Scheitern der Desertec-Initiative:Afrika wartet nicht auf zögerliche Investoren aus dem Norden

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In der Sahara wollte Desertec die Produktion von grünen Strom verwirklichen. Die Vision scheiterte nicht nur an internem Machtgehabe und politischen Umwälzungen. Die Misere zeigt, dass die Wirtschaft große Gesellschaftsfragen nicht lösen kann.

Kommentar von Markus Balser

Noor - arabisch für Licht - hat der König die Anlage getauft, die gerade im Süden seines Landes entsteht. Wie man die Desertec-Vision umsetzt? Marokko braucht für die Antwort gerade mal zwei Wörter: Man baut. Die Fundamente für das riesige Solarkraftwerk bei Ouarzazate stehen. Vom nächsten Jahr an soll die Anlage 500 000 Menschen mit Strom versorgen. Errichtet wird das Prestigeprojekt in diesen Tagen von einem saudischen Energiekonzern.

Dutzende Projekte dieser Art sind in Nordafrika und dem Nahen Osten derzeit im Bau oder in Planung. Während am Rande der Sahara die Vision, an guten Standorten in Afrikas Wüsten grünen Strom mit Solar- und Windanlagen zu produzieren, Formen annimmt, gehen ausgerechnet bei dem Unternehmen, das die Vision eigentlich vorantreiben sollte, die Lichter aus. Der mit großen Hoffnungen gestarteten Planungsgesellschaft Desertec Industrial Initiative (Dii), Zentrale einer der größten grünen Industrie-Initiativen überhaupt, droht zum Jahresende die Abwicklung. Ihr geht das Geld aus. Denn die beteiligten Unternehmen können sich bislang nicht auf ein neues Finanzkonzept einigen.

Eine große Vision, gescheitert an kleinlichem Gehabe? Es wäre falsch, die Initiative einfach nur abzuheften. Denn das drohende Scheitern steht für mehr als interne Machtkämpfe und einen Streit der beteiligten Unternehmen aus der Energie-, Finanz- und Technologiebranche um einige Hunderttausend Euro. Die Misere lässt Lektionen für die Zukunft der Umweltpolitik und den Traum von einer grüneren Ökonomie erkennen. Sie verdeutlicht vor allem eins: Manager können in Umweltfragen keine Politiker ersetzen.

Mehr als eine Folge politischer Umwälzungen

Keine Frage: Die Realisierung der Wüstenstromvision stand zuletzt unter keinem guten Stern. In der spannungsgeladenen Region rund um das Mittelmeer brach der arabische Frühling aus, eine Zeit enormer politischer und ökonomischer Unsicherheit begann. Die Investoren agierten vorsichtiger. Die Hoffnung, Strom aus Afrika schon in wenigen Jahren nach Europa zu exportieren, zerplatzte auch wegen des Booms grüner Energie in Europa.

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Nach SZ-Informationen droht der vor fünf Jahren mit großen Hoffnungen gestarteten Desertec Industrial Initiative (Dii) Ende 2014 die Abwicklung. Was bedeutet das Scheitern für die Zukunft alternativer Energiekonzepte?

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Dennoch: Der Niedergang der Desertec-Initiative ist mehr als die Folge politischer Umwälzungen. Er steht auch für die mangelnde Energie der Wirtschaft bei der Lösung großer Gesellschaftsfragen. Für die hatten die Beteiligten zu Beginn noch ihre Hand ins Feuer gelegt: "Ein Scheitern können wir uns nicht leisten", sagte Munich-Re-Vorstand Torsten Jeworrek noch vor fünf Jahren zum Start der Dii - aus Angst vor dem Klimawandel. Das stimmt noch immer. Das mächtige Industriekonsortium, dem nach wie vor Konzerne wie die MunichRe, Deutsche Bank, RWE oder der schweizerische ABB-Konzern angehören, wird sich ein Scheitern wohl dennoch leisten.

Der drohende Zerfall der Industrieinitiative wirft viele Fragen auf. Hatten die beteiligten Energiekonzerne jemals ernsthaft vor, sich mit grünem Strom aus Afrika Konkurrenz zu machen, oder ging es nur darum, das Schlimmste zu verhindern? Waren Konzerne, die den Klimawandel, die Entwicklung der bettelarmen Region und die bedrückenden Flüchtlingsströme aus Afrika als Grund für ihr Engagement anführten, wirklich an mehr interessiert als dem eigenen Geschäft?

Afrika wartet nicht länger auf die zögerlichen Investoren

Dass sich die Dii-Gesellschafter mit Milliardenumsätzen nicht auf einen Etat von zwei Millionen Euro einigen können, spricht eine deutliche Sprache. In jedem Fall passt ein auf ein halbes Jahrhundert angelegtes Großprojekt offenbar nicht mehr in Zeiten, in denen Manager kaum noch über Quartale hinausdenken.

Die erfreulichste Lektion aber heißt: Afrika wartet nicht auf die zögerlichen Investoren aus dem Norden. Der Kontinent träumt weiter von einem Schub durch grüne Energien. Marokko baut mit saudischer Hilfe. Auch Tunesien, Algerien, Libyen, Jordanien und Ägypten setzen darauf, dass grüner Strom den Energiehunger stillen und für Wirtschaftswachstum sorgen kann. Die Bevölkerung der Länder in Nordafrika und im Nahen Osten wird sich bis 2050 auf 700 Millionen verdoppeln. Deren Bedarf kann nicht mehr allein aus den immer teureren fossilen Energieträgern wie Gas gedeckt werden.

Während sich Europas Industrie abwendet, investieren arabische Konzerne. Die Vision wandelt sich. Es geht um kleinere Projekte statt des ganz großen Wurfs, den Manager gerne mit der Mondlandung verglichen. In den Augen mancher Vorstände, die noch einen 400-Milliarden-Euro-Plan vor Augen haben, erscheint das wenig. In den Augen derer, die von der Entwicklung profitieren, ist es viel.

© SZ vom 09.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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