Stromnetze:Chefsache, gut so

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Jeder braucht sie, keiner will sie: Hochspannungsmasten in der Landschaft. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ob die Energiewende gelingt, hängt nicht nur vom Kohle-Ausstieg ab, sondern auch von vielen langen Leitungen.

Von Michael Bauchmüller

Was die Zukunft des elektrischen Stroms angeht, muss man mittlerweile kein Prophet mehr sein: Er wird immer größere Bereiche des täglichen Lebens erobern. Batteriegetriebene Bequemlichkeit vom E-Bike bis zum Rasenmäher, Elektroautos, Wärmepumpen - immer häufiger liefert Strom die effizientere Alternative zu Verbrennern und Heizkesseln. Sinkende Preise machen die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien günstiger, während fossile Kraftwerke absehbar an ihrer Klimabilanz scheitern.

Alles fließt - nur der Strom selber nicht, denn die Energiewende steht vor Transportproblemen, es fehlt an Stromtrassen, die Windstrom aus dem Norden in den Süden der Republik bringen. Das liegt nicht nur an den Widerständen Betroffener, sondern häufig auch an den Behörden am Ort. Mit diversen Gesetzen hatte der Bund zuletzt versucht, die Planungen zu beschleunigen. Doch Verwaltungen in Kommunen, Landkreisen und Ländern lassen sich auch gern mal Zeit, und für Wahlkämpfe taugt Eifer beim Leitungsbau nicht. Die Folge: Im Jahr 2009 hatte der Bund ein "Startnetz" beschlossen, Leitungen von 1800 Kilometern Länge, gebaut sind erst 800.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat dem Problem nun eine Reise gewidmet, zu Brennpunkten im Norden und Westen des Landes. Im Gepäck hat er einen "Aktionsplan": Vereinfachte Verfahren sollen den Bau beschleunigen, ebenso eine bessere Koordination zwischen den Beteiligten. Auch sollen sich geplante Trassen leichter erweitern, bestehende Leitungen besser auslasten lassen. Vieles davon weist in die richtige Richtung.

Vor allem eine bessere Koordination könnte einiges voranbringen. Schließlich ist es mit den neuen Leitungen allein nicht getan. Sie verlangen Umspannwerke, Zuleitungen, Knotenpunkte. Doch allzu oft entstehen genau dort Verzögerungen; und sei es nur, dass die Stromleitung zwar gebaut ist, die Transformatoren aber nicht. Künftig sollen Bund, Länder und Netzbetreiber regelmäßig die Projekte auf Schwachstellen abklopfen. Manches Problem lässt sich so ausräumen, bevor es zum teuren Engpass wird.

Ob die Energiewende gelingt, hängt nicht nur am Kohle-Aus, sondern an vielen Leitungen

Denn auch das gehört zur Wahrheit: Ohne die neuen Leitungen wird die Energiewende unnötig teuer. Lässt sich der Strom nicht von Nord nach Süd transportieren, müssen Windräder im Norden stillstehen, fossile Kraftwerke im Süden aber in die Lücke springen. Beides kostet die Stromkunden Geld, im vorigen Jahr satte 1,4 Milliarden Euro. Davon ließen sich so einige Stromleitungen bauen.

Allerdings ändert das schönste Beschleunigungsprogramm nichts daran, dass entlang der Trassen Menschen wohnen. Viele Proteste sind abgeflaut, seit Kabel vielerorts verbuddelt werden sollen und seltener an Masten über Land führen. Der Frieden hängt aber auch damit zusammen, dass betroffene Bürger mehr Gehör finden und Umplanungen erreichen. Deshalb muss der Bund einer Verlockung widerstehen: Eine Verkürzung von Verfahren, die letztlich den Bürgern Chancen zum Einspruch raubt, macht diese Verfahren angreifbar und wird sie nicht verkürzen, sondern verlängern.

Altmaier sagt, er wolle den Netzausbau zur "Chefsache" machen. Das ist gut. Denn der Erfolg der Energiewende hängt nicht nur vom Kohleausstieg und von neuen Wind- oder Solarparks ab. Sondern auch von vielen sehr langen Leitungen.

© SZ vom 16.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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