Spanien:Müllverträge und Nesthocker

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Die Jugend leidet unter hoher Arbeitslosigkeit: Ihre Ausbildung passt nicht mit den Bedürfnissen der Firmen zusammen.

Von Thomas Urban, Madrid

Immer noch ist Spanien das Schlusslicht unter allen EU-Ländern: 46 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Eine Schreckenszahl, zumindest auf den ersten Blick. Doch auf den zweiten sind die arbeitslosen jungen Leute zwischen 16 und 24 Jahren bei Weitem nicht das größte Problem des Landes. Denn die Zahl ist höchst irreführend. Keineswegs bedeutet sie, dass jeder Zweite in der jungen Generation auf der Straße sitzt und auf die Unterstützung der Familien angewiesen ist. Die Quote bezieht sich lediglich auf diejenigen, die aktiv eine bezahlte Beschäftigung suchen, dabei aber erfolglos bleiben.

Dem Arbeitsmarkt steht durchschnittlich weniger als ein Fünftel eines Jahrgangs dieser Altersgruppe zur Verfügung, knapp die Hälfte von ihnen ist als arbeitslos gemeldet. Die überwältigende Mehrheit ist noch in der Ausbildung, leistet Wehrdienst oder freiwilligen Sozialdienst ab, ein nicht geringer Teil fällt unter keine dieser Kategorien, nämlich die "Ni - ni" (weder - noch): Weder besuchen sie eine Schule oder Universität, noch suchen sie eine Stelle.

Das Hauptproblem der jungen Generation liegt vielmehr in der Diskrepanz zwischen der Ausbildung und den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts. Zwar hat die Regierung Rajoy erste Reformen zur Liberalisierung des Arbeitsmarkts in Kraft gesetzt, die Einstellungen, aber auch Entlassungen erleichtern sollen. Erste Effekte sind spürbar, allerdings handelt es sich bei rund 90 Prozent der neuen Arbeitsverhältnisse der jungen Generation um "Müllverträge", wie es die spanische Presse nennt: Sie sind befristet, die Löhne sind niedrig, meist unter 1000 Euro im Monat. Die meisten Jobs gibt es in der Touristenbranche: Kellner, Küchengehilfe, Zimmermädchen. In dieser Woche aber laufen die meisten Verträge aus, weil die Hauptsaison zu Ende geht. Die Arbeitslosenkurve wird nun wieder einen leichten Sprung nach oben machen.

Viele Jugendliche fanden Billig-Jobs im Tourismus - doch nun geht die Saison zu Ende

Solche "Müllverträge" müssen mangels Alternativen auch viele Hochschulabsolventen akzeptieren. Zu viele können zwar ein Diplom oder einen Magistertitel vorweisen, doch mit ihren Profilen sind sie in der Wirtschaft nicht gefragt, und für den öffentlichen Dienst gilt ein weitgehender Einstellungsstopp. In den Boomjahren vor Ausbruch der Krise 2008 waren die Universitäten ausgebaut worden, mehr als zwei Drittel eines Jahrgangs studieren, ein europäischer Spitzenwert. Doch eine der Ausbildung entsprechende und angemessene bezahlte Stellung findet auf Anhieb nur jeder fünfte Hochschulabsolvent. Ganz schlecht stehen Geistes-, Sozial- und Medienwissenschaftler da. Seit vielen Jahren sprechen Leitartikler daher von einer "verlorenen Generation". Nicht nur ihre Karriereperspektiven sind bescheiden, sondern auch die Emanzipation vom Elternhaus verzögert sich. Weit mehr als die Hälfte der jungen Leute zwischen 20 und 29 Jahren wohnt bei den Eltern, da sie sich eine eigene Unterkunft nicht leisten können. Spanien wurde auch bei den "Nesthockern" europäischer Spitzenreiter.

Kurzfristige Besserung ist nicht in Sicht. Vor der Krise haben die Regierungen - sowohl Konservative als auch Sozialisten - grob fahrlässig auf die Förderung der Bau- und Immobilienbranche gesetzt und sich auf den Dauerbrenner Tourismus verlassen. Programme zur Förderung anderer, vor allem innovativer Branchen wurden erst mit der Krise entworfen. Immerhin wurde ein Großteil der bürokratischen Hürden für Firmengründungen beseitigt. So sind in Madrid, Barcelona oder Bilbao lebhafte Start-up-Szenen entstanden. Diese haben zwar Signalwirkung, geben aber nur wenigen Tausend Menschen Arbeit.

Ein dringend nötiger Umbau des gesamten Bildungssystems, das sich mehr an den Realitäten des Arbeitsmarktes orientiert, aber zeichnet sich noch nicht einmal in Umrissen ab. Überdies ist dieses Thema, wie auch in anderen Ländern, politisch stark umstritten, sodass es überaus schwierig sein dürfte, einschneidende Änderungen durchzusetzen. Zwar herrscht Einigkeit unter den Bildungspolitikern jeglicher Couleur, dass etwa die duale Ausbildung, die in Deutschland eine große Tradition hat, ein nachahmenswertes Vorbild wäre. Doch hier zieht bislang die Wirtschaft nicht mit, die diese Tradition nicht kennt. Die Betriebe ziehen es vor, Auszubildende anzulernen und rasch wie normale Arbeitnehmer einzusetzen.

© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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