Spanien:Keine Experimente

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Ein Mann bittet im Geschäftsviertel von Madrid um Kleingeld. Die Reformen der Regierung zeigen nur langsam Wirkung, noch immer ist die Arbeitslosigkeit hoch. (Foto: Pablo Dominguez/Getty)

Die Sorgen der Wirtschaft waren groß vor den Parlamentswahlen in Spanien, doch nun herrscht Erleichterung: Premierminister Rajoy wird seinen Sanierungskurs der vergangenen Jahre wohl sogar noch verstärken können.

Von Thomas Urban, Madrid

Wenn die Politik Kurse macht: In den letzten Tagen sprang der Madrider Börsenindex Ibex 35 nach oben, nachdem er vor genau einer Woche auf den tiefsten Stand seit drei Jahren gefallen war. Grund dafür ist das Ergebnis der vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag. Überraschend hatte dabei die konservative Volkspartei (PP) von Premierminister Mariano Rajoy einen weitaus größeren Stimmenzuwachs verbuchen können als vorausgesagt, er hat nun die beste Ausgangsposition, ein Kabinett zu bilden und somit den Sanierungskurs der letzten vier Jahre fortzusetzen. Noch am Vorabend der Wahlen hatten die Meinungsforscher eine deutliche linke Mehrheit im Cortes, dem Unterhaus in Madrid, gesehen, entsprechend alarmiert hatten die Anleger an der Börse reagiert und für den Ausschlag nach unten gesorgt.

Doch dann kam alles anders: Die linksalternative Bewegung Podemos, die ein Bündnis mit den Postkommunisten eingegangen war, hat entgegen allen Prognosen mehr als eine Million Stimmen verloren und stellt nur die drittstärkste Fraktion. Noch wenige Tage vor der Wahl hatte sich deren Führer Pablo Iglesias, der Politologe mit dem Pferdeschwanz, gebrüstet, als künftiger Ministerpräsident nicht nur Milliarden an Krediten für ein staatliches Konjunkturprogramm aufzunehmen und mit einer "Reichensteuer" die spanische Staatsverschuldung abzubauen, sondern überdies auch in der gesamten EU eine Abkehr vom "Spardiktat Brüssels und Berlins" durchzusetzen.

Die Linksalternativen träumten schon von neomarxistischen Projekten

Doch wird Iglesias dazu keine Gelegenheit bekommen, Podemos hat angesichts der Wahlergebnisse keine Chance, auf die Wirtschaftspolitik Einfluss zu nehmen und neomarxistische Experimente durchzuführen. Stattdessen dürfte die PP den bisherigen Kurs, der Spanien nach dem Absturz seiner Wirtschaft infolge des Platzens einer gigantischen Immobilienblase vor acht Jahre aus der Rezession geführt hat, nicht nur fortführen, sondern vermutlich sogar verschärfen. Denn Madrid ist zuletzt deutlich hinter den Stabilitätsvorgaben geblieben. Das mit Brüssel vereinbarte Haushaltsdefizit von 4,2 Prozent für Ende 2015 wurde um fast einen vollen Punkt verfehlt. Rajoy führte dafür die ausgabenfreudige Politik einiger Regionen an, die sich eines hohen Maßes an Finanzautonomie gegenüber der Zentralregierung in Madrid erfreuen.

Umfragen der vergangenen Jahre haben eindeutig ergeben, dass bei der großen Mehrheit der Spanier durchaus Einsicht in die Notwenigkeit von Sparprogrammen herrscht. Dass der PP und auch den Sozialisten (PSOE) in Gestalt von Podemos und den Ciudadanos Konkurrenz erwachsen ist, führen Politologen auf die Empörung der Spanier über die zahlreichen Korruptionsaffären der beiden etablierten Parteien zurück. Insbesondere Rajoy wird vorgeworfen, als Parteichef die Augen vor der Korruption in der PP verschlossen zu haben. Aus diesem Grunde haben sämtliche anderen großen Parteien erklärt, er sei für sie als Koalitionspartner nicht tragbar. In Madrid wird also spekuliert, er könnte auf das Amt des Regierungschefs verzichten und sich auf die Führung der Partei beschränken. Der Wunschpartner der PP wären die liberalen Ciudadanos (Bürger), die ebenfalls die Fortsetzung des Sanierungsprogramm, also die Verringerung der Staatsquote, für unabdingbar halten. Die Ciudadanos sehen sich als klassische Mittelstandspartei. Doch würden einer derartigen Mitte-Rechts-Koalition immer noch sieben Sitze zur Parlamentsmehrheit fehlen.

Vertreter spanischer Wirtschaftsverbände zeigten sich erleichtert über das Wahlergebnis. Es mehren sich die Stimmen, die für eine große Koalition nach Berliner Vorbild plädieren, um dem Land Stabilität zu garantieren. Auch weisen die Kommentatoren der Wirtschaftspresse darauf hin, dass die überwältigende Mehrheit der Spanier den Linksalternativen von Podemos keinerlei Wirtschaftskompetenz zugesteht. Die neomarxistischen Theoretiker in der Podemos-Führung, deren Lebenserfahrung sich meist auf Hörsäle der Universität beschränkt, hatten mit ihren Ankündigungen, die Wirtschaft grundsätzlich umzubauen, für große Unruhe gesorgt. Zwar hatte Iglesias im Wahlkampf erklärt, er sei eigentlich Sozialdemokrat, doch ist nicht in Vergessenheit geraten, dass er noch vor Jahresfrist nicht nur das sozialistische Regime in Venezuela gepriesen hatte, sondern auch den russischen Revolutionär und Schreibtischmörder Lenin.

Rajoy hat im Wahlkampf keinen Hehl daraus gemacht, dass auf die spanische Bevölkerung weitere harte Jahre zukommen. Die Staatsschulden sind im vergangenen Jahr auf über 100 Prozent des BIP geklettert. Die Arbeitslosigkeit sinkt nur langsam, noch liegt sie bei rund 21 Prozent. 90 Prozent der in den letzten vier Jahren geschlossenen Arbeitsverträge sind befristet, ein Großteil ist prekär. Die PP hat angekündigt, den Arbeitsmarkt weiter zu liberalisieren, überdies steht ein Generalumbau des Bildungssystems an. Die spanischen Universitäten produzieren zu viele Jungakademiker, die keine Chance auf einen der Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz haben und überdies international nicht konkurrenzfähig sind.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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