Steuerpolitik:Ran an die Milliarden

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Die Europäische Kommission möchte tief in das Steuerrecht eingreifen. Das Ziel: Konzerne sollen nicht mehr so leicht Steuern vermeiden können.

Von Bastian Brinkmann und Cerstin Gammelin, München/Berlin

Es kommt selten vor, dass sich Satiriker mit Steuern beschäftigen. Einer dieser raren Momente war im Herbst 2014 die ZDF-Sendung "Die Anstalt", da ging es um Konzerne, die ihre Steuern auf nahe null drücken. Die Satiriker präsentierten schließlich ihre unaussprechbare, aber ernst gemeinte Lösung auf einem großen Transparent: "Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage jetzt!"

Damals brachte das Lacher.

Genau diesen Arbeitsauftrag hat nun die Europäische Kommission erfüllt. Die Brüsseler Beamten haben sich von ihrem ersten, im Jahr 2011 von den EU-Mitgliedstaaten abgelehnten Versuch nicht abschrecken lassen und erneut einen Entwurf für die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage ausgearbeitet (und dieser Name, versprochen, fällt in diesem Artikel nicht noch einmal). Der Vorstoß ist ambitioniert: Die Europäische Kommission möchte EU-weit vereinheitlichen, wie die Steuer auf Konzerngewinne berechnet wird. Viele Steuertricks hätten dann keine Chance mehr. Die entsprechenden Gesetzesentwürfe liegen der Süddeutschen Zeitung vor und sind über SZ.de einsehbar.

Die Behörde will europaweit regeln, was Konzerne als Ausgaben ansetzen dürfen - und was nicht. Denn die Ausgaben drücken den Gewinn, auf den dann die sogenannte Körperschaftsteuer fällig wird. Jedes EU-Land hat dafür seine eigenen Regeln. Einzelne Staaten wollen beispielsweise Forschung stärker fördern als andere und erlauben deswegen, Forschungskosten stärker vom Gewinn abzuziehen als ihre Nachbarn.

Brüssel hofft, Unternehmen dafür begeistern zu können. Für sie würde Bürokratie wegfallen

Solche Regeln können allerdings missbraucht werden, wenn Konzerne etwa auf dem Papier Patente von einem Land in ein anderes verschieben, weil dort die Steuern niedriger sind. Genau das möchte die EU-Kommission künftig verhindern. Für Forschung und Entwicklung soll gelten: Zusätzlich zu den tatsächlichen Kosten dürfen künftig maximal 50 Prozent der Ausgaben vom Gewinn abgezogen werden. Geht es um mehr als 20 Millionen Euro pro Jahr, fällt dieser Wert auf 25 Prozent. Start-ups sollen bei den Forschungsausgaben besonders gefördert werden.

Betroffen von einer solchen Regelung wären Konzerne, die insgesamt mehr als 750 Millionen Euro Umsatz im Jahr machen. Brüssel argumentiert, dass gemeinsame Regeln den Firmen die Arbeit erleichtern würden. Deswegen prognostiziert die EU-Kommission, dass Firmen dank weniger Steuerbürokratie mehr Arbeitsplätze schaffen und mehr investieren würden.

Die neuen Regeln für die Berechnung der Steuer sollen nur ein erster Schritt sein. Im Anschluss will die EU-Kommission noch weiter gehen: Die Gewinne eines Konzerns sollen fair auf alle Länder verteilt werden, in denen der Konzern aktiv ist. Bisher siedeln sich Konzerne wie Apple oder Amazon in EU-Staaten wie Irland oder Luxemburg an und zahlen mithilfe der dortigen Steuergesetze weniger Abgaben in Ländern wie Frankreich oder Deutschland. Das soll verhindert werden. Die Verteilung soll sich daran orientieren, in welchen Ländern der Konzern wie viel Vermögen hält, Mitarbeiter beschäftigt und Umsatz erwirtschaftet, fordert die europäische Gesetzgebungsbehörde. Wie diese Verteilung genau aussehen sollte, ist unter den Nationalstaaten sehr umstritten. Wird die Verteilung der Gewinne neu geregelt, gibt es schließlich Gewinner und Verlierer. Ausdrücklich nicht vorgesehen ist es, einen Mindeststeuersatz für Konzerne in Europa einzuführen. Die Steuersätze unterscheiden sich innerhalb Europas stark. In Irland müssen Firmen nur 12,5 Prozent zahlen, in Deutschland sind es rund 30 Prozent. Zudem gewähren einige Staaten großzügige Ausnahmen.

Offen ist, ob sich die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag durchsetzen kann - Steuergesetze müssen einstimmig beschlossen werden. Und die Entwürfe haben gerade erst die Hauptstädte erreicht. Ein Sprecher des irischen Finanzministeriums wollte den Brüsseler Vorschlag nicht kommentieren, da er noch nicht offiziell veröffentlicht sei. Irland habe in der jüngsten Vergangenheit viele Steuergesetze reformiert, betonte der Sprecher aber schon einmal. Im Europäischen Parlament findet der Vorstoß Zuspruch. "Das ist ein guter Vorschlag", sagt der grüne Finanzexperte Sven Giegold. "Viel zu lange haben die EU-Mitgliedsländer sich bei den Unternehmenssteuern mit unfairen Mitteln Steuergelder und Investitionen abgejagt."

In Berlin hieß es, die Experten seien noch mit dem Lesen beschäftigt. Im Prinzip gelte weiter die Beschlusslage von Juni 2011. Damals hatte der Bundesrat zwar die Schaffung einer EU-weiten einheitlichen Regelung unterstützt, zugleich aber Bedenken gegen den damaligen Vorschlag der Europäischen Kommission angemeldet. So sollten Personengesellschaften einbezogen werden, zudem sollte das neue Recht für alle Staaten gleichermaßen ohne Ausnahme gelten. Berlin fürchtete darüber hinaus Steuerausfälle. Deutsche Konzerne exportieren viel ins Ausland und können daher auch ihre Steuerlast im Ausland drücken. Die Bundesregierung hatte sich vor allem dagegen gewehrt, dass die Gewinne von Konzernen unabhängig vom Sitz der Muttergesellschaft berechnet und auf die einzelnen Länder verteilt werden. Auch Niedrigsteuerländer wie Irland stellten sich damals quer, sodass die Behörde schließlich scheiterte.

Inzwischen hat die EU-Kommission deutlich mehr Rückenwind - wegen immer neuer Enthüllungen über Steuertricksereien. Unter anderem durch Luxemburg-Leaks, die Berichte über Hunderte Konzerne und ihre staatlichen Helfer in Luxemburg, die andere Staaten um Steuern in Milliardenhöhe gebracht haben. Seitdem hat die EU-Kommission mehrere Reformen vorgeschlagen und einige durchgesetzt. Außerdem hat sie gerade erst eine Rekordstrafe von 13 Milliarden Euro gegen den iPhone-Konzern Apple verhängt, der sein Europageschäft in Irland bündelt und so angemessene Steuern vermeidet. Dublin wehrt sich allerdings gegen die Entscheidung - und schon ein einzelnes Veto könnte die neue Reform aufhalten. Hilfreich ist dagegen, dass Großbritannien aufgrund des Austritts aus der EU das Gesetz nicht blockieren kann.

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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