Stresstest:Kein Zins ist schlecht, viel Zins aber auch

Am Main

Nicht nur die Commerzbank in Frankfurt, fast alle deutschen Banken klagen über die Niedrigzinsen.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die Bankenaufseher warnen: Wenn die Zinsen abrupt steigen, könnten 68 deutsche Banken und Sparkassen Pleite gehen.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Die deutschen Banken haben mittlerweile eine gewisse Routine darin entwickelt, sich über die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu beklagen. Der Nullzins würde den Instituten die Geschäftsgrundlage entziehen, heißt es. Ihre Kritik paart sich mit dem Ärger vieler Bürger, deren Sparprodukte fast nichts mehr abwerfen. Doch was passiert eigentlich, wenn die Zinsen nun urplötzlich wieder steigen?

Den Bankenaufsehern ist das ein Horrorszenario, weil die Kreditinstitute dann quasi über Nacht höhere Zinsen bezahlen müssen für täglich fällige Spareinlagen - während sie gleichzeitig aus den langfristig vergebenen Krediten weiterhin magere Zinserträge erwirtschaften. Das kann ein Geldhaus in die Pleite treiben, so das Ergebnis eines Stresstests, den die deutschen Finanzaufsichtsbehörden auf Basis einer Umfrage bei Banken durchgeführt hat.

Die Finanzaufseher verlangen extra viel Kapital von Banken mit hohen Zinsrisiken

"Das Zinsänderungsrisiko ist der größte Stresstreiber, den wir derzeit haben", sagte Raimund Röseler, Bankenaufseher der Finanzaufsicht Bafin am Mittwoch auf einer Pressekonferenz von Bundesbank und Bafin. Die Finanzaufseher haben von April bis Juni 1555 Kreditinstitute in Deutschland zu ihrer Ertragskraft und Widerstandsfähigkeit befragt. Das entsprach zahlenmäßig 88 Prozent aller Institute, die nach Bilanzsumme 41 Prozent des deutschen Bankenmarktes repräsentieren. Der Rest entfällt auf die ganz großen Geldhäuser, die man bei der Übung ausgespart hat, weil diese Institute direkt von der EZB überwacht werden.

Die Aufseher unterzogen die Banken einem Stresstest. Dabei untersuchten sie, wie die Institute mit einem raschen Zinsanstieg von zwei Prozentpunkten zurechtkämen, mit den daraus resultierenden hohen Kreditausfällen und stark schwankenden Kursen an den Börsen. Dieses unwahrscheinliche, aber denkbare Szenario würden 68 Banken und Sparkassen (fünf Prozent der untersuchten Institute) nicht überleben, so das Ergebnis. Es sei denn sie könnten auf frisches Kapital von ihren Eignern zurückgreifen. Jede 20. Bank stünde also vor der Pleite.

Das lässt sich auch dadurch erklären, dass die deutschen Banken traditionell stark vom Zinsgeschäft abhängen, während sie eher geringe Gebühreneinnahmen haben. Zu Jahresanfang verlangten die Finanzaufseher daher zusätzliche Kapitalrücklagen von jenen Banken, die hohe Zinsänderungsrisiken haben. "Die gute Kapitalausstattung der meisten Institute hilft jetzt dabei, die Effekte aus dem Niedrigzinsumfeld abzufedern", sagte Röseler.

Man darf die Ergebnisse des Stresstests aber auch nicht überbewerten. Die Aufseher haben nicht untersucht, wie sich Ansteckungseffekte auswirken würden. Man stelle sich vor: Ein rapider Zinsanstieg führte gleich zu mehreren Bankenpleiten. Dadurch würde Unruhe an den Kapitalmärkten entstehen. Die Finanzmärkte könnten die Schwäche einzelner Banken auf den Sektor projizieren und den Geldhahn zudrehen. Genau das ist vor zehn Jahren beim Ausbruch der Finanzkrise passiert. "Wir kennen die 68 Institute und erwarten nicht, dass da etwas passiert", sagte Röseler. "Aber es gibt einen Haufen Dinge, die wir hier jetzt nicht berücksichtigt haben. Da kann viel passieren."

Problematisch für die Banken ist es aber auch, wenn die Leitzinsen in der Euro-Zone, an denen viele Geschäfte der Finanzbranche hängen, noch längere Zeit niedrig bleiben. "Die durch niedrige Zinsen verursachte Durststrecke ist noch längst nicht überstanden", sagte Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret. Bleibt alles beim Alten, gehen die untersuchten Geldhäuser davon aus, dass ihr Gewinn vor Steuern gemessen an ihrer Bilanzsumme um 16 Prozent schrumpfen wird, weil sie im Kreditgeschäft höhere Wertberichtigungen befürchten. Bei der letzten Studie hatten die Banken noch prognostiziert, dass die Gewinne um ein Viertel einbrechen würden.

Entwarnung: Die Aufseher sehen keine Immobilienblase

Entwarnung gaben die Aufseher auch für den deutschen Immobilienmarkt für Häuser und Wohnungen. Die Bundesbank hatte in den letzten Monaten häufig auf den rapiden Preisanstieg auf dem deutschen Häusermarkt hingewiesen. Die Berechnungen zeigten, dass man in Städten bereits Preisanstiege von 15 bis 30 Prozent über dem gerechtfertigten Niveau habe.

Daher haben die Aufseher in dem Bankenstresstest auch simuliert, wie ein zügiger Wertverlust der Immobilien in Höhe von 30 Prozent auf die Bankbilanzen durchschlagen würde. Das Fazit: "Den Modellanalysen zufolge sind die meisten Institute auch den angenommenen Korrekturen der Wohnimmobilienpreise von bis zu 30 Prozent gewachsen", sagte Dombret, der "aktuell keine Immobilienpreisblase", sieht, "die uns Sorgen bereiten müsste". Wohl aber laute das Gebot, "wachsam zu sein", sagte der Bundesbankvorstand. Die Banken hätten die Vergabestandards bei der Kreditgewährung zwar noch nicht "weitreichend gelockert", dennoch zeige sich angesichts der großen Nachfrage nach Finanzierungen wegen der niedrigen Zinsen, dass die Institute "tendenziell bereit sind, höhere Risiken einzugehen". Die Banken würden Kredite gegen geringere Sicherheiten vergeben, gleichzeitig seien die Zinsmargen gesunken.

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