Das Licht folgt Marco Maas durch seine Wohnung. Er läuft eigentlich nie in ein dunkles Zimmer. Das hat er so programmiert. Auf die Technik ist Verlass - es sei denn, der Mensch kommt ihr in die Quere. So ist es doch einmal passiert, dass der 38-Jährige im Dunkeln saß, als er lesen wollte. Der Bewegungssensor im Schlafzimmer registrierte keine Bewegung, weil Maas auf dem Bett las. Da dachte das Smart Home: Schlafenszeit, gute Nacht. Und dann war auch noch der Smartphone-Akku leer. Im Dunkeln tapste er durch die Wohnung, um das Handy aufzuladen, damit er die App zur Lichtsteuerung wieder nutzen konnte. Nicht weiter tragisch, sagt Maas: "Ich bin schließlich mein eigenes Versuchskaninchen."
Datenjournalist Maas hat in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung in den vergangenen zwei Jahren mehr als 100 smarte Geräte verbaut. Los ging es mit smarten Glühbirnen, die per App gesteuert werden können. Maas hatte sie bei einer Firmenpleite günstig erstanden. Seitdem hat es nicht mehr aufgehört. In der Wohnung im fünften Stock eines schmucklosen Hochhauses nahe der Reeperbahn gibt es: smarte Lichter, die auf Befehl ihre Farbe ändern und an den Bewegungssensor angeschlossen sind, und Steckdosen, die sich per digitaler Steuerung an- und ausschalten lassen. Außerdem hat Maas Bewegungssensoren, ein intelligentes Heizungsthermostat, einen CO2-Messer und ein Soundsystem verbaut, das sich per App für jeden Raum individuell einstellen lässt.
Ein Staubsauger-Roboter, der unter dem Flachbildschirm im Wohnzimmer steht, macht sich einmal täglich selbstständig auf den Weg durch die Wohnung. Auch ein Wischroboter tastet sich regelmäßig seinen Weg durch die Räume. Ein Sensor an Maas' Schlüsselbund signalisiert seiner "Sensorenresidenz", ob er da ist oder nicht. Maas' Waage trackt sein Gewicht und zeigt ihm an, wie das Wetter heute ist. "Ich könnte morgens auf dem Weg ins Bad auch aus dem Küchenfenster schauen, aber das wäre ja von vorgestern," so Maas. Noch auf der Wunschliste ist die Bettunterlage, die das Schlafverhalten von Maas und seiner Partnerin trackt, die mit ihm in der Wohnung lebt. "Da wurde der Verkaufsstart leider gerade wieder verschoben."
"Ich bin der Techniknerd"
Der Wohnung des Paares sieht man die Smartness eigentlich nicht an. Helles Laminat, helles Ledersofa, Krimskrams auf den Regalen, gerahmte Pärchenfotos an der Wand und ein neu erstandenes E-Bike im Gang. Nur in ein paar Ecken stehen kleine verkabelte Geräte, deren Nutzen sich nicht erschließt. Seine Partnerin lässt Maas experimentieren, sie teilt seinen Enthusiasmus aber nicht. "Sie steht eher für den Ottonormalverbraucher, ich bin der Techniknerd." Als er die Lichtschalter abmontierte, weil das physische An- und Ausschalten die Kontroll-App störte, war er aber zu weit gegangen. Die Schalter mussten wieder dran.
Mit fast schon wissenschaftlichem Eifer vermisst Maas sein Leben. Das Display der Waage mit den Wetterinfos bekomme von ihm zum Beispiel viel mehr Aufmerksamkeit als jede Wetter-App, sei ihm aufgefallen. "Interessant, was die unterschiedlichen Displays mit einem machen." Sein Leben als Zahlentabelle ausgeworfen zu bekommen, führe ihm sein eigenes Verhalten vor Augen und lasse keine Ausreden zu, sagt Maas. Gerade will er abnehmen. Seine Waage und seine Schritt-App sind deshalb wichtig für ihn. "Ich schaffe es durch das Selbstvermessen, durch klare Zahlen, mich besser unter Kontrolle zu halten."
Das Verhalten besser verstehen
Gefragt nach einem nicht vernetzten Quadratmeter der Wohnung, öffnet er die Tür zu einer kleinen Abstellkammer. "Darin ist nichts smart, nicht mal die Glühbirne. Ansonsten habe ich überall Technik verbaut." Trotzdem ist seine Wohnung gerade nicht auf dem Höhepunkt ihrer Intelligenz. Ein Kontrollgerät, das Informationen verschiedener Geräte bündelt, scheiterte an einem Softwareupdate. Mehr als 50 smarte Geräte pro Wohnung kann es nicht koordinieren, hat Maas jetzt beim Hersteller Smart Things herausgefunden. Er hofft auf baldigen Support, schließlich ist er mittlerweile VIP-Kunde.
Die mehr als 10.000 Datenpunkte, die er durch einen Tag Leben in seiner Wohnung generiert, sind für Maas auch beruflich interessant. Er will die Erkenntnisse aus seinem Smart-Home-Experiment für seine Firma Open Data City nutzbar machen, die Daten analysiert und visualisiert. So will er sein Verhalten besser verstehen.
Wohin all die Daten über sein Leben sonst noch gehen, wie sie genutzt und vielleicht verkauft werden, weiß Maas nicht. "Ich habe mich bewusst darauf eingelassen, aber so eine Wohnung führt schon ein Eigenleben." Viele Geräte senden ihre Daten auf einen Server irgendwo auf der Welt, speichern sie auf einer wie auch immer gesicherten Cloud.
Eine Antwort auf die Angst vor dem Verlust der Privatsphäre in den eigenen vier Wänden hat Maas nicht, auch wenn er um das Problem weiß. "Die Gefahr, gehackt zu werden, ist definitiv da. Viele Hersteller von Smart-Home-Geräten sind eben keine Sicherheitsexperten und die Sicherheitsstandards der Geräte sind gerade sehr niedrig." Bei ihm siegt trotzdem der Drang zu experimentieren, auch wenn er auf mehr Datensicherheit hofft. Kameras gibt es allerdings nicht in dem vernetztem Heim. Big Brother in der eigenen Wohnung, das geht ihm dann doch zu weit.
Ein weiteres Problem für Smart-Home-Pioniere: Der Markt hat sich noch nicht auf klare technische Standards geeinigt. Es gibt Kompatibilitätsprobleme zwischen den Geräten verschiedener Hersteller - eigentlich ein No-Go für eine Branche, die Dinge vernetzen will. Auf dem Markt würden sich aber bald Geräte mit offenen Standards durchsetzen, sagt Maas: "Nur wer kompatible Geräte anbietet, ist zukunftsfähig."
Ohnehin sei es nur eine Frage der Zeit, bis alle Menschen so vernetzt lebten wie er selbst. "Sogar bei Ikea gibt es schon smarte Glühbirnen, die sich per App steuern lassen." Je schneller die Preise sinken, desto eher werden smarte Geräte in deutschen Wohnungen Standard werden, glaubt Maas. Dann gibt es kein Entrinnen mehr. "Wir werden in naher Zukunft nur noch smarte Dinge kaufen können. Unsere einzige Entscheidung wird sein, ob wir die Funktionen voll nutzen oder nicht."