Strafzinsen:Ein bisschen negativ

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Illustration: Dalila Keller (Foto: Dalila Keller)

Immer mehr Unternehmen müssen Strafzinsen bezahlen, wenn sie ihr Geld bei einer Bank parken wollen. Andere befürchten, dass es sie auch bald treffen wird. Wie gehen sie damit um?

Von Elisabeth Dostert und Harald Freiberger, München

Seit Juni 2014 verlangt die Europäische Zentralbank von Geschäftsbanken einen Negativzins, wenn sie bei ihr kurzfristig Geld parken. Inzwischen liegt dieser bei 0,4 Prozent. Privatleute bleiben davon bisher weitgehend verschont, doch an große Anleger geben die Banken den Negativzins weiter. Gerade für Unternehmen, die häufig über zwei- oder dreistellige Millionenbeträge an Liquidität verfügen, ist das eine Herausforderung. Drei von ihnen erzählen, wie sie damit umgehen.

Wacker Chemie

Der Chemiekonzern Wacker zahlt derzeit für seine kurzfristigen Einlagen bei Banken negative Zinsen über "einen mittleren fünfstelligen Euro-Betrag im Jahr", sagt Finanzchef Tobias Ohler. Das ist nicht viel angesichts der Tatsache, dass der Konzern über eine Liquidität von rund 400 Millionen Euro verfügt. Ohnehin liegt die Hälfte davon im nicht-europäischen Ausland, in dem keine Strafzinsen fällig werden. Die Liquidität ist dazu da, um das Unternehmen flexibel zu halten, um Investitionen und eventuelle Übernahmen zu finanzieren.

"Wir zahlen einen mittleren fünfstelligen Euro-Betrag im Jahr."

Wacker arbeitet mit etwa zehn großen Banken zusammen. Ohler beobachtet, dass das Thema Negativzinsen für die Institute immer drängender wird. "Ich habe auch Verständnis dafür", sagt er. Je länger die Phase dauert, umso mehr Banken bringen es zur Sprache. "In der Regel läuft es so, dass die Bank einen zweistelligen Millionen-Betrag als Freigrenze gewährt", sagt der Finanzchef. Das sogenannte Verwahrentgelt werde nur auf den Betrag fällig, der über dieser Grenze liegt. Er kann sich vorstellen, dass die Ausgaben des Konzerns dafür noch weiter steigen. "Wir versuchen, es im Rahmen der Limits zu optimieren und möglichst wenig zu zahlen", sagt Ohler.

Positiv für den Konzern aus Bayern ist, dass auch Finanzierungen günstiger sind als in Zeiten höherer Zinsen. Die Nettoverschuldung von Wacker liegt bei knapp einer Milliarde Euro, ist also mehr als doppelt so hoch wie die Liquidität. "Wenn wir mehr anzulegen hätten, als wir an Kredit aufgenommen haben, hätten wir einen deutlichen Nachteil."

Ein anderes Problemfeld für Wacker in Zeiten niedriger Zinsen ist die Pensionskasse, die eine Mindestrendite erwirtschaften muss. Das wird immer schwieriger, weil Anleihen mit höherer Rendite auslaufen und frei werdende Mittel nicht mehr so rentabel angelegt werden können. "Wir haben deshalb schon 2014 den Firmenbeitrag für die Pensionskasse erhöht", sagt Ohler. Die niedrigeren Zinsen müssen auch bilanziert werden, sie drücken auf das Eigenkapital. "Das ist eine sehr hohe Last, wir schauen darauf mit Sorge." Nehme man alles zusammen - Einlagen, Kredite, Pensionskasse - seien die niedrigen Zinsen sicherlich eine Belastung für den Konzern.

Trumpf

Der schwäbische Maschinenbau-Konzern Trumpf hat noch keinen Cent an Negativzins bezahlt. Es könnte aber sein, dass das nicht mehr lange dauert, denn "es ist gewaltiger Druck in der Pipeline", sagt Stephen Schmid, der für die Finanzströme im Unternehmen verantwortlich ist. Eine große Bank teilte ihm vor mehr als einem Jahr mit, dass sie ab einem zweistelligen Millionen-Freibetrag ein sogenanntes Verwahrentgelt zu erheben gedenkt. Schmid reagierte darauf, indem er einen Teil des Geldes auf eine andere Bank umschichtete.

"Es ist gewaltiger Druck in der Pipeline."

Es ist so ähnlich wie bei Privatkunden, denen auch empfohlen wird, nicht mehr als 100 000 Euro bei einer Bank anzulegen, da die europäische Einlagensicherung nur bis zu diesem Betrag greift. Unternehmen verteilen ihr Geld auf mehrere Banken, um mehrere Freibeträge auszunutzen und so den Negativzins zu umgehen. "Wir haben auch Konten bei neuen Banken eröffnet, um unsere Einlage auf mehrere Schultern zu verteilen", sagt Schmid. Außerdem gibt es immer noch große Institute, die den Strafzins nicht verlangen. Französische Banken etwa gewähren auf kurzfristige Einlagen nach wie vor einen positiven Zins von 0,02 bis 0,03 Prozent. Insgesamt verfügt Trumpf über eine Liquidität von knapp 700 Millionen Euro. Etwa die Hälfte davon ist im Euro-Raum angelegt.

Ein anderes Mittel, um den Negativzins zu umgehen, ist es, die Einlagen längerfristig anzulegen. Waren bisher Fristen von bis zu sechs Monaten üblich, so können es jetzt schon mal 18 Monate sein. Trumpf führt auch Gespräche mit seinen Banken, ob es möglich ist, in andere Anlageformen zu gehen. "Einen Teil unserer Liquidität haben wir umgeschichtet", sagt Schmid. Beispiele sind Schuldscheine von soliden Industrieunternehmen, die nach wie vor einen positiven Zins zahlen, oder auch von chinesischen Staatsbanken, außerdem Spezialfonds, deren Zusammensetzung mit Fondsgesellschaften beraten wird.

Und dann versucht der Finanzexperte, mit einem Teil der Liquidität aufgenommene Kredite vorzeitig zurückzuzahlen. Allerdings verlangen Banken dafür - wie bei Privatleuten auch - eine Vorfälligkeitsentschädigung. "Wir müssen bei jedem Kredit ausrechnen, ob es sich auch lohnt", sagt Schmid.

Ein Thema ist für ihn außerdem die Pensionskasse. 200 Millionen Euro an künftigen Pensionsverpflichtungen lasten auf der Bilanz, die noch nicht ausfinanziert sind. Für 50 Millionen davon gibt es nun bald eine Treuhandlösung: Sie werden in einen Fonds eingebracht.

Schmid erwartet, dass ihn solche Fragen auch künftig beschäftigen werden. "Der Negativzins wird uns noch ein Weilchen begleiten", sagt er.

Menzerna

Niedrige Zinsen bringen Tilo Franz nicht aus der Ruhe. "Wegen der aktuellen Zinslandschaft ändert niemand seine Investitionsentscheidungen", sagt der geschäftsführende Gesellschafter des auf Poliermittel für Handwerk und Industrie spezialisierten Unternehmens Menzerna. Ein typisch deutscher Mittelständler: 60 Beschäftige, die meisten davon am Firmensitz im baden-württembergischen Ötigheim, circa 20 Millionen Euro Umsatz. "Wenn ein Projekt sinnvoll ist, macht man das, und wenn nicht, dann eben nicht", sagt Franz. Die niedrigen Zinsen erleichtern ihm zufolge zwar die Finanzierung, aber sie sind "nicht ausschlaggebend".

Franz hat nicht nur die nominalen Zinsen im Blick, sondern auch die realen. "Es gab Zeiten, da lagen die Zinsen zwar bei fünf Prozent, aber die Inflationsrate war deutlich höher, so dass der reale Zins gar nicht so weit weg lag vom derzeitigen Niveau." Und die Zinsen sind es nicht allein. "Die Tilgung bleibt, und die muss erst einmal verdient werden."

"Ich staune manchmal, wie leicht Firmen noch Kredite bekommen."

Negativzinsen zahlt Menzerna nicht. Und wenn die Bank solche verlangen würde, wäre das Verhandlungssache. "Das wären schwierige Gespräche - für die Bank", sagt Franz. Zwar wechsle niemand leichtfertig und sprunghaft sein Kreditinstitut, er aber würde wechseln, wenn die Gespräche nicht zu seiner Zufriedenheit laufen. Bei Standardprodukten seien die Banken heute in scharfem Wettbewerb, und einige seien "massiv unterwegs auf Kundenakquise". Für Unternehmen sei es nicht sehr schwierig, Kredite zu bekommen. Menzerna verfüge über eine hohe Eigenkapitalquote: "Wir befinden uns im Augenblick in einer komfortablen Situation. Ich staune aber manchmal, wie leicht Firmen mit einer deutlich höheren Verschuldung und einer schlechteren Ertragslage noch Kredite bekommen. Da gibt es keinen Engpass."

So schätzt der Unternehmer Franz die Lage ein. Und der Privatmann? Hat auch kein Problem. Mit einem gut gemischten Portfolio aus Aktien und Indexfonds (ETF) lassen sich Franz zufolge ohne weiteres sechs, sieben Prozent Rendite erwirtschaften. "Das Problem ist doch, dass die meisten Menschen Berührungsängste mit Aktien haben und das Geld lieber auf dem Sparbuch liegen lassen." Im Ausland ist das anders. "So wandern Dividenden in Milliardenhöhe jedes Jahr ins Ausland."

© SZ vom 21.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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