Schmiergeld-Affäre:Der Mann, vor dem Siemens zittert

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Reinhard S., Gestalter der schwarzen Kassen, hat ausgepackt und viele belastet - seit Freitag ist der frühere Angestellte wieder frei.

Hans Leyendecker und Klaus Ott

Der Kaufmann Reinhard S., 56, ist ein jovialer, herzlicher Typ. Es gibt Fotos, die ihn nach Vertragsabschlüssen im Kreis der Kunden zeigen. Die Krawatte stark gelockert, lächelt er freundlich in die Kamera. Mehr als sein halbes Leben lang hat der etwas übergewichtige Bajuware für Siemens gearbeitet und zuletzt Aufträge in aller Welt beschafft. Am 30. November 2004 ist er bei dem Weltkonzern ausgeschieden, aber noch immer finden sich im Unternehmen Jubelbotschaften über seine Tätigkeit - so wie diese: "Im September 2002 konnte die Siemens LC Griechenland mit tatkräftiger Unterstützung von Reinhard S. nach intensiven Verhandlungen den erfolgreichen Vertragsabschluss mit der Cyprus Telekommunication Authority realisieren."

Seit einer Weile findet sich sein Name auch auf Aktenstücken von Staatsanwaltschaften aus Liechtenstein, der Schweiz und Deutschland. Das große Verfahren, das die Münchner Fahnder seit einer Weile vorantreiben, bekam das Aktenzeichen I 563 Js 45415/05 und läuft gegen "S. u.a. wegen Verdachts der Untreue". Der Mann, der anonym bleiben will, ist die Schlüsselfigur in dem Skandal um schwarze Kassen, der den Weltkonzern durchrüttelt und dessen Schockwellen bis nach Amerika reichen. Dort will sich die US-Börsenaufsicht SEC des Falles annehmen. Das Ende ist offen, und mancher in der etwas unübersichtlichen Konzern-Hierarchie zittert mittlerweile vor dem netten Herrn S. Der 56-jährige Kaufmann, der wie fünf andere Kollegen in Untersuchungshaft kam, hat in den vergangenen zweieinhalb Wochen buchstäblich ausgepackt.

Lange treu zu Diensten

Als am 15. November die Polizei und die Staatsanwaltschaft kamen und ihn festnahmen, war der frühere Siemens-Angestellte bestens vorbereitet. Er hatte schon seit längerem mit dem unangemeldeten Besuch gerechnet. Angeblich soll er sogar darüber nachgedacht haben, selbst zur Polizei zu gehen und von sich aus zu erzählen, was er bei Siemens alles erlebt habe. S. ließ die Ermittler nicht lange zappeln, sondern präsentierte den erstaunten Fahndern Akten, Briefe, Belege, Vollmachten und Kontoauszüge, die das dunkle Geschäft bei Siemens dokumentieren sollen. Darunter beispielsweise der Ordner 5100/019, in dem jede Menge Scheinrechnungen enthalten sein sollen, die schon vor drei Jahren dem Fiskus aufgefallen seien - ohne dass der Alarm geschlagen hätte, wie S. der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei berichtete.

Der Kaufmann, der Siemens lange Zeit treu zu Diensten war, hat eine Lawine losgetreten - eine Lawine von Papier, die aus Sicht der Konzernführung jede Aussicht auf einen friedlichen und stillen Schluss des Falles unter sich begraben dürfte. Zwei Wochen und zwei Tage lang hat der Organisator des schwarzen Kassensystems bei seinen Vernehmungen im Bayerischen Landeskriminalamt in der Orleansstraße in München berichtet, wie es in dem Unternehmen zuging, wie schwarze Kassen angelegt wurden und wer was wusste. Sein Gedächtnis wird von den Ermittlern mittlerweile gerühmt. Er kann sich sogar noch daran erinnern, wer wann und was bei einem Essen in welchem Lokal zu wem gesagt hat. Und er beschreibt bis ins Detail, wer ihm für seine konspirative Arbeit im Dienst der Unternehmens-Abteilungen gedankt hat. Der Mann, der eigentlich nur die Nächte hinter Gittern verbrachte und ansonsten fleißig auspackte, ist seit dem gestrigen Freitag wieder auf freiem Fuß. Der Haftbefehl wurde außer Vollzug gesetzt. "Es hat sich für ihn gelohnt, dass er intensiv mit den Ermittlungsbehörden kooperiert hat, ohne von vornherein die Zusage zu haben, dass er aus der Untersuchungshaft herauskommt", sagt sein Anwalt Wolfgang Kreuzer.

Die Aussagen füllen mittlerweile einen ganzen Leitzordner. Vieles deutet darauf hin, dass der langjährige Siemens-Angestellte eines Tages, wenn der Fall vor Gericht aufgerollt wird, eine Art Kronzeuge der Anklage sein könnte. Wie aber kommt jemand wie Reinhard S. überhaupt in eine solche Lage? Das ist eine lange, wechselvolle Geschichte. Sie beginnt mit seinem Einstieg bei Siemens gleich nach der Schule im September 1966 und endete dann ziemlich weit oben im Bereich Telekommunikation (Com), der eines Tages Siemens-Com hieß und ganze Länder verkabelte und verdrahtete. Er ist keiner der vielen Studierten, und auf ihn war immer Verlass. Der tüchtige Kaufmann erwarb sich das Vertrauen seiner Vorgesetzten, die ihn irgendwann Ende vergangenen, Anfang des neuen Jahrzehnts mit einer heiklen Aufgabe betrauten.

Ein hochrangiger Manager, berichtete S., sei damals zusammen mit einem Kollegen zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, ob er die Verwaltung von schwarzen Kassen übernehmen wolle. Einfach so. Ein Gespräch unter Männern. S. hat sich nicht gesträubt. Wenn einer so lange dabei ist, ist ihm wenig Menschliches fremd geblieben. Siemens hatte damals Konten für Schwarzgeld in Innsbruck und Salzburg. S. bekam zwei Mitarbeiter zugeteilt, die ihm beim Verschieben des Geldes behilflich waren. Über das Salzburger Konto etwa, berichtete S. den Fahndern, seien pro Jahr rund 75 bis 100 Millionen Euro geflossen. Intern habe man von "Nützlichen Aufwendungen" und "Provisionen" gesprochen. Das Wort Schmiergeld war verpönt. Es gebe viele Märkte in der Welt, in denen Aufträge nur mit Provisionen zu bekommen seien, hat S. den Fahndern gesagt: zum Beispiel Afrika, Russland und der Nahe Osten.

Weltweit Tarnfirmen gegründet

Einer der Mitwisser ging in Pension. S. blieb am Ball. 2001 habe ihn ein späterer Finanzvorstand bei Siemens Com auf ein Problem hingewiesen. Die Genfer Staatsanwaltschaft stieg den dunklen Geschäften des früheren nigerianischen Präsidenten Sani Abacha nach, der im Lauf der Jahre viele hundert Millionen Euro beiseite geschafft haben soll. Eine Siemens-Spur, die ihre Quelle in Österreich hatte, führte auch zu ihm. Ein Fahnder fiel fast vom Stuhl, als S. bei seiner Vernehmung behauptete, seines Wissens nach habe ausgerechnet ein Mitarbeiter der für Sauberkeit zuständigen Compliance-Abteilung damals gesagt, man müsse sich ein anderes Modell überlegen. S. handelte. Fortan wurden weltweit Tarnfirmen gegründet, auf denen geheime Konten angelegt wurden, mit denen dann wiederum Siemens-Leute gierige Kunden dazu bringen konnten, ein Auge für die Notwendigkeiten des Lebens offenzuhalten. Ein Unternehmen sei schließlich keine Vereinigung von Betschwestern.

Dann wurde die Geschichte ganz abenteuerlich. Ausgerechnet die Behörden im Zwergstaat Liechtenstein, der jahrzehntelang einer der Fluchtorte für scheues Kapital war, wurden stutzig. S. soll den Fehler gemacht haben, bei einem Geldhaus einen Millionen-Betrag abzuheben und dann, ein paar Tage später, die Millionen wieder bei derselben Bank auf ein anderes Konto einzuzahlen. Die Staatsanwaltschaft in Vaduz leitete gegen S. und drei weitere Personen ein Verfahren wegen des Verdachts auf Geldwäsche ein und begann im November 2004 mit den Ermittlungen. Just zu jener Zeit begab es sich, dass S. bei Siemens ausschied. Es gibt auf der Welt viele Zufälle, nur darf man - manchmal zumindest - nicht dran glauben.

Zwar gilt das kleine Fürstentum am Rande der Alpen, umringt von der Schweiz und Österreich, manchem als das verschwiegenste Steuerparadies in Europa, doch neuerdings zumindest schauen die Behörden bei Geldwäsche nicht weg. S. saß jedenfalls in der Patsche. Er reiste nach Liechtenstein und soll dort den Vernehmern mitgeteilt haben, die Konten in Vaduz gehörten eigentlich Siemens, das Geld werde für Zahlungen benutzt, bei denen der Konzern nicht auftauchen solle. Das Fürstliche Landgericht in Vaduz schickte Post an Siemens und hatte ziemlich viele Fragen. Doch der Konzern, der sich durch einen Anwalt in Liechtenstein vertreten ließ, wiegelte ab. Das Unternehmen sei nicht geschädigt worden. Die Behörden im Zwergstaat sollten doch bitte die Ermittlungen einstellen. Es ging um 7,6 Millionen, aber das sind doch, in großem Maßstab gesehen, Peanuts. Robert Wallner, der Leiter der in Vaduz am Heiligkreuz 49 residierenden Liechtensteinischen Staatsanwaltschaft, wurde hartleibig. Er lässt knapp mitteilen: "In der Tat wäre dem Vorwurf der Untreue und der Geldwäsche der Boden entzogen, wäre diese Behauptung richtig. Die Staatsanwaltschaft hat aber das Verfahren nicht eingestellt, sondern weitere Anträge gestellt, die unter anderem darauf abzielen, diese Behauptung zu überprüfen".

Die Liechtensteiner wollen ermitteln, und Siemens in München wiegelt ab - das erscheint vielen seltsam. Die Vaduzer schalteten die Schweizer Kollegen ein, und die alarmierten später die Staatsanwaltschaft in München. Die Lage wurde immer brenzliger. S. war aus dem Unternehmen ausgeschieden. Er hatte offenbar immer mehr den Eindruck, am Ende werde er hängen gelassen. Den Fahndern erzählte er in den vergangenen zwei Wochen, dass ausgerechnet jener Bereichsvorstand, in dessen Auftrag und mit dessen Vollmacht er jahrelang unterwegs gewesen sei, ihm eines Tages gesagt habe, wenn das System der schwarzen Kassen auffliege, werde das Unternehmen alles auf ihn schieben. S. berichtete den Ermittlungen auch von versteckten Drohungen und großzügigen Angeboten. Je nachdem wie er sich verhalte, werde er lange im Gefängnis schmoren oder eine sehr großzügige Pension kassieren. Das hätten ihm Mittelsleute angedeutet.

Foto mit verdächtigem Griechen

Ein alter Fuchs wie S. hat eine Witterung für plötzliche Veränderungen. So was spürt einer wie er. Schon vor seinem Ausscheiden hatte der Kaufmann angeblich begonnen, Unterlagen auf die Seite zu bringen und zu bunkern. Für den Fall, dass eines Tages frühmorgens die Fahnder in der Tür stünden, wollte er dokumentieren können, dass er die schwarzen Kassen nicht erfunden habe. Auf dem Foto, das ihn bei dem Vertragsabschluss im Oktober 2002 zeigt, ist im Hintergrund auch ein kleinwüchsiger Grieche mit einem Schnauzbart zu sehen. Das ist jener Manager, von dem sich der Konzern im April 2006 unauffällig getrennt hat, nachdem der Grieche von Fahndern aus der Schweiz vernommen worden war.

Nach den Erkenntnissen der Ermittler ist er großzügig mit Geldern aus jenen schwarzen Kassen bedient worden, die S. in mühevoller Kleinarbeit gefüllt hatte. Der Mann aus Athen soll Ende März 2006 den Fahndern in der Schweiz gesagt haben, mit dem Bargeld seien Informationen gekauft worden. Eine Woche später war er seinen Job als Chef der Siemens-Sparte Telekommunikation in Griechenland los. So schnell kann das offenbar gehen, wenn einer womöglich zur Belastung für den Konzern wird. S. kennt den Griechen gut, er hatte ihn damals getroffen.

© SZ vom 2.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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