Die Botschaften aus Athen enthielten merkwürdige Hinweise, aber die Empfänger der Mails in Deutschland wussten genau, was wie zu verstehen war. "Special tools", Spezialwerkzeuge, bedeutete Schmiergeld. "Downstreamen" hieß, auch unterhalb der Chefetagen in den Ministerien und beim Militär müsse bestochen werden. Und dann waren da auch noch "Loyalities" zu pflegen. Ein dezenter Fingerzeig, dass weitere Zahlungen notwendig seien, um laufende Projekte voranzubringen.
Die Absender der Mails, der griechische Geschäftsmann und frühere Marine-Offizier Papagiotis Efstathiou und seine Mitarbeiter, ließen bei ihren deutschen Partnern keine Zweifel aufkommen, wie das System funktioniere. Den Zuschlag für lukrative Rüstungsaufträge bekomme er nicht, weil er in der orthodoxen Kirche um göttlichen Beistand bete, machte Efstathiou klar. Der Erfolg beruhe auf dem "Einsatz unserer Werkzeuge".
Die entlarvenden Mails werden von Staatsanwälten ausgewertet, die Schmiergeldvorwürfen beim Verkauf des deutschen Flugabwehrsystems Asrad für 150 Millionen Euro an die griechische Armee nachgehen. Aus dem Verdacht ist inzwischen Gewissheit geworden. Efstathiou hat Ministeriale und Militärs in Athen bestochen, damit die sich für die Stinger Boden-Luft-Raketen der Düsseldorfer Rheinmetall AG entschieden. Und etliche Verantwortliche bei der Tochterfirma Rheinmetall Defence Electronics in Bremen haben das gewusst oder bewusst in Kauf genommen, um den Auftrag zu erhalten.
Mindestens zwei Rheinmetall-Führungskräfte haben sich bereichert
E-Mails, Kontoauszüge und andere Dokumente sowie abgehörte Telefonate dokumentieren: Hier wurde korrumpiert. Mindestens zwei Führungskräfte der Rheinmetall Defence Electronics haben sich an dem schmutzigen Deal sogar persönlich bereichert. Der eine griff 40 000 Euro ab, der andere 80 000 Euro. Als das aufflog, mussten die beiden die Bremer Rheinmetall-Tochter ganz schnell verlassen. Vielleicht floss von den gut 20 Millionen Euro, die Efstathiou mit seinen Firmen im Laufe der Jahre von Rheinmetall erhielt, noch einiges mehr zurück. Die Rede ist von großzügigen Geschenken und teuren Familienurlauben.
Die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwölf heutige und frühere Beschäftigte des Rheinmetall-Konzerns. Einige von ihnen müssen davon ausgehen, vor Gericht zu landen. Die Beschuldigten haben es aber, zu ihrer Überraschung, längst nicht mehr nur mit den hanseatischen Strafverfolgern zu tun. Ihr mittlerweile ärgster Widersacher sitzt in Düsseldorf, im eigenen Haus. Armin Papperger, seit Anfang 2012 Vorstand und seit Anfang 2013 Chef der Rheinmetall AG, räumt auf. Papperger hat bei einer Berliner Anwaltskanzlei eine eigene Untersuchung in Auftrag gegeben, die Juristen haben freie Hand. Der Konzernchef will alles wissen. Was in Bremen und Athen geschehen ist. Ob es Mitwisser in der Düsseldorfer Konzernzentrale gegeben hat. Und was jetzt geschehen muss, damit Rheinmetall möglichst schnell und überzeugend aus dem Schlamassel herauskommt.
Der aus Niederbayern stammende Papperger ist keiner, der Konflikte scheut. Das hat ihn in der Rüstungsindustrie bis ganz nach oben gebracht, an die Spitze des Bundesverbands der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Als oberster Repräsentant seiner Branche streitet Papperger mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel öffentlich über den Export von Panzern, U-Booten und anderem Kriegsgerät. Der 51-Jährige hat mit der in diesem Industriezweig üblichen Geheimniskrämerei um alles und jedes nichts am Hut. Dass militärische Details unter Verschluss bleiben, versteht sich von selbst. Aber ein dubioses Geschäft leugnen? Nicht mit Papperger.
Mit seiner Offensive bringt der Rheinmetall-Boss die Kollegen anderer Konzerne gehörig in Zugzwang. Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger muss bei der Bremer Tochter Atlas, die bei einem U-Boot-Deal mit Athen geschmiert haben soll, interne Widerstände gegen die Aufklärung überwinden. Und Frank Haun, Chef der Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW), wirkt im Vergleich zu Papperger gar wie ein Blockierer. KMW wird ebenfalls der Korruption in Griechenland verdächtigt, beim Verkauf des Leopard 2 und der Haubitze PzH 2000 für insgesamt fast zwei Milliarden Euro.
Als die Bremer Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr erste Hinweise auf merkwürdige Vorgänge beim Asrad-Verkauf nach Athen erhielt und zu ermitteln begann, lautete die Parole bei den Mitbetreibern und Mitwissern des Schmiergelddeals: "Schulterschluss, Maul halten." So schildert es ein Kenner des Verfahrens.
Die Dunkelmänner bei Rheinmetall sprachen sich mit ihren griechischen Partnern ab, wie die Fahnder in die Irre geführt werden könnten. Zwischen Bremen und Athen wurde teils konspirativ über abhörsichere Verbindungen telefoniert. Von Geheimhaltung versteht man ja etwas im Rüstungsgeschäft. Meist waren die Akteure aber unvorsichtig und tauschten sich auf ganz normalen Leitungen aus. Bei der Gelegenheit sagte ein Bremer Rheinmetaller seinem griechischen Schmiergeldpartner, er könne sich gar nicht vorstellen, dass die Ermittler etwas fänden. Man habe doch alle Unterlagen vernichtet.
Vieles lässt sich rekonstruieren
Doch Staatsanwälte sind ja nicht blöd. Die Bremer Ermittler hörten Telefonate ab und machten den ein oder anderen Fang. Sie durchsuchten neben der Rheinmetall AG in Deutschland auch deren Büros in Athen. Und sie arbeiten eng mit den Strafverfolgern in Hellas zusammen. So lässt sich vieles rekonstruieren, auch bei den enthüllenden Mails. Wenn beim Absender nichts mehr zu finden ist, dann eben beim Empfänger. Oder umgekehrt.
Sehr aufschlussreich ist zudem der Umstand, dass ein Düsseldorfer Geschäftsbereich von Rheinmetall nichts mit dem griechischen Ex-Offizier Efstathiou als Berater und Vermittler zu tun haben wollte, weil das als "zu heiß" galt, während die Bremer Tochter bis vor wenigen Jahren sich seiner fleißig bediente. 20 Millionen Euro soll der Verbindungsmann in Athen über ein bis zwei Jahrzehnte hinweg kassiert haben. Einen kleinen Teil für tatsächliche Dienste seiner Firmen, einen großen Teil für Schmiergeldzwecke, und einen noch größeren Teil für sich selbst.
Die Akten enthalten Hinweise auf ziemlich alte Schmiergeldgeschäfte von Rheinmetall mit Griechenland in den Achtzigerjahren, als Auslandsbestechung in der Bundesrepublik strafrechtlich noch nicht verfolgt wurde. Andromeda hieß so ein Projekt. Viele deutsche Konzerne zahlten damals "Nützliche Aufwendungen", N.A. - so lautete das Kürzel für Korruption.
Damit nichts aufflog, wurden die Zahlungswege umgestellt
Als das 1999 hierzulande unter Strafe gestellt wurde, machten Siemens, Daimler und viele andere einfach weiter. Nur die Zahlungswege wurden umgestellt, damit nichts aufflog. Rheinmetall Defence Electronics und Efstathiou wickelten ihre Geschäfte fortan über eine Firma des Griechen in London und über die Schweiz ab. Angeblich aus steuerlichen Gründen, weil der Ex-Offizier aus Athen so beim Fiskus besser weggekommen sei. Tatsächlich, um die Korruption zu kaschieren. Andere Rüstungsgeschäfte anderer deutscher Konzerne waren jahrelang ebenfalls über London eingefädelt worden, zum Beispiel U-Boot-Verkäufe von Thyssen-Krupp. London galt als "fire wall", als Brandmauer, die vor deutschen Ermittlungen schütze.
Mit der internen Untersuchung schafft sich Papperger nicht nur Freunde; aber das ist immer so, wenn aufgekehrt wird und die alten Kader versuchen, den Schmutz unterm Teppich zu lassen. Etliche mutmaßliche Mittäter mussten Rheinmetall schon verlassen, und das ist wohl noch nicht alles. Im November stehen letzte Befragungen bei Rheinmetall an. Im Dezember soll der Schlussbericht vorliegen. Papperger macht Druck. Der Rheinmetall-Chef will vieles noch in diesem Jahr erledigen, einschließlich Bußgelder in Millionenhöhe. Im nächsten Jahr hätte der Bayer vom Niederrhein dann freie Hand für ganz andere Aufgaben.
Papperger will mit Einverständnis der Regierung seinen Konzern zum größten deutschen Rüstungshersteller machen, mit den Panzern von KMW oder den U-Booten von Thyssen-Krupp. Die Spezialwerkzeuge, die früher üblich waren, sollen bis dahin entsorgt sein.