Satellitensystem Galileo:Und es wird doch fertig

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Mit zehn Jahren Verspätung ist das europäische Satelliten-Navigations­system Galileo nun bald komplett. Es soll nicht nur die Navigation verbessern, sondern hilft auch Rettungsdiensten.

Von Dieter Sürig, München

Wer auf seinem Smartphone Apps wie "GPSTest" installiert hat, kann sie sehen: Wenn das Handymodell es unterstützt, tauchen in der Liste der empfangbaren Navigationssignale nicht nur GPS, das russische System Glonass oder das chinesische Beidou auf, sondern auch die Satelliten des europäischen Galileo-Systems.

In den nächsten Tagen werden aller Voraussicht nach die vorerst letzten vier Galileo-Satelliten online gehen. Seit dem Start im Juli 2018 haben sie die Testphase durchlaufen. Zur funktionsfähigen Konstellation zählen somit 22 Satelliten - dies reicht für eine fast weltweite Abdeckung. Neben einer höheren Präzision erlaubt Galileo bereits ein verbessertes Rettungssystem sowie ein stabileres Signal . "Für die Nutzer wird die Navigation robuster, weil viele Systeme miteinander kombiniert werden können", sagt Simon Plum, Chef des Galileo-Kontrollzentrums des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. Von hier sowie von einem weiteren Zentrum im italienischen Fucino aus wird das Satellitensystem rund um die Uhr betreut. "Die Signale bieten mehr Genauigkeit, punktuell schaffen wir schon heute 30 Zentimeter", sagt Plum. Das GPS-Signal hat dagegen nach Betreiberangaben eine Auflösung von fünf Metern.

Schon 2008 sollte das System fliegen und online sein

Es ist knapp 20 Jahre her, dass die EU-Kommission und die europäische Raumfahrtagentur Esa die ersten Milliarden gewährt haben, um ein eigenes Satellitennavigationssystem aufzubauen. Für die Europäer war es seit jeher mehr als ein Prestigeobjekt, sollte Galileo Europa doch unabhängig vom amerikanischen Global Positioning System (GPS) machen. Das Projekt schien überschaubar, es galt, 30 Satelliten, je 730 Kilogramm schwer, in einen Erdorbit in gut 23 000 Kilometern Höhe zu schießen. Bei einem Stückpreis von 40 Millionen Euro kein Ding der Unmöglichkeit, das Geld war da. 2008 sollte das System fliegen und online sein. Dass es nun doch mehr als zehn Jahre länger gedauert hat als geplant und viele Steuermilliarden teurer geworden ist als erwartet - das hängt auch mit den komplizierten Entscheidungsstrukturen und Vergaberichtlinien in der europäischen Bürokratie zusammen.

Zumindest die Mindeststandards sind nun schon mal erfüllt. Seit Juli vergangenen Jahres befinden sich 26 Einheiten in der Umlaufbahn. Vier davon sind etwa wegen falscher Umlaufbahnen oder defekter Uhren nur eingeschränkt einsetzbar, bleiben 22 Satelliten. Mittelfristig will die Kommission das System auf 30 Satelliten aufstocken. Im Gegensatz zu den Technikern hält sie sich noch zurück, was die Leistung der Konstellation angeht. Sie garantiert erst neun Satelliten - diese Zahl könnte in den kommenden Monaten auf 18 aufgestockt werden. Dies müsse aber gesichert sein, heißt es aus Brüssel. Sprich: Galileo funktioniert, aber vorerst ohne Garantie.

22 der 26 Satelliten stammen vom Bremer Hersteller OHB, wo gerade die Produktion für weitere zwölf Galileo-Satelliten hochgefahren wird. Die ersten beiden Fluggeräte dieser Serie sollen nach Angaben von OHB-System-Vorstand Wolfgang Paetsch Ende 2020 startbereit an einer Rampe des europäischen Weltraumhafens Kourou in Französisch-Guayana stehen - die anderen folgen. In einigen Jahren sind also 38 Galileo-Satelliten im Orbit platziert, weil die Konstellation in Zukunft ständig erneuert werden muss. Statistisch hat jeder Satellit eine Lebensdauer von zwölf Jahren. Manche halten sogar 20 Jahre, andere fallen früher aus. Zum Vergleich: Das US-Verteidigungsministerium hat seit Ende der Siebzigerjahre bereits mehr als 70 GPS-Satelliten gestartet, von denen etwa 30 im Einsatz sind.

Die EU-Kommission muss deshalb frühzeitig für Nachschub sorgen und hat bereits eine weitere Ausschreibung (Batch 4) für zunächst vier Satelliten laufen, an der sich nach SZ-Informationen OHB, Airbus und die französische Thales-Alenia beteiligen. Airbus hatte über ihre frühere Tochter Astrium die ersten vier Satelliten gebaut und ist weiterhin Zulieferer an OHB. Aus der Kommission ist zu hören, dass sie künftig zwei Herstellern den Zuschlag geben will, um sich unabhängiger zu machen.

Jahrelange Verzögerungen und Pannen wie beim Satellitennavigationssystem Galileo sollten sich nicht wiederholen (Foto: oh)

Die neuen Satelliten sollen bei Galileo die zweite Generation begründen: Die Kommission will die Anforderungen hochschrauben, um das Signal stärker und den Service damit genauer, stabiler, sicherer zu machen. "Es soll ein komplett neues Satellitensystem werden", sagt OHB-Vorstand Paetsch. Details unterliegen aus Sicherheitsgründen der Geheimhaltung, eines dürfte aber klar sein: "Der Preis wird sich angesichts der Anforderungen der Europäischen Kommission signifikant ändern", meint der OHB-Manager. Die Kommission sucht nun den Dialog mit den Bewerbern und wird voraussichtlich im ersten Quartal 2020 den Zuschlag erteilen.

Der Ausstieg der Briten aus der EU macht die Sache da nicht leichter, da Großbritannien mit 15 Prozent an Galileo beteiligt ist. Da das Land künftig womöglich ein besonders gesichertes militärisches Signal nicht mehr nutzen darf, erwägt das Land, ein eigenes Satellitennavigationssystem aufzubauen. Das letzte Wort ist jedoch nicht gesprochen. Brüssel lässt den Briten eine Hintertür offen - per Sonderabkommen, wie es auch mit den USA und Norwegen verhandelt wird. Dann könnte Großbritannien das Signal trotz Brexit nutzen, britische Firmen dürften hochsensible Komponenten dann aber nicht mehr zuliefern.

OHB trennt sich bereits von englischen Zulieferern. "Alle britischen Firmen sind mehr oder weniger raus aus Batch 4", sagt Paetsch. Mögliche Ausnahmegenehmigungen seien mit einem hohen Risiko verbunden. "Wir müssen einen anderen Weg finden, darauf sind wir aber gut vorbereitet", sagt Paetsch. Bleibt die Frage, was den Europäern ihr eigenes Satellitennavigationssystem in Zukunft wert ist. Bisher sind Kosten von 13 Milliarden Euro aufgelaufen, zuletzt hatte die Kommission 2014 etwa sieben Milliarden Euro bewilligt. Im Entwurf des nächsten Sieben-Jahres-Budgets sollen 8,5 Milliarden Euro vorgesehen sein.

© SZ vom 30.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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