Siemens:Diskrete Macht

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Staatsanwälte und Manager staunen über den zunehmenden Einfluss privater Ermittler, die den Skandal um schwarze Kassen bei Siemens aufklären sollen.

Markus Balser und Klaus Ott

Imposant ragt der schwarze Büroturm mit der Hausnummer 919 in den Himmel über der dritten Avenue mitten in Manhattan. Gut 50 Stockwerke, schwarze Stahlstreben, verspiegelte Fenster - nur ein kleines Schild für Boten weist darauf hin, dass hier in den oberen elf Stockwerken eine der weltweit renommiertesten Anwaltskanzleien residiert. Debevoise & Plimpton Message Center, prangt neben der Lobby aus hellem Marmor. Uniformierte Pförtner bewachen die Eingangshalle und wimmeln Fremde ab. Ohne Sicherheitskontrolle kommt niemand in die Räume der Kanzlei, denn die Post, die im hauseigenen Briefzentrum landet, ist brisant.

In der Konzernzentrale von Siemens am Wittelsbacherplatz in München vernehmen Anwälte der US-Kanzlei Debevoise Beschäftigte, die in den Korruptionsskandal verwickelt sind. Bis zu zehn Stunden dauert das, meist geht es freundlich zu. (Foto: Foto: dpa)

Konzerne aus der ganzen Welt, denen US-Behörden im Nacken sitzen, wenden sich an Debevoise & Plimpton. Die Anwälte schwärmen aus, wenn es für Unternehmen brenzlig wird, zum Beispiel bei Untersuchungen der gefürchteten US-Börsenaufsicht SEC aus, aber auch in anderen Fällen. So engagierte der Pharma-Konzern Merck bei einem heftigen Rechtsstreit wegen seines Schmerzmittels Vioxx die New Yorker Kanzlei. Tausende Patienten hatten die Firma mit Klagen überzogen. Auch bei Übernahmen oder Kaufverträgen ist Debevoise gefragt. Die Liste der Klienten ist lang und voller Prominenz: General Electric, Novartis, Aeroflot, die Investmentbank JP Morgan, Chrysler.

Die Kanzlei ist gut im Geschäft und weltweit an den führenden Handels- und Finanzplätzen präsent - in London, Moskau, Hongkong oder Schanghai. Die wohl größte Zweigstelle findet sich derzeit allerdings nicht auf dem Briefkopf der Amerikaner: München, Wittelsbacherplatz 2. Dort sitzt die Siemens AG. Ganze Flure besetzten die Anwälte zeitweise, die hier seit gut einem Jahr im Auftrag des Aufsichtsrats den Korruptionsskandal vollständig aufklären sollen.

Spuren in den Vorstand

Neue Spuren führen bis in den gegenwärtigen Vorstand. Auch altgediente Top-Manager müssen vor der US-Kanzlei zittern. Es soll offenbar niemand geschont und alles getan werden, um die SEC milde zu stimmen. Schließlich droht dem Konzern, der seit dem Jahr 2001 auch an der New Yorker Börse notiert ist, ein Bußgeld von mehreren Milliarden Euro. Lieber zahlt der Konzern viele hundert Millionen Euro Honorar für Debevoise und andere zu Hilfe geholte Experten, darunter die Wirtschaftsprüfergesellschaft Deloitte Tohmatsu.

Münchner Staatsanwälte und Kriminalbeamte staunen über den Einfluss der Kanzlei. Ein Ermittler hat gar den Eindruck, Vorstand und Aufsichtsrat des Weltkonzerns "schlagen die Hacken zusammen", wenn die US-Anwälte Ratschläge erteile. Auf Empfehlung von Debevoise wurde im April vergangenen Jahres der Vertrag des Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld erst einmal nicht verlängert, woraufhin der Konzernchef seinen Abschied erklärte. Und als die New Yorker Anwaltsfirma jetzt nahelegte, den Vorstand bei der Hauptversammlung an diesem Donnerstag mit Ausnahme des neuen Konzernchefs Peter Löscher nicht zu entlasten, schloss sich der Aufsichtsrat dem Votum umgehend an.

Hoffen auf Gnade

Private Ermittler, die ein Unternehmer durchleuchten und praktisch als verlängerter Arm der Behörden agieren, das sind ungewohnte Verhältnisse. Man lerne gerade eine "andere Rechtskultur kennen", sagt Oberstaatsanwalt Manfred Nötzel. Auch für andere Juristen ist das Neuland, etwa für den Münchner Anwalt Walter Lechner. Er vertritt mehrere Siemens-Beschäftigte, die nach Erkenntnissen der Behörden geholfen haben, schwarze Kassen zu bilden und Schmiergeld zu zahlen. Nun packen sie im eigenen Unternehmen aus und hoffen auf Gnade. Denn Konzernchef Löscher hat eine Amnestie angeboten: Wer Debevoise hilft, aufzuklären, muss keinen Schadensersatz zahlen und wird nicht gefeuert. Für die oberen Führungskräfte gilt das allerdings nicht. Anfangs habe es Bedenken gegeben, ob das eine "Mogelpackung" sei, sagt Lechner. Er hat vorgefühlt und Mandanten dann geraten, "reinen Tisch zu machen".

Bei Debevoise hat es Lechner vor allem mit Nicola Port zu tun, einer aus der Schweiz stammenden Juristin mit Büro in New York, die an vielen Vernehmungen von Siemens-Angestellten in München teilnimmt. "Freundlich, fair und korrekt" gehe es zu, lautet Lechners Erfahrung. Nicola Port habe stets Wort gehalten. Wenn die Schweizer Juristin und deren Debevoise-Kollegen zu den Vernehmungen am Wittelsbacherplatz bitten, dann geht es erst einmal locker zu. "Nun schildern Sie doch mal ihren Werdegang bei Siemens", lautet die Einleitung. Später geht es zur Sache, meistens viele Stunden lang. "Debevoise fragt gezielt, wie weit das Schmiergeld-System im Konzern nach oben ging", sagt Lechner. "Die wollen alles wissen, genauso wie die Staatsanwaltschaft." Wie weit die Ermittler nach oben vorgestoßen sind, sagt Debevoise der Presse nicht. "Wir sprechen nicht über unsere Arbeit", sagt Nicola Port und verweist auf Siemens. Dort erklärt man, Debevoise leiste "hervorragende Arbeit", und schweigt ansonsten - noch.

In Schanghai und andernorts studieren die Anwälte und Wirtschaftsprüfer in Siemens-Büros schier endlose Zahlenkolonnen und arbeiten einen Zehn-Punkte-Plan ab. Was wurde wohin überwiesen, vielleicht gar auf Nummernkonten? Taucht mehrmals der selbe Betrag in Abrechnungen für Berater einzelner Geschäftsfelder auf? Liefen Firmenkonten über die Namen von Mitarbeitern? Rote Fahnen nennen Wirtschaftsdetektive solche Hinweise auf Korruption.

Faktor Zeit

Rasant wühlt sich Debevoise durch das Siemens-Weltreich. Untersuchte die Kanzlei im April 2006 noch Geschäfte in 30 Ländern, waren es zwei Monate später schon fast 50. Anwälte reisten nach China und Russland und entwarfen eine eigene Siemens-Topographie: Korruptionsanfälligen Ländern, wie Kolumbien, China, Italien, Nigeria oder Russland verordnete Debevoise "hohe Priorität". Entscheidend sei der "Faktor Zeit", sagt ein Ermittler. "Was Sie in den ersten Wochen oder Monaten nicht entdecken, entdecken Sie wahrscheinlich nie. Viele Ordner sind dann einfach verschwunden."

Anfangs hatte es Debevoise schwer, viele Gerüchte machten die Runde. Die US-Kanzlei überwache in "Echtzeit" die E-Mails, Anwälte drohten in Vernehmungen angeblich mit körperlicher Gewalt, Mitarbeiten sorgten sich um Industriespionage. Der Konzern musste die Belegschaft beruhigen. Körperliche Gewalt würde man niemals toleriert, von Debevoise mitgenommene Papiere bekomme man umgehend zurück, für Massenobservationen fehle die Zeit. Und Hanelsgeheimnisse interessierten Debevoise nicht. Im Herbst sollen die Ermittlungen dann doch ins Stocken geraten sein, ehe das Amnestieprogramm kam. Das bringe viele Erkenntnisse, berichtete Deveboise am Montag dem Aufsichtsrat. Die Aufklärung geht weiter.

© SZ vom 22.01.2008/sma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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