Die Gegend zwischen Fulda und Hanau ist nicht das, was man "unberührte Natur" nennen würde. Eine Autobahn verläuft hier, eine viel befahrene Bahnstrecke, eine Stromtrasse. Und manch einer wünscht sich, dass noch eine zweite Stromtrasse dazu kommt. 164 Kilometer lang, einmal quer durch das südöstliche Hessen. Eine Leitung, die eigentlich einen viel kürzeren Weg nehmen sollte, direkt nach Bayern. Doch dann kam die große Politik.
Im Sommer 2015 hatten sich Union und SPD zum Koalitionsgipfel verabredet, es ging um Klimapolitik, Atomausstieg, Ausbau der Stromnetze. Gerade die CSU hatte da einige Wünsche, etwa die Schonung Unterfrankens. Für zwei Leitungen, die ursprünglich nach Grafenrheinfeld bei Würzburg führen sollten, solle die Bundesnetzagentur die Netzbetreiber Alternativen suchen lassen, verlangte CSU-Chef Horst Seehofer - "um eine Entlastung der Region um Grafenrheinfeld zu erreichen".
Stromnetze:Chefsache, gut so
Ob die Energiewende gelingt, hängt nicht nur vom Kohle-Ausstieg ab, sondern auch von vielen langen Leitungen.
Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger zumindest gibt sich gesprächsbereit
Diese Alternativen gibt es mittlerweile, doch was die einen entlasten könnte, würde für andere zur Belastung; vermutlich auch für die Stromkunden. P43 und P44, so heißen die beiden Leitungen, könnten zum neuen Lehrstück in Sachen Sankt-Florians-Prinzip werden. Vor allem in Hessen wächst der Widerstand gegen die Variante von Fulda nach Hanau. "Wir sind bereit, mit allen über alles zu reden", sagt Hessens Energieminister Tarek Al-Wazir. "Aber diese Route ist aus unserer Sicht völliger Unsinn. Da machen wir nicht mit."
P43 und P44 sind keine der großen Gleichstromtrassen, an denen sich vielerorts Widerstand entzündete - und die deshalb nun meist in der Erde verlegt werden sollen. Als Wechselstromtrasse soll etwa P43 an Masten den Strom Richtung Süden führen, von Niedersachsen aus über Hessen. Doch wo sie ursprünglich herunter nach Grafenrheinfeld führen sollte, knickt sie nun vorher nach Westen ab, in den Raum Frankfurt, nach Urberach. Von dort ließe sich der Strom nach Karlsruhe bringen, viele Leitungen gibt es in Urberach nicht. "Und das genau ist das Problem", sagt Al-Wazir. "Um 50 Kilometer Leitungen durch Bayern zu sparen, sollen 250 Kilometer woanders gebaut werden." Andernfalls würden bestehende Leitungen überlastet, sie könnten ankommenden Strom nicht weitertransportieren. "Wir wollen keine politischen, sondern fachliche Trassenführungen", sagt Al-Wazir. Die Netzbetreiber sehen das im Prinzip ähnlich. Grafenrheinfeld, wo einst das gleichnamige Atomkraftwerk Dienst tat, gilt als wichtiger Knotenpunkt. Mit der Alternativ-Leitung P43mod dagegen, so schrieben sie in den Netzentwicklungsplan, entstünden in anderen Leitungen "Netzengpässe jenseits eines tolerierbaren Bereichs". Zwischen Urberach und Karlsruhe "wäre voraussichtlich ein Netzausbau in neuer Trasse über ca. 140 km erforderlich". Jubel dürfte das auch dort kaum hervorrufen. Ob die Variante elektrotechnisch viel Sinn ergibt, daran hegen beteiligte Experten Zweifel. Zitieren lassen wollen sie sich nur ungern damit. Die Angelegenheit ist eben politisch - und sie eilt. Die Leitungen sollen verhindern, dass sich der deutsche Strommarkt in Nord und Süd spaltet.
Wohl auch deshalb lädt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) seine betroffenen Kollegen für diesen Donnerstag nach Berlin. Neben Al-Wazir sind das Bayerns Energieminister Huber Aiwanger (Freie Wähler) und die thüringische Ministerin Anja Siegesmund (Grüne). Thüringen ist von der Trasse P44 betroffen: Auch sie sollte einmal nach Grafenrheinfeld führen, doch dann ersannen die Netzbetreiber wunschgemäß eine ganze Reihe von Varianten. Fett gepunktet laufen sie nun durch Ober- statt durch Unterfranken, teils parallel zur "Thüringer Strombrücke".
Die Dinge liegen hier weniger kompliziert, aber Ärger bringt auch Siegesmund mit nach Berlin. "Wir haben die Thüringer Strombrücke mit vier Systemen bis an die bayerische Grenze gebaut", sagt sie. "Genau bis Mast 77." Dahinter aber gehe sie nur mit zwei Systemen weiter. "Damit lässt sich die Hälfte der Kapazität nicht nutzen." Das lasse sich Bürgern in Thüringen kaum mehr erklären, klagt Siegesmund. . Die Trasse auf bayerischer Seite auszubauen, sei die vernünftige Alternative zu P44 und das Ziel der Thüringer Bemühungen.
Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger zumindest gibt sich gesprächsbereit. Bei dem Treffen in Berlin müssten alle Beteiligten die unterschiedlichen Positionen erörtern, sagt er. "Es zeigt sich immer mehr, dass der Widerstand bei der Bevölkerung vor Ort gegen neue Stromtrassen umso größer wird, je konkreter die Planungen werden." Statt immer neue Trassen zu bauen, müsse der Süden der Republik "wieder auf eigene Energieerzeugung bei uns vor Ort setzen", sagt Aiwanger.
Es könnte auf eine ganz neue Variante hinauslaufen: P43nix, P44nix. Eine allerdings, von der viele Experten rein gar nichts halten.