Der Ruhm des 68-Jährigen gründete sich ebenso sehr auf seinen Reichtum wie auf sein miserables Englisch und die Tatsache, dass er jedes gegebene Versprechen brach. Das erste Vermögen hatte er gemacht, in dem er Rinderherden den Hudson hinunter in die Schlachthöfe Manhattans trieb. Ehe sie dort ankamen, tat er den Rindern Salz ins Futter. Dadurch wurden sie durstig und tranken entsprechend mehr. Das zusätzliche Wasser bezahlten ihm die Metzger als Fleischgewicht.

Drew war inzwischen der faktische Chef der Erie Railroad geworden, einer Eisenbahngesellschaft, deren Netz New York mit Buffalo an der kanadischen Grenze verband. Die Bahn war durch und durch marode: Die Züge entgleisten oft, weil niemand die Schienen instandhielt, die Fahrpläne waren reine Theorie. Drew war auch gar nicht an den Zügen selbst interessiert, sondern nur an Börsengeschäften. Sein wichtigstes Instrument dabei waren Kapitalerhöhungen: Er emittierte neue Aktien, vorgeblich um neue Schienen zu verlegen, tatsächlich jedoch, um auf eigene Rechnung zu spekulieren. Und dabei wurden James Fisk und seine Broker-Firma zum wichtigsten Partner Drews.

Lesen Sie weiter, wie Fisk ein Eisenbahnimperium ruinierte und einen Börsencrash auslöste - und jedesmal Millionen verdiente.

Das Problem war, dass sich inzwischen Cornelius Vanderbilt für die Erie Railroad interessierte. Der Schiffs- und Eisenbahnmagnat, einer der reichsten Männer der Welt, wollte das Erie-Netz in sein Imperium integrieren. Vanderbilt war so mächtig, dass man ihn in New York allgemein nur "Commodore" nannte. Und Jim Fisk und Daniel Drew wollten es nun mit diesem Commodore aufnehmen.

Anfang 1866 kam er der erste Schritt: Daniel Drew lieh der Erie Railroad aus seinem Vermögen 3,5 Millionen Dollar. Als Sicherheit genehmigte er sich selbst 58.000 Erie-Aktien. Für deren Druck hatte er eigens eine Geheimdruckerei im Keller eingerichtet. Fisk warf diese Aktien auf den Markt, mit dem Effekt, dass der Kurs binnen weniger Tage von 80 auf 50,5 Cent abstürzte. Vanderbilt gehörte zu den größten Verlierern.

Bestechung und Kriegserklärung

Als Reaktion darauf versuchte sich der Commodore mit Drew zu verbünden. Die beiden verabredeten, zusammen den Kurs nach oben zu treiben. Vanderbilt kaufte Erie-Aktien, nur wunderte er sich, dass sich deren Preis kaum bewegte. Es dauerte einige Monate, bis der Commodore merkte, dass Drew und Fisk ihn hereingelegt hatten: Während er Aktien kaufte, hatten die beiden verkauft und auf seine Kosten abkassiert.

Am 17. Februar 1867 erklärte der Commodore Drew und Fisk den Krieg. Er bestach George Robert Gardner, einen Bundesrichter in Manhattan, und veranlasste dass dieser eine einstweilige Verfügung erließ: Drew durfte bis auf weiteres keine Geschäfte mehr im Namen von Erie machen.

Aber Korruption war damals in den USA gängige Praxis, deshalb bedeutete der Richterspruch nicht viel: Fisk reiste mit ein paar Anwälten nach Binghamton, einer Stadt im Bundesstaat New York, die komplett von der Erie-Eisenbahn abhängig war: Dort fand er einen Richter, der Gardners Urteil aufhob und den letzten Vertrauten Vanderbilts aus dem Verwaltungsrat ausschloss. Drew und Fisk genehmigten sich darauf eine weitere Wandelanleihe über zehn Millionen Dollar, offiziell, um Stahl für neue Schienen zu kaufen, tatsächlich jedoch, um Munition im Kampf gegen Vanderbilt zu haben. Am 10. März war der Krieg vorbei. Vanderbilt hatte acht Millionen Dollar verloren. Er hatte 100.000 frisch gedruckter Aktien gekauft, die hinterher für illegal erklärt wurden.

Die Armee kam nie

Tags drauf kam das Gerücht auf, Richter Gardner, im Solde Vanderbilts, werde den kompletten Verwaltungsrat der Erie Railroad verhaften lassen. Fisk packte acht Millionen Dollar in Kisten und setzte zusammen mit seinem Partner Drew nach New Jersey über, unerreichbar für die New Yorker Polizei. Nach ein paar Tagen tauchten ein paar Schläger aus der New Yorker Unterwelt vor seinem Hotel auf und postierten sich mit bedrohlichen Gesten.

Angeblich hatte Vanderbilt 5000 Dollar für jeden ausgesetzt, der Drew nach Manhattan zurückbringen würde. Die Polizei von New Jersey marschierte auf, um Drew und Fisk zu schützen. Angeblich wollte der Commodore eine ganze Armee schicken, um Drew und Fisk zu kidnappen. Diese Armee kam nie. Kein Wunder: Jim Fisk hatte die Geschichte mit der drohenden Verhaftung erfunden - um Vanderbilt wie einen Halunken aussehen zu lassen und sich die Loyalität Drews zu sichern.

Der Sieg im Krieg um die Erie-Bahn war aber Fisk nicht genug. Bereits ein Jahr später landete er seinen nächsten Coup: die Manipulation des Goldmarkts.

Nichts verloren außer der Ehre

Die Regierung in Washington hatte den Bürgerkrieg teilweise durch Inflation finanziert. Sie gab Banknoten aus, so genannte "Greenbacks", die nicht mehr Gold gedeckt waren. Nun, nach dem Ende des Krieges wurde allgemein erwartet, dass Präsident Ulysses Grant die Greenbacks für Gold zurückkaufen würde.

Jim Fisk entwickelte nun mit Jay Gould, einem Partner, den er bei der Erie Railroad kennengelernt hatte, einen Plan: Ehe die Regierung mit den Verkäufen beginnen würde, wollten sie selbst den Goldmarkt beherrschen. Zu dem Zweck bestachen sie den Schwager des Präsidenten, einen Finanzinvestor namens Abel Corbin: Er sollte Grant dazu veranlassen, erst einmal mit den Verkäufen zu warten. Gleichzeitig begannen Fisk und Gould Gold zu horten, was den Preis in die Höhe trieb.

Als der Präsident begriff, was geschah, wies er das Finanzministerium an, sofort zu verkaufen. Am 24. September 1869 brach die Goldspekulation zusammen, begleitet von einer Panik an der Wall Street, die viele Anleger um ihr Vermögen brachte. Die beiden Verschwörer aber konnten vorher ihre Gewinne sichern.

Jedenfalls sagte Fisk danach: "Wir haben nichts verloren außer unserer Ehre." Seinen Reichtum konnte er aber nicht mehr lange genießen. Viele Jahre hatte er in New York eine berühmte Geliebte gehabt: Josie Mansfield, eine stadtbekannte Lebedame, die zeitweise auch als Prostituierte arbeitete. Irgendwann hatte sie aber genug von ihm und verliebte sich in Edward Stokes, einen gut aussehenden Geschäftspartner Fisks.

Stokes und Mansfield, offensichtlich in Geldnot, versuchten Fisk zu erpressen: Sie drohten Briefe zu veröffentlichten, die seine Betrügereien belegten. Doch Fisk war nicht bereit zu zahlen. Am 6. Januar 1872 erschoss Stokes Fisk auf der Treppe eines Hotels am Broadway. Der Räuberbaron wurde ganze 37 Jahre alt.

© SZ vom 20.5.2008/jkf/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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