Haushaltspolitik:Schulden machen erlaubt

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Rote Wut: Frauen protestieren im andalusischen Sevilla gegen den Niedergang des Geschäfts mit Flamenco-Kleidern. (Foto: Marcelo del Pozo/Reuters)

Die EU-Kommission verspricht, die Regeln für solide Haushaltsführung in den Euro-Staaten auch 2022 nicht anzuwenden. Besonders bitter ist die Lage in Italien und Spanien.

Von Björn Finke, Brüssel

Die EU-Staaten können im kommenden Jahr weiter Schulden machen, ohne auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt achten zu müssen. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten setzten diese Regeln für solide Haushaltsführung vor einem Jahr aus, damit die Regierungen beherzt auf die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie reagieren können. Am Mittwoch erklärte die Brüsseler Behörde, nach welchen Kriterien sie entscheiden will, wann der Pakt wieder in Kraft tritt. Und daraus ergibt sich, dass die Regelungen neben 2021 auch 2022 suspendiert bleiben.

Währungskommissar Paolo Gentiloni sagte, selbst nach einem Jahr sei "der Kampf gegen Covid-19 noch nicht gewonnen": Es sei klar, dass die Wirtschaft 2022 weiter Unterstützung durch üppige Staatsausgaben brauche. "Wir müssen sicherstellen, nicht die Fehler von vor zehn Jahren zu wiederholen, als diese Unterstützung zu früh zurückgenommen wurde", sagte der frühere italienische Ministerpräsident. Damit spielt der Sozialdemokrat auf die Finanzkrise an.

Der 1997 eingeführte Stabilitätspakt schreibt vor, dass die Staatsverschuldung maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen darf. Wer höhere Verbindlichkeiten hat, muss diese schrittweise senken. In diesem Jahr werden aber nur noch fünf von 19 Staaten mit der Euro-Währung dieses Kriterium erfüllen. Außerdem darf das jährliche Haushaltsdefizit drei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten. Im März vorigen Jahres beriefen sich Kommission und Mitgliedstaaten erstmals auf die sogenannte allgemeine Ausweichklausel, die es erlaubt, den Pakt in einer Notlage auszusetzen.

Die Kommission verkündete nun, die Vorschriften erst wieder zu aktivieren, wenn die Wirtschaftsleistung in der EU oder der Euro-Zone das Niveau von vor der Krise erreicht hat, also von Ende 2019. Nach den jüngsten Schätzungen der Brüsseler Volkswirte wird das erst Mitte 2022 der Fall sein, und der Pakt würde dann 2023 erneut in Kraft treten.

Im vorigen Jahr schrumpfte die Wirtschaft in den 19 Euro-Staaten um 6,8 Prozent. Im laufenden und kommenden Jahr erwartet die Kommission jeweils 3,8 Prozent Wachstum. Allerdings trifft die Pandemie die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten unterschiedlich hart. In 14 EU-Staaten, darunter Deutschland, wird die Delle durch die Krise bereits bis Ende 2021 ausgeglichen sein, sagen die Ökonomen der Kommission voraus. Und im Durchschnitt der EU wird die Wirtschaftsleistung Mitte 2022 zurück auf Vorkrisen-Niveau sein. Doch in Italien und Spanien wird dies selbst Ende 2022 nicht gelungen sein. Die Kommission gelobt, bei diesen Nachzüglern den Stabilitätspakt so flexibel wie möglich anzuwenden, wenn er denn wieder in Kraft getreten ist.

Frankreich fordert, den Pakt zu reformieren

Ohnehin fordern Regierungen wie die französische, den Pakt zu reformieren und die 60-Prozent-Schuldenregel zu ändern, bevor das Regelwerk wieder angewandt wird. Die Kommission begann kurz vor der Pandemie Beratungen, wie der Stabilitätspakt weiterentwickelt werden kann, unterbrach diese jedoch wegen Corona. In der zweiten Hälfte dieses Jahres sollen die Gespräche weitergehen. Die Regierungen der Euro-Staaten sind aber uneins, ob der Pakt flexibler gestaltet werden muss oder bereits zu flexibel ist.

Die Kommission rechnete am Mittwoch vor, dass die EU-Staaten bislang Hilfen im Wert von acht Prozent ihrer Wirtschaftsleistung aufgewandt haben, um die Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Daneben stellten die Regierungen Firmen Bürgschaften im Umfang von 19 Prozent der Wirtschaftsleistung zur Verfügung, und ein Viertel davon wurde abgerufen.

Die Behörde warnte davor, Unterstützung vorschnell zu kappen, allerdings sollte sich der Fokus der Hilfsprogramme ändern, wenn in einzelnen Branchen oder der gesamten Wirtschaft der Aufschwung beginnt. Statt in Kurzarbeit sollten die Regierungen etwa lieber in Initiativen für Arbeitslose investieren, zum Beispiel in Fortbildungen oder Einstellungszuschüsse.

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