Am Mittwochmittag sitzt der griechische Finanzminister Yannis Stournaras erschöpft vor der Presse, er hat sich redlich bemüht zu erklären, dass Griechenland auf bestem Wege sei, wieder ein normales Land zu werden, nicht mehr das Epizentrum einer europäischen Krise. Diese enormen Anstrengungen der Bürger in den vergangenen Jahren sollten doch bitte endlich anerkannt werden! Und dann, ganz am Ende seines Auftritts, packt er den wichtigsten Wunsch in einen einzigen Satz: "Griechenland will keine weiteren Vorschriften zum Haushalten bekommen." Keine Auflagen, keine Vorschriften, keine Bedingungen.
Es ist einer der seltenen Fälle, in denen die griechische Regierung den Ton ihrer Bürger trifft. Diese waren an diesem Mittwoch wieder zahlreich auf die Straße gegangen, um gegen Brüsseler Sparauflagen zu demonstrieren. Hoher Besuch aus Brüssel hatte sich angesagt, also genau die richtige Gelegenheit, gegen das vermeintliche Diktat von dort zu protestieren. Die griechischen Behörden haben vorsorglich die südliche Innenstadt abgesperrt, die Demonstranten müssen ihre Parolen in einem Stadtteil zu Gehör bringen.
Griechenland hat am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernommen, wird also für die kommenden sechs Monate die Geschäfte der Europäer führen. Und weil der Beginn der EU-Ratspräsidentschaft feierlich begangen werden soll, sind alle 27 Kommissare nebst Behördenchef José Manuel Barroso in die griechische Hauptstadt gereist. Strahlend blauer Himmel empfängt die Brüsseler Granden, Polizisten geleiten sie sicher hinter die Absperrgitter in die Zappeion Megaron Hall, ein wunderschön restauriertes, 1888 eingeweihtes klassizistisches Gebäude. Am Abend wollen Premierminister Antonis Samaras und Barroso das Glas erheben, auf den Weg Griechenlands in die Normalität.
Vizepremier Evangelos Venizelos ist am Mittwochmorgen nicht nach Feiern zumute. Der sozialistische Politiker, einer der wenigen Überlebenden der früheren Regierungspartei Pasok, ist zwar auch der Meinung, dass sein Land auf gutem Wege ist und selbstverständlich in den kommenden sechs Monaten eine passable EU-Ratspräsidentschaft abliefern wird. Gleichwohl lässt der wortgewaltige Minister durchblicken, dass die Lage durchaus fragil ist.
"Kein einziger EU-Bürger hat bisher für Griechenland einen Cent verloren", sagt Venizelos. Griechenland habe 250 Milliarden Euro an Krediten bekommen und werde diese Kredite auch bedienen. Sicher, die Kreditgeber hätten dafür Garantien abgegeben. Aber kein Bürger habe deshalb einen Verlust hinnehmen müssen. "Auch deutsche Steuerzahler haben keinen Euro verloren, sie haben uns Garantien geben", betont der Sozialist.
Damit das so bleibe, müssten sich die Kreditgeber freilich bereit zeigen, demnächst auch einen "konstruktiven Dialog" mit Griechenland zu beginnen. "Wir bitten nicht um einen neuen Schuldenschnitt oder darum, dass andere die Kredite bezahlen", sagt der Vizepremier, der zugleich Außenminister seines Landes ist. "Wir wollen demnächst mit unseren Partnern ernsthaft darüber reden, wie die Wirtschaft wieder auf die Beine kommt und Griechenland seine Schulden wirklich tragen kann". Details, wie das ohne Schuldenerlass gelingen könnte, lässt Venizelos im Vagen.
Umso wortreicher erklärt er, dass vor allem die Bundesrepublik in der Pflicht ist, Athen aus der Krise zu helfen - und dass er Zugeständnisse aus Berlin erwartet: "Deutschland ist die größte Wirtschaftsmacht in Europa, und das bedeutet, dass die Hilfsprogramme deutsche Handschrift tragen." In den ersten beiden Krisenjahren 2009 und 2010 habe die Gemeinschaft "nicht mit der richtigen Geschwindigkeit und den richtigen Maßnahmen reagiert". Das im Jahr 2010 beschlossene erste Hilfsprogramm sei ein Fehler gewesen, "es hat Griechenland nicht geholfen, es hat unsere Wirtschaft weiter geschwächt, die Arbeitslosenzahl erhöht", kritisiert Venizelos ungewöhnlich offen.
Es sei "ein langer Weg" gewesen, dies herauszufinden und zu ändern. Inzwischen habe Athen wieder einen Ausgabenüberschuss erwirtschaftet und erwarte in diesem Jahr erstmals ein minimales Wachstum der Wirtschaft. Dies dürfe nicht durch neue Diskussionen um weitere Kredite, einen Schuldenschnitt, neue Sparauflagen oder Ähnliches gefährdet werden, weil dies rechtsextremen Parteien in die Hände spielen werde.
Im Mai würden die griechischen Bürger gleich mehrfach ihre Stimme abgeben und damit ein Votum über die derzeitigen Verhältnisse. Es wird ein neues Europäisches Parlament gewählt, und es finden Kommunalwahlen statt. Wenn den Bürgern weitere Auflagen zugemutet werden sollten, dann könne er nicht ausschließen, dass rechts- und linksextreme Parteien so viele Stimmen gewinnen könnten, dass die derzeitige Regierung aus Konservativen und Pasok kippen könne. Dann stehe der Verbleib Griechenlands in der Währungsgemeinschaft zur Disposition, und natürlich auch die Rückzahlung der Kredite. "Wenn Griechenland wegen einer unkontrollierbaren Situation die Euro-Zone verlässt, ja dann werden die Steuerzahler Geld verlieren", warnt Venizelos.
Das die Warnung nicht nur Stimmungsmache ist, zeigt die Reaktion von Oppositionsführer Alexis Tsipras, Chef der linksradikalen Syriza. Er kündigt vorsorglich an, der Zeremonie am Abend fernzubleiben. Die Absage habe "symbolische" Gründe, lässt er verbreiten. Ebenfalls aus symbolischen Gründen, wenn auch ganz anderen, kommt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag nach Athen. Er will "ein Zeichen der Solidarität" setzen.