Sozialpolitik:Brüssel will höhere Mindestlöhne

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Viele Friseurinnen erhalten nur den Mindestlohn, hier ein Salon in Slowenien: Die EU-Kommission wünscht sich höhere Lohnuntergrenzen in Europa. (Foto: dpa)

Der Gesetzentwurf könnte Deutschland zwingen, nationale Regeln zu ändern. Industrieverbände sind entsetzt. Gewerkschaften geht der Vorschlag nicht weit genug

Von Björn Finke, Brüssel

Deutschland und viele andere Mitgliedstaaten sollen nach dem Willen der EU-Kommission bei der Festlegung ihres Mindestlohns nachbessern. Zugleich sollen sich die Regierungen dafür einsetzen, dass Tarifverträge für mehr Beschäftigte gelten. Beide Forderungen finden sich im Vorschlag für eine Mindestlohn-Richtlinie, welche die Brüsseler Behörde am Mittwoch präsentierte. Allerdings verzichtete die Kommission in dem mit Spannung erwarteten Gesetzentwurf darauf, vorzuschreiben, dass Länder mit niedrigen Lohnuntergrenzen diese erhöhen.

Erste Reaktionen deuten darauf hin, dass der Vorschlag in den beiden Gesetzgebungs-Gremien der EU - Europaparlament und Ministerrat - sehr kontrovers diskutiert werden wird. So kritisieren Linke, Sozialdemokraten und Grüne, dass die Kommission keine Lohnhöhen vorgibt. Die SPD-Europaabgeordnete Gabriele Bischoff sagt, die Behörde sei "eindeutig zu kurz gesprungen". Die Sozialdemokraten fordern, dass die Mindestlöhne in jedem Land 60 Prozent des jeweiligen Median-Einkommens, also des mittleren Einkommens, erreichen sollen. Der Grund: Menschen, die weniger als 60 Prozent des Landesmittels verdienen, gelten offiziell als armutsgefährdet. Doch solch einen Wert schaffen bislang nur Frankreich und Portugal. In Deutschland müsste die Untergrenze dafür von jetzt 9,35 auf 12 Euro pro Stunde steigen und nicht bloß auf 10,45 Euro, wie es die Bundesregierung am Mittwoch beschloss.

Der europäische Gewerkschafts-Dachverband ETUC teilt die Kritik der Abgeordneten und hofft auf Verbesserungen während der Debatten in Parlament und Ministerrat. Auf der anderen Seite bezeichnet der Unternehmer-Dachverband Business Europe den Vorschlag als "sicheren Weg in die Katastrophe" und Überschreitung der Kompetenzen der EU. "Wir wollen faire Gehälter, die von nationalen Sozialpartnern festgelegt werden, und keine politisch manipulierten Mindestlöhne", sagt Lobbygeschäftsführer Markus Beyrer.

Tatsächlich ist Lohnpolitik Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. "Die Europäische Union hat keine Kompetenz, Löhne festzusetzen", sagte EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung und einer Handvoll ausländischer Medien. "Ich glaube daher, dass wir mit diesem Vorschlag unsere Kompetenzen bis zum Ende ausgereizt haben. Deswegen bin ich nicht enttäuscht über den Inhalt."

Sechs der 27 EU-Staaten haben gar keine gesetzlichen Mindestlöhne: Schweden, Dänemark, Finnland, Österreich, Italien und Zypern. Die Richtlinie zwingt keine Regierung, Untergrenzen neu einzuführen. Darum wird sich in diesen Staaten nur wenig ändern.

Anders könnte es in Ländern mit Mindestlöhnen aussehen. Hier legt das Gesetz fest, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber bei der Bestimmung der Untergrenzen beteiligt sein müssen; zudem muss die Höhe regelmäßig und anhand transparenter Kriterien angepasst werden. Zu diesen Kriterien sollen in jedem Fall Kaufkraft, Lohngefüge, Lohn- und Produktivitätswachstum gehören. Solch detaillierte Variablen fehlen im deutschen Mindestlohngesetz - da könnte Berlin nachbessern müssen.

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