In dem informellen innerkoalitionären Wettbewerb "Wer setzt die besseren Themen?" hat die SPD einen weiteren Aufschlag gemacht. Bundesfinanzminister Olaf Scholz gab sich am Mittwoch in Berlin regelrecht kämpferisch, als er ankündigte, die Bundesregierung werde jetzt ganz gezielt und viel stärker als bisher gegen Schwarzarbeit, Tagelöhnerstrich, Scheinrechnungen und das Erschleichen von Sozialleistungen wie Kindergeld vorgehen. Zugleich sollen Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen durchgesetzt und Matratzenlager auf Baustellen verhindert werden. Er werde "dafür Sorge tragen, dass Ordnung und Fairness auf dem Arbeitsmarkt wiederhergestellt werden".
Dazu hat Scholz am Mittwoch ein neues Gesetz vorgelegt, das die Befugnisse und Eingriffsrechte des Zolls deutlich verbessert. Zugleich wird das Personal beim Zoll bis 2030 von derzeit 7900 auf dann rund 13 000 Mitarbeiter aufgestockt. In Deutschland ist die "Sondereinheit Finanzkontrolle Schwarzarbeit" beim Zoll für die Kontrolle des Arbeitsmarktes und der Sozialleistungen zuständig. Allein in den beiden vergangenen Jahren haben Zollbeamte Schäden von 1,8 Milliarden Euro aufgedeckt. Scholz zufolge liegt die Dunkelziffer weit höher; bisher aber kamen die Fahnder in vielen Verdachtsfällen wegen fehlender gesetzlicher Ermächtigungen nicht weiter.
"Wir werden das Licht anschalten und schauen, was die Wirklichkeit ist"
Das soll sich ändern. "Wir werden das Licht anschalten und schauen, was die Wirklichkeit ist", sagte Scholz. Er rechnet damit, dass die Schadensziffern zunächst steigen, weil der Zoll mehr Verfehlungen aufdeckt. Der Minister versprach entschlossenes Vorgehen; die Ermittlungen könnten dazu führen, "dass der eine oder andere hinter Gitter landen wird". Langfristig würden die Schäden zurückgehen, weil sich weniger Leute trauen zu betrügen.
Zwar sprach Scholz ein großes Problem nicht direkt an - klar ist aber, dass mit dem neuen Gesetz gezielt Bandenkriminalität aus südosteuropäischen Ländern bekämpft werden soll. Scholz sprach davon, dass in einigen Regionen zu beobachten sei, wie morgens an bestimmten Straßenecken Menschen herumstehen würden, die dann mit Autos abgeholt und irgendwohin zum Arbeiten gefahren würden. Dieser "Arbeiterstrich", wie die um sich greifende Tagelöhnerbörse genannt werden, müsse beendet werden.
Das Bundesfinanzministerium veröffentlichte Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass ein solcher Tagelöhnerstrich auf der Ausfallstraße im Kölner Gewerbegebiet aufgefallen ist. Autos und kleinere Lieferwagen führen die Männer nach kurzen Verhandlungen an einzelne Baustellen, etwa Köln-Poll. Dort bekommen Bauschlosser dann weniger als fünf Euro Stundenlohn. Ähnliches ist auch in Grenzregionen zu besichtigen. Künftig kann der Zoll bei der Geschäftsanbahnung einschreiten.
Sie schlafen auf der Baustelle in Matratzenlagern, ohne Heizung und Toilette
Beendet werden sollen "ausbeuterische Arbeitsverhältnisse". Das Ministerium verwies auf den Fall, dass ein Unternehmer in Potsdam 20 südosteuropäische Arbeitskräfte für Sanierungsarbeiten beschäftige - und nicht den gesetzlichen Mindestlohn zahle. Die Menschen arbeiteten den ganzen Tag und hausten in einer Unterkunft auf Matratzenlagern ohne Heizung und Sanitäranlagen. Künftig darf der Zoll bei bloßem Verdacht auf Zwangsarbeit und Menschenhandel ermitteln.
Wer in Sicherheitsdiensten arbeitet, unterliegt künftig der sofortigen Meldepflicht, etwa bei der Rentenversicherung. Arbeitszeiten müssen dokumentiert werden. Die Unterkünfte müssen tariflich vereinbarte Mindeststandards erfüllen. Verhindert werden soll, dass Arbeitskräfte überteuerte Mieten in Schrottimmobilien zahlen oder in Obdachlosenheimen schlafen müssen.
Scholz will zudem organisierten Missbrauch beim Kindergeld beenden. Über kriminelle Netzwerke kommen EU-Ausländer, vor allem aus Südosteuropa, nach Deutschland, um mit gefälschten Papieren Sozialleistungen wie Kindergeld zu beantragen. Allein 2017 belief sich der Schaden auf 50 Millionen Euro. Das neue Gesetz stärkt die Rechte der Behörden.
Am Mittwoch passierte das Gesetz das Bundeskabinett. Bis Ende des Jahres soll es durch das parlamentarische Verfahren kommen. Bei der Präsentation am Mittwoch leistete sich Scholz sogar einen Schuss Ironie: "Dass Recht und Ordnung auch auf dem Arbeitsmarkt herrschen, ist ein Wunsch, den viele Bürger teilen." Treffender hätte es auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nicht sagen können.