Sprachassistenten:Hör! Mir! Zu!

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Techfirmen von Google bis Amazon investieren Milliarden in Geräte wie Alexa, mit denen Kunden sogar einkaufen sollen. Das könnte gefährlich werden.

Von Michael Kläsgen und Nils Wischmeyer

Da lag es plötzlich vor der Tür, ein großes Paket mit einer neuen Playstation-4-Konsole. Anna Funk stellte erschrocken fest, dass auch ihre Kreditkarte schon mit 339 Euro belastet war. Das Problem: Sie hat das Spielgerät nie bestellt. In einer unbeobachteten Minute hatte ihr achtjähriger Sohn Amazons Sprachassistentin Alexa gebeten, die Playstation zu bestellen. Unter den verschämten Blicken ihrer Kinder schickte Funk das Gerät später wieder zurück, so geht die Erzählung.

Solche Geschichten gibt es derzeit etliche, ob im Bekanntenkreis oder in Internetforen. Die häufigsten Schlagzeilen über Sprachassistenten wie Alexa sind im Moment noch solche über Fehleinkäufe und peinliche Missverständnisse. Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber vergleicht diese Geräte denn auch mit einem zweijährigen Kind: Da lernt jemand, soll das heißen. Doch die Skurrilität ist trügerisch: Solche Technik könnte viel Einfluss auf die Menschen bekommen, gerade im Handel. Diese Geräte, die menschlich sein sollen, sind im Grunde genommen recht banale Lautsprecher und Mikrofone, die mit dem Internet verbunden sind und die Sprache der Kunden in Windeseile an die Großrechner der Hersteller übertragen. Führend sind dabei die US-Konzerne, die man schon kennt: Amazon mit Geräten, die Echo heißen und aus denen eben eine Alexa spricht. Bei Apple heißt das Gerät Homepod, wenn es nicht direkt das Apple-Telefon ist, und der Charakter Siri. Bei Microsoft kann der Mensch mit Cortana "sprechen". Und bei Google Home-Boxen heißt der Gesprächspartner schlicht Google. Egal, wie nun der Name lautet: Aus Sprache werden Befehle, die Computer verstehen, im besten Fall entwickeln sich daraus so etwas wie hilfreiche Dialoge, aber meist ist es ein ruckeliges Hin- und Her. Weil die Erkennung von Sprache schwierig ist, weil das Formen spontaner ganzer Sätze für Computer noch zu herausfordernd ist. Das Wetter lässt sich abrufen, das schon. Musik lässt sich abspielen. Der Wecker stellen. Das Licht in der Wohnung ein- und ausschalten per Sprachbefehl. Aber wer wirklich hinhört, merkt: Da steckt eine Maschine dahinter, und deswegen hakt es. Wie ein zweijähriges Kind, nur noch ungelenker. Doch die Technik schreitet voran. Die Dosen und ihre Software werden älter, reifer, lernen oft mittels künstlicher Intelligenz auch ohne Zutun von Ingenieuren. Das wird Auswirkungen vor allem auf den Handel haben, das Einkaufen. Berater sprechen von einer "gigantischen Verschiebung" der Macht im Handel. Selbst Markenhersteller sorgen sich um das Geschäft mit ihren Produkten. Dabei darf man sich nicht von der Gegenwart und den skurrilen Geschichten täuschen lassen: Nicht einmal jeder Zehnte, der heutzutage eine Sprachbox besitzt, hat damit einkauft, zeigen Studien; die wenigsten taten es ein zweites Mal. Aber dieser geringe Zuspruch stellt nur einen Zwischenstand dar. "Sprache alleine kann viele Einkaufsbedürfnisse nicht erfüllen", sagt Martin Wild, Leiter des Innovationsmanagements bei dem Technik-Händler des Mediamark-Saturn-Konzerns. Einkaufen per Alexa oder Siri sei heute noch viel zu umständlich. Und auch zu unübersichtlich: Jeder kennt das Vergleichen von Produkten und Preisen vor dem Regal oder auf Internet-Shops. Sprache kann diesen Überblick nicht bieten. Auch das ist ein Grund, wieso derzeit nur einige wenige Standard-Produkte per Sprachcomputer gekauft werden. In den USA etwa kann der Kunde sagen "Alexa, buy me my Starbucks" und seinen Lieblingskaffee ein paar Minuten später bei der nächsten Filiale abholen. An solchen sogenannten Voicebots tüfteln im Moment auch viele deutsche Händler von Media-Saturn über Edeka bis hin zu Rewe. Sie arbeiten dabei eng zusammen mit den Sprachcomputer-Herstellern aus den USA. Wer zum Beispiel sagt "Hey Google, frag Rewe nach einem Lasagne-Rezept", aktiviert damit Rewes digitale Assistentin Carolin. Die hilft einem dann schrittweise beim Kochen, ohne dass man mit schmierigen Händen in Kochbüchern blättern muss. Dabei gilt, dass im Prinzip Sprache immer dann spannend wird als Eingabemedium, wenn die Zeit oder Situation es nicht erlauben, einen Blick aufs Smartphone zu werfen, sei es unter der Dusche, im Auto oder der Küche. Dass man aber selbst über Alexa oder Siri auch einkaufen soll, ist das vielleicht größte Missverständnis in dem Hype um solche Geräte. Die Gerätehersteller arbeiten deshalb nicht in erster Linie daran, den Verbrauchern das Einkaufen per Sprache zu ermöglichen. Ihr Plan ist viel größer und Bots - also gewissermaßen Programme - spielen darin die Hauptrolle. Die Bots können bereits automatisiert, das heißt sozusagen "selbständig", Kaufentscheidungen treffen oder diese zumindest dem Nutzer zum Absegnen vorschlagen. Und das soll nur der Anfang sein. Amazon, Apple, Google und Microsoft tüfteln wie alle Hardwarehersteller daran, eine neue Ära des Internets zu schaffen: Im "Internet der Dinge", das in Deutschland manchmal auch Industrie 4.0 heißt, sollen alle Geräte selbst miteinander kommunizieren. "Es ist vorstellbar, dass assistierende Services in Zukunft einen Hinweis auf einen niedrigen Tankstand automatisch mit einer Empfehlung der günstigsten Tankstelle auf dem Weg zur Arbeit verbinden", sagt Google-Manager Christian Bärwand. Oder fehlende Lebensmittel im Kühlschrank würden direkt auf die digitale Einkaufsliste gesetzt, vielleicht samt einem Rezeptvorschlag.

Damit der Drucker Papier, die elektrische Zahnbürste Drehköpfe und die Uhr Batterien nachbestellen, müssen sie mit entsprechender Technik ausgestattet sein. Es geht den Konzernen darum, ein Maximum an Geräten mit der entsprechenden Sensoren auszustatten - vom Kühlschrank bis zum Drucker. Oder wie Peter Gentsch, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Aalen, es ausdrückt: "Sie versuchen möglichst viele Abhängige zu schaffen."

Sollte das gelingen, wird das ein anderes Einkaufen sein. Nicht mehr der Hundebesitzer kauft dann Futter, nicht mehr die Sekretärin bestellt neues Druckerpapier, sondern Geräte erledigen dies. Das kann für den Menschen durchaus ein Gewinn an Freiheit und Freizeit sein, das muss jeder für sich entscheiden. Für Händler und Hersteller hat es aber gravierende Folgen. Die Bots der Techfirmen schieben sich an die Schnittstelle zwischen Verbraucher und Händler beziehungsweise Hersteller. Wie gefährlich das sein kann, belegen Testkäufe in den USA. Dort suchen die Sprachassistenten bereits nicht mehr nicht zwangsläufig das beste und günstigste Produkt, sondern das, an dem der jeweilige Hersteller des Sprachassistenten am meisten mitverdient. Obwohl etwa die Echo-Box von Amazon dank gesammelter Daten sehr wohl weiß, welches das günstigste und meistverkaufte Produkt ist, verkaufte der Konzern, vermittelt von Alexas zuckersüßer Stimme, in dem Test lieber seine eigenen Produkte. Es wäre aus Sicht Amazons daher nur rational, mehr Eigenmarken zu schaffen. Die der Konzern dann fast automatisch verkaufen könnte, wenn einmal Geräte die Kaufentscheidungen treffen. Sprachassistenten lohnen sich für die Tech-Giganten aber selbst, wenn sie keine eigenen Produkte anbieten, es also kein Amazon-Klopapier oder keine Microsoft-Schokolade geben sollte. Händler und Hersteller werden ihren Obolus entrichten müssen, wenn sie noch zum Kunden vorgelassen werden wollen. Die Gnade wird aber nur finden, wer sich das leisten kann. Das wird im Zweifel kaum der kleine Krämer aus der Nachbarschaft sein. Denn niemand sagt: Alexa, kaufe mir das an dritter Stelle platzierte Klopapier vom Händler im Viertel. Achim Himmelreich, Digital-Experte der Beratungsfirma Capgemini, warnt deswegen vor einer "Oligopolisierung" im Handel: Sprachassistenten führten zwangsläufig dazu, dass große Unternehmen immer größer werden, kleine aber auf der Strecke blieben. Dabei könnte es sein, sagt Fachmann Himmelreich, dass fatalerweise die neue EU-Datenschutzverordnung die Giganten noch größer macht - obwohl die Europäische Union ja die Verbraucher stärken und schützen wollte. Woran das liegt? Kunden im Internet vertrauten eher den bekannten Konzernen - eben Amazon und Google - als unbekannten Anbietern und deren Technik und Bots. Daher würden sie auch eher Produkten vertrauen, die auf den Plattformen der großen Konzerne angeboten werden, sagt Himmelreich. Und zwar selbst, wenn es heute abwegig erscheint, Schokolade oder Klopapier vom Technik-Konzern zu erhalten.

© SZ vom 31.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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