Serie: Wie wir wohnen:Keller und Dachboden werden edel

Lesezeit: 4 Min.

Wäsche waschen, Kartoffeln lagern und Partys feiern, das war einmal. Heute wird jeder Raum genutzt - schade, finden einige.

Von Oliver Herwig

Als Nicht-Sammler sind mir Keller und Speicher verhältnismäßig unwichtig", sagt Susanne Muhr von Lynx Achitecture, "ich habe nicht viel und brauche nicht viel." Damit liegt die Architektin voll im Trend, schließlich gilt seit geraumer Zeit "simplify your life". Wohin aber mit den Dingen, die in der Wohnung keinen Platz mehr finden? Der Speicher müsse ja nicht zwingend im Haus sein, entgegnet die Münchnerin und setzt nach: "Sachen im Keller braucht man in der Regel nie oder nur selten." Muhr rät daher: "Weglassen oder vernünftig nutzen - dunkle Löcher haben keine Zukunft."

Es tut sich also was bei den einstigen Funktionsräumen über unseren Köpfen und unter unseren Füßen. Keller und Dachboden werden umgewidmet und aufgewertet. Das ist kein einfacher Lifestyle-Trend, das ist eine Notwendigkeit. In Großstädten können sich die wenigsten leisten, umgebauten Raum ungenutzt liegen zu lassen. Dazu kommt der technische Fortschritt. Und der Wunsch nach Bequemlichkeit bei gestressten Großstädtern, die nach neun Stunden Büro keine Lust auf große Waschaktionen haben. Die einstige Waschküche und den Trockenraum hat der kombinierte Wasch- und Trockenautomat erledigt. Und der Dachboden, auf dem zwischen Bettlaken und ausgedienten Möbeln Entdeckungen warteten, steigt auf zum vollständig ausgebauten Dachgeschoss, einem Mini-Penthouse über der Stadt. Je höher, desto aufwendiger und teurer, lautet die Devise.

Erst Rumpelkammer, dann Lager- oder Hobby-Raum: Der Keller wurde auf vielfältige Art genutzt. (Foto: imago/Jürgen Ritter)

Oben und unten, Dach und Keller, haben mehr miteinander zu tun, als man gemeinhin annimmt. Beim Haus bildeten die entgegengesetzten Enden lange Zeit Reserveflächen, hier wurde gebunkert, weggesperrt und abgelegt, was das Zeug hielt. Was sich genau unter Tüchern und in Schubladen und Truhen verbarg, zeigte sich oft erst, wenn die Hinterlassenschaften ganzer Generationen nach dem Tod der Erbtante auftauchen. Keller und Dach bildeten das Gedächtnis des Ortes, Kubikmeter für Kubikmeter Vergangenheit, gleich, ob verpackt in Schachteln, Kartons und alten Umzugskisten oder wahllos abgestellt und ausgebreitet.

Das könnte nun vorbei sein. Die durchrationalisierte Wohnung und das optimierte Haus bieten schlichtweg keinen Platz mehr für solche Platzverschwendung. "Der Keller in unserem Mietshaus ist voll mit Lagerflächen, im Speicher herrscht dank neuer Brandschutz-Bestimmungen gähnende Leere", stellt der Architekt Christian Zöhrer fest. Stauraum lässt sich dafür zumieten - zwar nicht immer ums Eck, dafür zumindest verkehrsgünstig gelegen. Der Rest wird entsorgt. Alte Möbel und Kleider lassen sich neuerdings nicht mehr nur auf Flohmärkten, sondern gewinnbringend auf Vintage-Portalen losschlagen. Klingt nach effizientem Wirtschaften und hat durchaus mentalhygienische Aspekte. Das Wohnen entschlackt sich. Ausgetrieben wird, was gerade nicht wichtig scheint. Ebenso wie das Dubiose.

(Foto: SZ)

"Keller als auch Speicher sollten als Räume des Unbewussten bezeichnet werden", fordert Christian Zöhrer, "in die Dinge in die Vergessenheit absinken, aber auch wieder an die Oberfläche des Wohnalltags gelangen können." Der Münchner lässt die durchgehende Funktionalisierung des Wohnens nicht zu und fordert: "Diese Räume gehören wesentlich zum Ort des Wohnens, ihre Bedeutung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ein externalisiertes Lagern in Depots wandelt diese Bedeutung durch den Verlust des direkten räumlichen Bezugs wesentlich."

Man sollte Keller nicht überfrachten mit Bedeutung, doch es ist schon interessant, wie das Bild des Hauses auch bei den Klassikern der Psychoanalyse - Freud und Jung - benutzt wird, um in tiefere Schichten abzusteigen. Im metaphorischen Keller unseres Unter- und Unbewussten wird abgeladen, was weiter oben - also in reflektierten Schichten - keinen Platz hat oder schlicht verdrängt wird. In Freuds Keller stapeln sich Ängste und Triebe, und Jung persifliert, dass sich das Bewusstsein nicht in den Keller hinunterwage. Das tat Ulrich Seidl mit dem Dokumentarfilm "Keller". Der Regisseur führte 2014 in Abgründe, just, als in Wien und Amstetten Verließe und perverse Gegenwelten ans Tageslicht kamen. "Dort unten können sie - Männer, Familienväter, Hausfrauen, Ehepaare oder Kinder - sein, wie sie sein wollen", erklärte Seidl.

Heute dient der Keller oft als Fitness-Oase oder als zusätzliche Wohnfläche. (Foto: Pro_Keller/Zapf_Sauna)

Quadratmeterpreise entscheiden darüber, wie wir leben, lieben und denken

Früher war der Keller gut für Kartoffeln, Wein und Werkstätten. Davon ist nicht viel geblieben, außer vielleicht der Wein, wenn er nicht gleich im perfekt temperierten Weinkühlschrank neben der Side-by-Side-Kühlkombination ruht. "Der Standard hat sich heute deutlich gehoben. Für Bauherren vorstellbar sind hier zunehmend auch vollwertige Aufenthaltsräume", sagt Gianfranco Maio von Maio & Maio Architekten.

Der unaufhaltsame Aufstieg (und Ausbau) des Dachs und der famose Ausbau des Kellers von der Restfläche zur Wellness- und Wohnzone zeigen, dass Quadratmeterpreise über die Art und Weise entscheiden, wie wir leben, lieben und denken. Kolja Winkler, Gutachter im Bereich von Feuchtigkeitsschäden, rät daher nicht nur zu einer sicheren Abdichtung des Kellers, sondern zeigt auf, dass der "Keller eigentlich der günstigste Wohnraum" sei. Winkler rechnet vor, dass ein Wohnkeller die Wohnfläche oft um bis zu "50 Prozent" vergrößere - bei einem Bruchteil der Kosten regulärer Geschosse. Einen vergleichbaren "Vergünstigungseffekt" erreiche man sonst nur mit einem weiteren Geschoss, das aber oft nicht erlaubt sei.

Also landen auch auf dem Land neben Wärmepumpe und Pelletbunker (schließlich sind wir nachhaltig) immer mehr Funktionen im Untergrund, die bislang oberen Geschossen vorbehalten waren. Neben dem traditionellen Hobbyraum sind es Arbeitsplätze oder ganze Einliegerwohnungen. Und auch die Sauna im Keller (die in nordischen Ländern gerne auf dem Dach ist, allein, um Landschaft, Luft und Weite zu genießen), wird zur Wellness-Station aufgebohrt. Was früher wenigstens ansatzweise anarchische Qualitäten besaß wie der Partykeller mit Bar, Discokugel, Foto-tapeten und Teppichen, auf die keiner so genau schauen wollte, erhält ein Upgrade in Sachen Funktionalität und Convenience. Richtschnur ist das gut ausgestattete Hotel, das unsere Wünsche und Vorstellungen zentriert. Der Keller, einst charakterisiert als überwiegende Funktionszone (Vorratslager, Wäscheraum, Garage), hat ausgedient, selbst die schmutzige Ölheizung wird zum funktionalen Ökokraftwerk, nun kann auch der Hobbyraum zum Arbeitszimmer veredelt werden.

Nun kann man über die auf Effizienz getrimmte Wohnfabrik namens Stadt nur staunen. Wie in der Wirtschaft werden stille Reserven aufgelöst und in Nutzung überführt. Der neue Keller ist nicht irgendeine muffige Souterrain-Wohnung, sondern wahlweise hochwertiger Wohn- und Arbeitsraum. Oder eine private Fitness-Oase. Je mehr Komfort Einzug hält in den einstigen Restflächen, je mehr Technik, desto eher wird man sie vermissen: Räume, die etwas unklar waren und unbestimmt.

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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