Wenn Unternehmen oder Bürger gegen den Staat klagen, haben sie vor Gericht normalerweise keine Chance. Politiker und Beamte müssen für Fehler in der Regel nicht haften oder Schadensersatz zahlen. Axel Stirl, Vorstandsvorsitzender der Pin Mail AG, wagt es jetzt trotzdem. Der Berliner Konkurrent der Deutschen Post hat die Bundesrepublik Deutschland auf fünf Millionen Euro Schadensersatz verklagt. Es gehe hier, sagt der Manager, schlichtweg "um ein Stück Gerechtigkeit." Man sei sich der Risiken solch einer Staatshaftungsklage durchaus bewusst. "Aber wir wollen es wenigstens versuchen."
Der Pin-Mail-Chef kann sich immer noch darüber ärgern, was im November 2007 bei einer Nacht- und Nebelaktion passierte. Die Deutsche Post und die Gewerkschaft Verdi vereinbarten damals einen Mindestlohn für Briefträger. Wer als Zusteller in der Postbranche arbeitete, sollte mindestens 9,80 Euro brutto die Stunde verdienen. Nur einen Monat später, Ende 2007, erklärte das Bundesarbeitsministerium die neue Lohnuntergrenze für allgemein verbindlich. Für viele private Konkurrenten der Post, die ihren Mitarbeitern deutlich weniger zahlten, der Todesstoß.
"Es ist ein riesiger volkswirtschaftlicher Schaden entstanden. Knapp 180 Unternehmen mit 15.000 Arbeitsplätzen haben sich binnen weniger Wochen in Luft aufgelöst", erinnert sich Stirl. Sowohl die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde als auch die Monopolkommission stellten später fest: Das Vorgehen des Ministeriums habe den Wettbewerb entscheidend behindert.
Dass Anfang 2010 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Postmindestlohn in letzter Instanz schon aus formalen Gründen kippte, kam für diese Anbieter zu spät. Nur wenige Post-Rivalen überlebten. Dazu gehört Pin Mail mit seinen mehr als 1000 Mitarbeitern. Das Unternehmen gehört heute je zur Hälfte der niederländischen TNT Post und der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, es ist vor allem für Geschäftskunden wie das Land Berlin, das Versandhaus Amazon oder den Berliner Energieversorger Gasag tätig.
Deutschland ist "kilometerweit von einem echten Wettbewerb entfernt"
Die juristische Gegenoffensive von Pin Mail begann am Dienstag. Erstmals wurde dort über die Schadenersatzklage verhandelt. Pin macht dabei diese Rechnung auf: Vor Einführung des Mindestlohns zahlte das Unternehmen einem typischen Mitarbeiter, der gut fünf Jahre im Betrieb tätig war, 8,23 Euro Grundlohn plus Zuschläge. In der Summe waren das 8,60 Euro die Stunde. Nachdem das damals von Olaf Scholz (SPD) geführte Bundesarbeitsministerium den Mindestlohn bundesweit etablierte, musste Pin Mail die geforderten 9,80 Euro zahlen. Die Mehrkosten inclusive der zusätzlichen Sozialausgaben bis zu dem Leipziger Urteil belaufen sich nach Angaben von Stirl auf fünf Millionen Euro. Genau diese Summe verlangt er vom Bund.
"In jedem Rechtsstaat muss der Staat für Schäden haften, die durch vorsätzlich rechtswidriges Tun seiner Verantwortungsträger entstehen", argumentiert der Vorstandschef. Pin Mail habe in dieser Zeit ums Überleben kämpfen müssen. Gleichzeitig habe der Bund "von dem eigenen rechtswidrigen Tun nicht nur durch die Wertsteigerung seiner Anteile am ehemaligen Staatskonzern, sondern auch durch erhöhte Lohnsteuereinnahmen und mittelbar durch Entlastungen bei den Zuschüssen zur Rentenversicherung profitiert".
Der Bund hält über die Staatsbank KfW immer noch 25,5 Prozent an der Deutschen Post und verfügt damit über eine Sperrminorität. Dessen Marktanteile liegen zum Ärger der Monopolkommission immer noch bei mehr als 90 Prozent. "Wir sind in Deutschland kilometerweit entfernt von einem echten Wettbewerb im Briefmarkt", sagt Stirl. Er hatte zunächst einen Vergleich mit dem Bundesarbeitsministerium angestrebt, um eine Klage vermeiden zu können. "Darauf hat sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen aber leider nicht eingelassen", sagt er. Dafür dürfte die Ministerin gute Gründe haben: Die Gewinnchancen für den Staat sind relativ hoch, bei einem Vergleich wäre umsonst Steuergeld an Pin Mail geflossen. Verliert der Bund doch den Prozess, kann sie ihren Vorvorgänger Scholz dafür verantwortlich machen.