PIPERS WELT:Die Zeit danach

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An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Man muss sich jetzt bereits Gedanken über die Zeit nach Corona machen. Zum Beispiel was mit den Staatsschulden passiert, die Deutschland in der Krise aufnehmen musste. Lässt man sie weiter steigen oder kehrt man so schnell wie möglich zur Schuldenbremse zurück?

Von Nikolaus Piper

Seit Joe Biden Präsident ist, kann man sich vorstellen, dass die Pandemie in absehbarer Zeit Geschichte sein wird, zumindest in Amerika. In nicht allzu ferner Zukunft werden alle Amerikaner, die das wünschen, geimpft sein. Bidens Hilfspaket von 1,9 Billionen Dollar könnte sogar einen Boom auslösen. Diesseits des Atlantiks sollte man nicht nur von den Amerikanern lernen, wie man effektiv impft, man muss sich jetzt auch Gedanken über die Zeit nach Corona machen. Zum Beispiel was mit den Staatsschulden passiert, die Deutschland in der Krise aufnehmen musste. Lässt man sie weiter steigen wie in den USA? Oder aber kehrt man so schnell wie möglich zu Schuldenbremse und schwarzer Null zurück, zum Ziel eines ausgeglichenen Haushalts also? Im vergangenen Jahr musste Finanzminister Olaf Scholz 160 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, im laufenden Jahr werden es wohl 180 Milliarden sein. Das alles ist bewährte Krisenpolitik nach John Maynard Keynes und im Kern unstrittig unter Ökonomen und Politikern, sieht man einmal von der AfD ab. Auch der Bundeshaushalt 2022 dürfte noch mit hohen Schulden finanziert werden müssen.

Aber danach? Die SPD lehnt die Rückkehr zur schwarzen Null ab, wie es im Entwurf zu ihrem Wahlprogramm heißt. Kanzleramtsminister Helge Braun will die Schuldenbremse des Grundgesetzes lockern, ganz zum Ärger seiner Parteifreunde von der CDU, die möglichst bald wieder zu ausgeglichenen Haushalten zurückkehren wollen. Ehe man es sich die Sache zu einfach macht, empfiehlt sich ein Blick zurück. Besonders die amerikanische Wirtschaftsgeschichte liefert sehr anschauliche Beispiele dafür, was passiert, wenn die Regierung nach einer Krise zu früh auf Sparen umschaltet. Beispiele gibt es aber auch für das Gegenteil: Die Regierung verschuldet sich in guten Zeiten zu hoch, überfordert die Kapazität der Wirtschaft und löst so Inflation aus. Beispiel Nummer eins ist die Rezession von 1937/1938. Sie brach aus, als Präsident Franklin D. Roosevelt, nachdem er die Gr0ße Depression mit Erfolg bekämpft hatte, Angst vor zu hohen Staatsdefiziten bekam. Die Regierung begann zu sparen, die Notenbank Fed erhöhte die Zinsen, die Industrieproduktion brach ein, die Arbeitslosigkeit stieg. Im Dezember 1940, ein Jahr ehe Japan in Pearl Harbor die USA in den Zweiten Weltkrieg bombte, lag die Arbeitslosenquote immer noch bei 14,6 Prozent.

Fall zwei kam eine Generation später. In den Jahren 1961 bis 1967 verschuldeten sich die Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson in der Hochkonjunktur massiv, um die Arbeitslosigkeit weiter zu senken und Amerika zu erneuern. Kurz darauf begann die Inflation zu steigen. Im Laufe der 1970er-Jahre wurde die Geldentwertung zweistellig, oft verbunden mit sehr schwachem Wirtschaftswachstum. Der Trend wurde erst 1980 durch eine brutale Rosskur der Notenbank gebrochen. Deren Ergebnis war die Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten und ein Rechtsruck in der amerikanischen Gesellschaft.

Der frühere US-Finanzminister Larry Summers hat bereits Alarm geschlagen

Bemerkenswert, dass die Erinnerung an diese Zeit gerade jetzt wieder beschworen wird, und nicht etwa der scheinbar näherliegende Fall eins. Olivier Blanchard, ehemaliger Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, warnte in einem Papier für das Peterson Institute in Washington, das 1,9-Billionen-Programm Bidens könnte zu groß sein und Inflation auslösen, wie in den 1960ern. Zuvor schon hatte Larry Summers, ehemaliger Finanzminister und Berater von Präsident Barack Obama, in der Washington Post Alarm geschlagen: "Ein Konjunkturimpuls von einer Dimension, die näher bei dem aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges liegt als bei dem einer normalen Rezession" könne "inflationären Druck auslösen, wie wir ihn seit einer Generation nicht mehr gesehen haben". Schon allein die Tatsache, dass sich Summers, ein alter Weiser der Demokraten, und kein hartleibiger Republikaner so äußerte, sorgte für Aufsehen.

Nun stellen sich solche Fragen in der vergleichsweise kleinen deutschen Wirtschaft anders als in den USA. Aber sie stellen sich auch. Sollte sich zum Beispiel die Befürchtung Summers bewahrheiten und sollten in Amerika die Preise steigen, dann würden weltweit auch die Zinsen steigen. Das hätte weitreichende Konsequenzen für die deutsche Politik. Bisher sind die Zinsen für zehnjährige Bundesanleihen negativ, was bedeutet, dass die Bundesrepublik sich praktisch umsonst Geld leihen kann. Niemand geht heute davon aus, dass sich das einmal ändern könnte. Und genau das ist das Problem. Wird Deutschland auch unter sehr viel ungünstigeren Bedingungen willens und in der Lage sein, die Staatsfinanzen zu konsolidieren?

Bei der Gelegenheit sollte man sich nochmals daran erinnern, warum der Bundestag seinerzeit überhaupt die Schuldenbremse beschlossen hat. Es war die Aussicht, dass in diesem Jahrzehnt die Babyboomer in den Ruhestand gehen und dass das Sozialbudget entsprechend steigen wird. Deshalb sollten die Belastungen der nächsten Generation aus dem Bundeshaushalt so klein wie möglich bleiben. Die große Koalition hat in den vergangenen vier Jahren nicht unbedingt nach dieser Erkenntnis gehandelt, sondern, in Gestalt der Grundrente, den Jungen neue Sozialkosten aufgebürdet. In der Pandemie stand die Stabilisierung der Wirtschaft im Zentrum der Haushaltspolitik, völlig zu Recht. Damit ist aber das Ausgangsproblem, der demografische Wandel, nicht verschwunden. Es stellt sich im Gegenteil immer dringlicher.

Gut möglich, dass Larry Summers sich irrt. Unklug wäre es jedoch, sich darauf zu verlassen. Deshalb sollte die deutsche Politik in angemessener Zeit zu Schuldenbremse und schwarzer Null zurückkehren.

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