Siemens-Korruptionsskandal:Die Chefsekretärin packt aus

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Siemens soll in Griechenland Politiker und Manager für einen Milliardenauftrag des Staatskonzerns OTE geschmiert haben - auch mit Haushaltsgeräten fürs Eigenheim.

Klaus Ott und Christiane Schlötzer

Einige Mitarbeiter der Siemens Hellas AG in Athen wurden vor einer Woche noch etwas aufgehalten, ehe sie ihre Büros verlassen und der Hitze in der griechischen Hauptstadt entfliehen konnten.

Siemens-Schmiergeldskandal
:Die wichtigsten Momente

Schmiergeldskandal, neue Unternehmensspitze, Konzernumbau: Siemens hat ein turbulentes Geschäftsjahr hinter sich. Dem Management steht eine schwierige Hauptversammlung bevor. Die Folgen der Korruptionsaffäre und eine drohende Strafe der US-Börsenaufsicht SEC dürften den erwarteten 10.000 Aktionären in der Münchner Olympiahalle unter den Nägeln brennen.

Staatsanwalt Panagiotis Athanasiou kam am Freitagnachmittag vorbei, um nach einem Dossier zu forschen, das Aufschluss geben soll über Schmiergeldzahlungen an Politiker und Parteien. Der griechische Ableger des aus Deutschland stammenden Weltkonzerns war kooperativ. Man habe "freiwillig Unterlagen herausgegeben", sagt ein Konzernsprecher.

Wohl auch Zahlungen an die Parteien

Die Athener Staatsanwaltschaft sucht nach Beweisen für eine Affäre, die bis in höchste politische Kreise reichen könnte. Siemens soll viele Jahre, wenn nicht gar jahrzehntelang hellenische Unternehmen, Parteien und Regierungen mit hohen Millionenbeträgen geschmiert haben. Die Staatsanwaltschaft will nach Angaben der Zeitung Kathimerini 22 ehemalige Manager von Siemens und der heimischen Telefongesellschaft OTE vor Gericht bringen. An Aussagen und Dokumenten, die tiefe Einblicke in mutmaßlich krumme Geschäfte gewähren, mangelt es nicht.

Siemens soll systematisch OTE-Manager bestochen haben, um einen Milliardenauftrag für den Ausbau des hellenischen Telefonnetzes zu bekommen und weit überhöhte Preise abrechnen zu können. OTE prüft Schadensersatzforderungen. Gleichzeitig häufen sich die Hinweise auf Zahlungen an die beiden großen Parteien im Lande, die auch den Zweck gehabt haben sollen, mit OTE handelseinig zu werden.

Die Telefongesellschaft wurde früher vom Staat gesteuert, der heute noch ein Viertel der Anteile hält. "Wenn wir mit Staatsunternehmen Geschäfte machen wollten, mussten wir beiden Parteien Geld geben", sagt ein ehemaliger Siemensianer, der schwarze Kassen verwaltet hat. Die konservative Nea Dimokratia (ND) soll ebenso Millionen bekommen haben wie die sozialistische Pasok. Viele Jahre beherrschte die Pasok das Land, heute regiert die ND.

Hausgeräte und Telefonanlagen geliefert

Am 29. Mai vernahm die Staatsanwaltschaft in Athen die Sekretärin des früheren Chefs von Siemens in Griechenland. Die Sekretärin erzählte von "Zuwendungen" an politische Parteien. Vor den Zahlungen habe sie manchmal mit den Ehefrauen der Politiker telefoniert, oder mit dem Wachpersonal. Das Geld sollte wohl auf Umwegen fließen.

Die Namen der Politiker und Parteien, die Schecks erhalten hätten, seien in einer Akte nachzulesen. Auch seien "Hausgeräte, Telefonanlagen usw." geliefert worden. Diese Unterlagen seien in der Direktion von Siemens Hellas aufbewahrt worden und nur für sie und ihren Chef zugänglich gewesen, sagte die Sekretärin.

Der Ordner war wohl noch da, als die Staatsanwaltschaft einen Tag später, am 30. Mai, Siemens Hellas aufsuchte. Weitere drei Tage später, am 2. Juni, ging bei Siemens in Athen plötzlich ein Scheck über 43850,17 Euro ein. Ausgestellt von einem prominenten Abgeordneten der ND, Kyriakos Mitsotakis, Sohn des früheren Regierungschefs Konstantinos Mitsotakis, Bruder der Außenministerin Dora Bakoyanni.

Die Sache mit dem Scheck

Angeblich wollte er irgendwelche Rechnungen bezahlen. Sollten etwa verdeckte (Sach-)Spenden nachträglich beglichen und legalisiert werden? War der Abgeordnete gewarnt worden, von wem auch immer? Am Freitag wurde die Sache mit dem Scheck in Griechenland bekannt. Der "Schatten von Siemens" falle auf Kyriakos Mitsotakis, schrieb die Presse. Mitsotakis erklärte öffentlich, es sei alles "legal" gewesen.

Auf der nächsten Seite: Das Telekom-Management wird wohl bald an der Aufklärung des Siemens-Skandals beteiligt sein.

In Kreisen von Athener Anwälten, die beschuldigte Siemens- und OTE-Manager vertreten, wird den Justizbehörden misstraut. Die Staatsanwaltschaft wolle die Regierung aus dem Skandal heraushalten, argwöhnt ein Verteidiger. Die Ermittlungen seien "manipuliert". Das ist in Athen oft zu hören. Andererseits untersucht die dortige Justiz den Fall nicht alleine. Siemens ist selbst tätig; der Konzern steht unter dem Druck der amerikanischen Börsenaufsicht SEC, die Aufklärung verlangt. Siemens ist an der New Yorker Börse notiert.

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Das Telekom-Management soll die Affäre aufklären

Bei der SEC droht eine Strafe in Milliardenhöhe. Je weniger Siemens von sich aus aufhellt, desto höher fällt die Geldbuße aus. Siemens hat die US-Kanzlei Debevoise & Plimpton beauftragt, im Konzern zu ermitteln. Debevoise-Anwälte haben auch die ehemalige Chefsekretärin in Griechenland vernommen und von ihr die Unterlagen erhalten, in denen die Spenden an Politiker und Parteien verzeichnet sind.

Wahrscheinlich ist bald auch die Deutsche Telekom mit dem Fall befasst. Sie gerät - ungewollt und unverschuldet - mitten hinein in das trübe Treiben, das in Athen für helle Aufregung und viele Schlagzeilen sorgt. Telekom-Vorstandschef René Obermann muss sich außer um den Spitzelskandal im eigenen Unternehmen wohl noch um die mutmaßlichen Schmiergeldzahlungen von Siemens im Süden Europas kümmern. Der deutsche Telefonkonzern steht kurz vor dem Einstieg bei OTE.

Die Telekom übernimmt dort mehr als 25 Prozent der Anteile sowie "die Management-Kontrolle, einvernehmlich mit der griechischen Regierung". So hat es Obermann kürzlich mit der Regierung in Athen vereinbart und verkündet. Nächste Woche soll das Parlament in Athen dem Vertrag zustimmen. Dann wäre das Geschäft perfekt, das sich die Telekom 3,2 Milliarden Euro kosten lässt. "Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit", frohlockt Obermann.

Jubelt er zu früh? Dem Vorstandschef stehen heiße Monate am Mittelmeer bevor, nicht nur wegen der Jahreszeit. Nimmt Obermann die Verantwortung für OTE ernst, muss dort das künftig von der Telekom kontrollierte Management die Affäre aufklären, ohne Rücksicht auf schmutzige Details und politische Folgen. Am Ende könnten eine horrende Schadensersatzklage von OTE gegen Siemens stehen und ein Konflikt mit der Regierung in Athen, dem Partner der Telekom bei OTE.

Schwarzgeldkonto "Franz"

Die Nea Dimokratia hat nur eine Stimme Mehrheit im Parlament. Sollte auch nur ein ND-Abgeordneter in die Schmiergeldaffäre verwickelt sein und deshalb ausfallen, dann wäre die Regierung gefährdet. Und ein prominenter Parlamentarier ist mit Kyriakos Mitsotakis ja schon ins Blickfeld geraten. Die ND ist an erfolgreichen Ermittlungen offenbar ebenso wenig interessiert wie ihr größter Gegner, die oppositionelle Pasok. Die Sozialisten haben lange allein regiert und müssen ebenfalls hässliche Enthüllungen befürchten. Die US-Kanzlei Debevoise, die den dunklen Vorgängen bei Siemens nachgeht, soll bei der Pasok bereits fündig geworden sein.

Die Debevoise-Juristen vernehmen Zeugen und Beschuldigte bei Siemens, filzen Akten und sichten E-Mails. Der US-Kanzlei ist es offenbar gelungen, verschlungene Zahlungswege freizulegen. Aus München sollen über ein Schwarzgeldkonto in Salzburg mit dem Decknamen "Franz" vom 17. Februar 1998 bis zum 17. Mai 2001 in fünf Tranchen 36,6 Millionen Mark an OTE-Manager geflossen sein, davon allein 7,5 Millionen Mark an Ex-Generaldirektor Georgios Skarpelis. Der war nach Angaben seines Anwaltes Janis Mantzuranis Mitglied einer Kommission, die den Milliardenvertrag der staatlichen Telefongesellschaft OTE mit Siemens verhandelte, sowie Funktionär der damals regierenden Pasok.

Auf der nächsten Seite: Rechnungen für Einkaufsbummel, Pay-TV und Grappa.

Der Anwalt von Skarpelis widerspricht der Anschuldigung von Debevoise. Sein Mandant habe "gar nichts von diesem Geld bekommen". Die Vorwürfe seien konstruiert, um Skarpelis "aus politischen Gründen zu beschuldigen". Die Staatsanwaltschaft in Athen sieht das anders, sie will nach Angaben der Zeitung Kathimerini auch Skarpelis anklagen. Sein Anwalt Mantzuranis entgegnet, die Staatsanwaltschaft solle lieber herausfinden, "welche Politiker Geld bekommen haben und nicht das letzte Loch in der Flöte suchen".

Millionenrechnungen auf Notizzetteln

Die Athener Staatsanwaltschaft hat von den Kollegen aus München, die im Fall Siemens ermitteln, sowie von Debevoise und von Siemens jede Menge Material erhalten: Aussagen, Vermerke, Kontounterlagen. Bis zu 200 OTE-Mitarbeiter seien geschmiert worden, hat ein früherer Siemens-Direktor zu Protokoll gegeben. Angaben eines anderen ehemaligen Konzernmanagers erklären, warum diese Zahl wohl nicht aus der Luft gegriffen ist.

Bereits im März 2006 plauderte der damalige Chef der Sparte Telekommunikation von Siemens Hellas mit Münchner Kollegen über Details, die schriftlich festgehalten wurden. Mit "Bonuszahlungen" an OTE-Leute sei erreicht worden, dass die griechische Telefongesellschaft vertragliche Rechte nicht wahrgenommen habe. "Zahlreiche Bonuszahlungen wurden insbesondere deshalb nötig, weil das OTE-Management in den vergangenen Jahren insgesamt vier Mal komplett ausgewechselt wurde und daher sichergestellt werden musste, dass sich an der für Siemens günstigen Praxis nichts änderte." Das habe Siemens "hohe Renditen" ermöglicht.

Wie viel Schmiergeld geflossen sein soll, lässt ein weiteres Siemens-Dokument vom 19. Januar 1998 erahnen. Auf acht Seiten hat ein Angestellter handschriftlich notiert, wie man sich den Milliardenvertrag mit OTE ("Projekt OTE Nr. 8002") für den Ausbau des griechischen Telefonnetzes erkauft habe. Der Vermerk sieht so aus, als habe ein Schüler ein paar Rechenaufgaben geübt, doch das waren keine fiktiven Beispiele. Unter der Rubrik "Verpflichtungen" sind eingetragen: "Anzahlung" 45 Millionen Mark bereits geleistet, erste "Lieferung" über 11 Millionen Mark bereits erfolgt. In vier "Zahlungsphasen" seien bis Ende 1999 weitere 75 Millionen Mark aufzubringen. Das Geld solle über geheime Siemens-Konten in Zürich, Innsbruck und Salzburg transferiert werden.

Pay-TV und Grappa

Dort hatte der Konzern schwarze Kassen eingerichtet. Seite für Seite ist alles penibel aufgelistet: Beträge, Tage, Konten. Am 11. Februar 1998 seien via Salzburg 1,5 Millionen Mark zu zahlen, Stichwort "Samos". Am 10. November 1998 ebenfalls über die Mozart-Stadt eine Million Euro, Stichwort "Nikos". Und so weiter, und so fort. Im ersten Prozess in der Siemens-Affäre, der vergangene Woche in München begann, hat der angeklagte Ex-Direktor erzählt, wer das Geld bekommen habe: OTE-Manager, die in diesen Städten Konten geführt hätten. Das Stichwort "Franz", das nach den Erkenntnissen der Debevoise-Juristen zum früheren OTE-Generaldirektor Skarpelis führt, kommt ebenfalls vor. In anderen Papieren sind weitere Zahlungen für das Projekt "Griechenland 8002" dokumentiert, etwa für eine "Vertragserweiterung". Mal 19,1 Millionen Mark, mal 7,65 Millionen Euro, "zahlbar nach Abruf".

Auch sonst kümmerte sich Siemens offenbar fürsorglich um Spitzenleute der OTE. Gäste aus Athen hätten auf Kosten des Weltkonzerns vergnügliche Tage in München verbracht, inklusive Einkaufsbummel, erzählte ein geständiger Siemens-Kaufmann der Staatsanwaltschaft in München. Eines der besten Hotels am Platze schickte dem Konzern regelmäßig hohe Rechnungen für namentlich genannte Besucher aus Griechenland. Mal über 1766 Mark, mal über 1926 Mark, für Logis und Frühstück, Pay-TV und Bar. Die hellenischen Gäste tranken gerne und teuer, ob Grappa Brunello zu 57 Mark oder Laurent Perrier für 290 Mark.

Zusätzlich flossen Millionen über eine Bank in Monaco und eine Firma Placid Blue nach Athen. Auch diese Zahlungen sind dokumentiert, beispielsweise eine über 1 669 660 Euro. Nur die Namen der Begünstigten fehlen, anders als bei den Hotelrechnungen. Nach Aussagen von geständigen Siemensianern waren das die Mittel für Politiker und Parteien.

© SZ vom 07.06.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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