Start-up:Experiment mit Eiern

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Eierlikör in neuem Gewande: Der Inkubator Hyve will das Getränk unter dem Namen "My Eier" auch für junge Kunden attraktiv machen. (Foto: Privat)

Sie suchten das unwahrscheinlichste Produkt für ein Start-up und glauben jetzt an eine Revolution: Münchner Gründer modernisieren den Eierlikör mit digitalen Mitteln.

Von Elisabeth Dostert, München

Seinen ersten Eierlikör hat Johann Füller mit seiner Mutter auf einem Fest getrunken. Da war er zwölf oder dreizehn Jahre alt, so genau weiß er das nicht mehr. "Es war nicht gerade mein favorisiertes Getränk", sagt Füller. Deshalb war er skeptisch, als der Münchner Josef Glasl vor sieben Jahren mit der Idee zu ihm kam, gemeinsam eine Firma für Eierlikör zu gründen. Die beiden Männer kennen sich seit vielen Jahren. Sie wollten schon lange etwas zusammen machen.

"Eierlikör ist eines der totgeglaubten Produkte so wie Apfellikör oder Haargummis, deren Potenzial ausgeschöpft scheint", sagt Füller. Das genau hat ihn dann gereizt. Füller wollte wissen, ob es gelingt, ein "angestaubtes Produkt" zu innovieren. Der Reiz hat mit seinem Job zu tun. Füller, 47, ist Inhaber des Lehrstuhls für Innovation und Entrepreneurship an der Universität Innsbruck und Mitgründer der Hyve-Gruppe. Sie hat ihren Sitz im Haus der Innovation in München und bezeichnet sich als Innovationsschmiede. Das Wort Schmiede klingt noch altmodischer als Eierlikör.

Sie reden wie die Revolutionäre Elon Musk oder Jeff Bezos

Wie es aussieht, ist das Eierlikör-Experiment gelungen. Ende 2015 gründeten Füller und Glasl die Firma Füll das Glas GmbH. Ihr erstes Produkt hieß My Eier. Mittlerweile haben sie ein paar Tausend Flaschen Eierlikör verkauft. Schon mit der Wahl der Silben und Worte versuchen die Gründer, ihre Firma in die Zukunft zu katapultierten oder zumindest in die Gegenwart. Sie reden von einem Start-up, als handele es sich um eine Hightech-Firma aus einem Gründer-Valley. Die Silbe "My" soll ein Wir-Gefühl erzeugen. "Wir wollen einen Markt revolutionieren", sagt Gründer und Markenexperte Glasl. So reden auch Revolutionäre wie Tesla-Chef Elon Musk oder Jeff Bezos. Eierlikör ist eher eine Nische im Markt für Spirituosen, aber eine beliebte. Es gibt viele kleine und ein paar große Anbieter wie Bols Advocaat oder das Familienunternehmen Verpoorten.

My Eier ist ein Beispiel dafür, wie Hyve Konzepte und Firmen entwickelt. "Wir fragen immer wieder die Crowd," sagt Füller. die Internet-Nutzer sollen so zu "Co-Kreateuren" werden, so nennt sie Füller jedenfalls. Das Rezept für den Eierlikör wurde 2012 in einem Online-Wettbewerb gesucht, später auch das Etikett. Es zeigt eine ältere Frau mit aufgetürmtem Haar und Sonnenbrille als Comic-Porträt. Es ist eine Anspielung auf das Klischee, dass Eierlikör doch eher etwas für ältere Damen sei. Knapp 100 Rezepte wurden eingereicht. Die "Crowd" durfte sie bewerten. "Das ist allerdings kein voll-demokratischer Prozess", sagt Füller: "Aus der Crowd kommt auch viel Blödsinn." Deshalb zieht Hyve immer auch Experten hinzu, in der finalen Jury für den Eierlikör saßen die Köche Holger Stromberg, Stefan Marquard und Johann Landersdorfer. Den Namen der Siegerin und die Zutaten für den Likör mag Glasl nicht mehr nennen. Da hält er es wie die Verpoortens. Ein Geheimnis macht eine Geschichte spannender. Wie man Produkte inszeniert, weiß Glasl, 46. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Werbeagentur It's live. Die Eier stammen, so viel verrät der Werber dann doch, aus Freilandhaltung, und "wir verwenden Stroh-Rum".

Hyve wurde im Jahr 2000 gegründet. Vorstand und Gesellschafter sind Füller, Michael Bartl und Michael Schmidt. Der Name leitet sich aus dem englischen Wort für Bienenstock ab: beehive. Das Logo sieht aus wie ein Stück Honigwabe. Hyve setzt das um, was Füller an der Uni Innsbruck lehrt und forscht. Er nutzt Menschen, die im Internet unterwegs sind, als Quelle für Innovationen und die digitale Transformation. Füller fragt, was die Nutzer brauchen und wollen, wie sie ein Problem lösen würden, wie gut ein Produkt ist. Hyve fragt die Crowd immer wieder von der Marktforschung bis hin zum serienreifen Prototypen. Marktreife eigene Ideen gründet Hyve dann häufig in ein Start-up aus, an dem Hyve und seine Gründer beteiligt sind. An der Füll das Glas GmbH hält Hyve die Hälfte des Kapitals, Glasl 35 Prozent und 15 Prozent Katja Hutter, die in Salzburg und Innsbruck lehrt.

"70 Prozent der im Deutschen Aktienindex notierten Unternehmen, Konzerne und Mittelständler vertrauen uns", sagt Füller. Einige Produkte zeigen die Innovationsfabrikanten in ihren Räumen im Haus für Innovation in München. Auf einem Sideboard steht eine Küchenmaschine von Bosch, da hat Hyve das Design gemacht. Für Nivea, eine Marke des Konsumgüterkonzerns Beiersdorf, hat Hyve im Austausch mit gut 2000 Konsumenten ein Deo entwickelt und für den US-Konzern Johnson & Johnson ein neues Tampon. Für den Autokonzern VW hat Hyve unlängst in einem Online-Wettbewerb nach Ideen für die Karosserie der Zukunft gesucht.

My Eier ist nicht die erste Ausgründung. Das Fitnessgerät Icaros wurde von den Industriedesignern Johannes Scholl und Michael Schmidt als Konzept bei Hyve entwickelt, da entstanden auch die ersten Prototypen. Dann folgte 2015 die Ausgründung. Das Gerät sieht aus wie ein Flugkörper, der Nutzer trägt eine VR-Brille und steuert auf dem Gerät liegend durch die Verlagerung des Gewichts durch virtuelle Welten. "Es läuft gut", sagt Gründer Scholl.

Glasl will in diesem Jahr mehr als 10 000 Flaschen Eierlikör verkaufen. Produktion und Abfüllung erledigen Lohnunternehmen. Füll das Glas selbst hat fünf Mitarbeiter. Der Vertrieb läuft über ausgewählte Kanäle, einige Feinkostläden führen den Likör, Käfer servierte ihn während des Oktoberfestes in seinem Zelt, Elly Seidl füllt Pralinen mit dem Eierlikör. Eine zweite Marke heißt My Zirbe. Auch das ist ein Versuch, ein altes Getränk zu modernisieren. Der Obstler wird aus den Zapfen der Zirbe gewonnen. "Mit dem strategischen Vertrieb über den Lebensmittelhandel haben wir noch gar nicht begonnen", sagt Glasl. Füller hat immer ein paar Flaschen Eierlikör zu Hause. "Sonst würde mir etwas fehlen."

© SZ vom 27.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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