SZ-Reihe:An der Schwelle

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Die Börsen in den aufstrebenden Staaten haben in diesem Jahr um bis zu 60 Prozent zugelegt. Zum Einsteigen ist es aber möglicherweise zu spät.

Von Harald Freiberger, München

Bei solchen Zahlen können Anleger schon mal in Versuchung geraten: Die Börsen einiger Schwellenländer kletterten in diesem Jahr in schwindelnde Höhen. An der Spitze stehen die Aktienindizes in Argentinien, die um fast 60 Prozent zulegten. In Peru, Chile, der Türkei und Hongkong lag das Plus bei etwa 30 Prozent, in Polen, Brasilien und auf den Philippinen bei deutlich über 20 Prozent. Solche Kursanstiege toppen das ohnehin gute Aktienjahr 2017. Zum Vergleich: In Deutschland und den USA legten die wichtigsten Indizes um 13 bis 16 Prozent zu.

Vor allem aber stellt es die Renditen in den Schatten, die es für sichere Geldanlagen gibt. Die liegen bekanntlich seit Jahren bei null. Auch mancher Privatanleger stellt sich da die Frage, ob er mit einem Investment in den Schwellenländern seine traurige Performance nicht aufpeppen könnte. Typischerweise tut man das mit Investmentfonds oder Indexfonds (ETFs), die sich auf Aktien in Schwellenländern spezialisiert haben.

Der Aufschwung wird zu einem großen Teil von Spekulanten verursacht

Heinz-Werner Rapp, Anlagestratege beim Investmenthaus Feri-Trust, macht da allerdings wenig Hoffnung: "Wir sind nicht euphorisch, was die Schwellenländer betrifft", sagt er. Die starken Kursanstiege in diesem Jahr seien vor allem durch die schwache amerikanische Währung verursacht worden. Nun sei aber zu erwarten, dass der US-Dollar stärker werde, die aufstrebenden Staaten bekämen dadurch Probleme.

Auch ökonomisch befinden sich einige der großen Schwellenländer nicht im besten Zustand. "Ein Risiko ist China, wo sich 2018 das Wachstum spürbar verlangsamen könnte", sagt Rapp. Daran hingen wiederum andere Schwellenländer, die China mit Rohstoffen oder Konsumgütern beliefern. Zudem sei das Wachstum in einer Reihe von Ländern stark kreditgetrieben und deshalb nicht nachhaltig; es bestehe die Gefahr von Verschuldungsblasen, vor allem in Asien, speziell wieder in China. Einige Länder stehen nach Ansicht von Rapp noch relativ gut da und können für risikobereite Investoren attraktiv sein, zum Beispiel Russland. Auch Indien sei interessant, der Riesenstaat bewege sich in eine vielversprechende Zukunft.

Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage. (Foto: SZ-Grafik)

Der Boom der Schwellenländer in den vergangenen 30 Jahren ist von der Globalisierung getrieben. Staaten in Asien, Südamerika und Osteuropa haben es geschafft, sich zu industrialisieren und mit billigen Arbeitskräften weltweit konkurrenzfähig zu sein. Die Folge war ein starkes Wachstum. Während es in den Industriestaaten von 2008 bis 2017 jährlich bei nur 1,1 Prozent lag, schafften die Schwellen- und Entwicklungsländer fünf Prozent. Auch die Prognosen des Internationalen Währungsfonds für die kommenden drei Jahre bewegen sich in dieser Höhe, während es bei den Industriestaaten nur 1,7 Prozent sind.

Das klingt gut, lässt sich aber nicht einfach in einen weiteren Aktienboom übersetzen. Zumal der aktuelle Aufschwung der Schwellenländer-Märkte zu einem großen Teil von spekulativem Geld aus den Industriestaaten getrieben ist. Das viele Geld, das die Notenbanken bereitgestellt haben, suchte sich Rendite, die es in Europa oder den USA nicht mehr gab. Das birgt das Risiko, dass dieses Geld abgezogen wird, wenn die Zinsen in der westlichen Welt wieder steigen. In den USA ist dies bereits der Fall. Werfen sichere Anlagen in den USA mehr Rendite ab, ist es für große Investoren nicht mehr so nötig, in den Schwellenländern zu spekulieren. Außerdem macht die Zinswende der US-Notenbank Fed den Dollar stärker.

Der Schluss daraus: "Es gibt keine überzeugenden Argumente, warum man heute aus dem europäischen Aktienmarkt aus- und in Schwellenländer einsteigen sollte", sagt Rapp. In den entwickelten Staaten gebe es möglicherweise interessantere Chancen, die mit weniger Risiko behaftet seien, zum Beispiel in Deutschland oder Frankreich, spekulativ vielleicht auch in Italien.

Wenn Privatanleger schon in den Schwellenländern investieren wollten, dann besser in Aktienfonds, nicht breit und undifferenziert in den Markt über Indexfonds (ETFs). "Die aktuelle Lage ist eher etwas für Stockpicker, also für Fondsmanager, die tiefe Sachkenntnis haben und interessante Aktien zusammentragen", sagt Rapp. Als Beispiele nennt er den Global-Advantage-Fonds von Michael Keppler oder der Templeton Emerging Markets Fonds.

Der bekannteste Schwellenländer-Index ist der MSCI Emerging Markets, der sich aus 830 Aktien aus 23 Schwellenländern zusammensetzt. Er legte über die vergangenen fünf Jahre jährlich um rund fünf Prozent zu. Das Analysehaus Scope untersuchte im April dieses Jahres, wie spezielle Schwellenländer-Aktienfonds im Vergleich dazu abschnitten. Das Ergebnis: Von 220 solchen aktiv gemanagten Fonds schlug über fünf Jahre nur jeder Dritte den MSCI Emerging Markets bei der Rendite. Zwei von drei waren also schlechter als der Vergleichsindex - nicht gerade ein starkes Argument für die Aktienfonds. Dennoch: Zwölf dieser Fonds hat Scope mit einem Top-Rating versehen (siehe Kasten).

Allerdings ist auch Scope nicht allzu optimistisch, was die nähere Zukunft betrifft: "Ein Zinsanstieg in den USA könnte dazu führen, dass Kapital aus den Schwellenländern fließt und damit die wirtschaftliche Dynamik dort deutlich schwächt." Auch das klingt nicht nach einer Empfehlung an Privatanleger, der derzeit großen Versuchung nachzugeben.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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