Samstagsessay:Erhards Erbe

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Illustration: Sead Mujic (Foto: Illustration: Sead Mujic)

Ein Plädoyer für Wettbewerb: Nur mit Konkurrenz funktioniert die soziale Marktwirtschaft, das gilt auch heute noch angesichts der Digitalisierung und des rasanten technologischen Wandels.

Von Caspar Busse

Bald 60 Jahren ist es nun her, dass Ludwig Erhard sein Buch mit dem so schönen wie eingängigen Titel "Wohlstand für alle" veröffentlichte. Es wurde ein Bestseller. Der CDU-Politiker und Wirtschaftswissenschaftler entwarf darin das bis heute bewährte Modell der sozialen Marktwirtschaft. Das Ziel: Die breite Bevölkerung, nicht nur eine kleine Oberschicht, solle zu Wohlstand kommen. Der Weg: eine freie Wirtschaft, die vor staatlichen Eingriffen und vor Kartellen und Monopolen geschützt ist. Das sei wie beim Fußball, so Erhard: Wie dort der Schiedsrichter dürfe auch der Staat nicht in der Wirtschaft mitspielen.

"Die Bejahung des Wettbewerbs ist geeignet, dem Egoismus einen Riegel vorzuschieben", schrieb Erhard 1957. Und weiter: "Nach meiner Auffassung beinhaltet die soziale Marktwirtschaft eben nicht die Freiheit der Unternehmer, durch Kartellabmachungen die Konkurrenz auszuschalten, sie beinhaltet vielmehr die Verpflichtung, sich durch eigene Leistung im Wettbewerb mit dem Konkurrenten die Gunst des Verbrauchers zu erdienen." Nicht der Staat habe zu entscheiden, wer im Markt obsiegen soll, auch kein Kartell, sondern ausschließlich der Verbraucher. Nur durch Wettbewerb erhalte die bessere Leistung den Vorrang vor der schlechteren.

Erhards Glaube an den Segen des Wettbewerbs ist bis heute ein fester Bestandteil der wirtschaftlichen Grundordnung, nicht nur in Deutschland. Kaum jemand stellt dieses Prinzip ernsthaft infrage: So wie Sportler im Wettkampf zu fairen Bedingungen gegeneinander antreten, so sollen auch die Unternehmen miteinander ringen - zum Wohle aller.

Es gibt immer viele Unternehmen, die Konkurrenz lieber ausschalten wollen

Im Büro von Andreas Mundt steht "Wohlstand für alle" in der ersten Reihe des Buchregals. "Wettbewerbsschutz ist der beste Verbraucherschutz", sagt der Präsident des Bundeskartellamtes immer wieder. Die Behörde mit heute etwa 350 Mitarbeitern wurde 1958 gegen manchen Widerstand gegründet, ein Jahr nachdem Erhard sein Buch herausbrachte. Sie soll bis heute den Wettbewerb in Deutschland garantieren und ist inzwischen Vorbild auch für andere Länder geworden. 2014 verhängten Mundt und seine Leute Bußgelder alleine von einer Milliarde Euro wegen der Bildung von Kartellen. Sie untersagen immer wieder Fusionen und Übernahmen, zuletzt die der Supermarktkette Tengelmann-Kaiser's durch Edeka.

Aber ist das Prinzip des freien Wettbewerbs und der Nichteinmischung des Staates heute, 60 Jahren später, noch zeitgemäß? Ist das Kartellamt nicht zu streng, beharrt es auf alten Grundsätzen? Kritisiert wird die Behörde immer wieder, auch daran, dass die Verfahren so lange dauern.

Trotzdem: Wettbewerb ist unverzichtbar. Gerade erst hat auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) per Ministererlaubnis die Übernahme von Tengelmann-Kaiser's durch Edeka ziemlich forsch durchgewinkt, wenn auch unter Auflagen. Er setzte sich damit nicht nur ungerührt über das Veto des Bundeskartellamts hinweg. Er hielt sich auch nicht an das Votum der Monopolkommission, die ihm nach gründlicher Prüfung dringend davon abgeraten hatte. So kam es zum Eklat: Der Vorsitzende der Monopolkommission, der angesehene Jura-Professor Daniel Zimmer, trat zurück. Gabriels Entscheidung sei "äußerst problematisch" und ein schwerer Fehler.

Ist das eine Überreaktion eines abgehobenen Professors, der sich von der realen Wirtschaftswelt abgekoppelt hat? Gibt es in Zeiten von weltweitem Terror und massiven Flüchtlingsströmen keine anderen Probleme als die Übernahme von rund 450 Supermarkt-Filialen? Betroffen ist weniger als ein Prozent des deutschen Lebensmittel-Einzelhandels, es geht um knapp 16 000 Jobs. Wozu die Aufregung?

Gut ist zunächst mal, dass plötzlich wieder öffentlich über Wettbewerb und über den Sinn staatlicher Eingriffe diskutiert wird. Denn die Prinzipien Erhards sind alles andere als obsolet geworden, sie sind gerade heute wichtiger denn je. Es gibt immer noch viele Unternehmen, die Konkurrenz lieber ausschalten wollen und es sich als Monopolist oder Teil eines mächtigen Kartells bequem machen wollen - zum Schaden der Allgemeinheit, die dann überhöhte Preise zahlen oder schlechtere Qualität hinnehmen muss.

Über die jüngste Entscheidung Gabriels wurde viel diskutiert. Eine Ministererlaubnis, so heißt es im Gesetz, kann dann erteilt werden, wenn "gesamtwirtschaftliche Vorteile des Zusammenschlusses die Wettbewerbsbeschränkung aufwiegen" oder "ein überragendes Interesse der Allgemeinheit den Zusammenschluss rechtfertigt". Beides ist bei der Supermarkt-Fusion klar nicht der Fall. Im Gegenteil: Die Konzentration im Lebensmittel-Einzelhandel nimmt noch zu, Edeka kann seine führende Rolle sogar noch ausbauen. Schon jetzt beherrschen in Deutschland nur vier Ketten - Edeka/Netto, Aldi, Rewe/Penny und Lidl/Kaufland - den Markt, mit einem gemeinsamen Anteil von mehr als 80 Prozent. Das hat nicht zuletzt negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter sowie auf Lieferanten und die Landwirtschaft, die noch stärker im Preis gedrückt werden. Da muss man auch dem Bundeskartellamt einen Vorwurf machen, denn die Behörde genehmigte Ende 2008 die Übernahme von Netto (damals noch Plus) durch Edeka und heizte die Konzentration noch an. Warum aber schlägt Gabriel alle Bedenken aus, setzt so leichtfertig das Instrument der Ministererlaubnis ein? Immerhin wurde diese seit ihrer Einführung im Jahr 1973 kaum genutzt. Nur in neun Fällen wurden die Fusionen von der Politik durchgewinkt. Der SPD-Chef begründete seine Entscheidung vor allem mit der Sorge um die Arbeitsplätze. Ob diese aber nun langfristig gesichert sind, ist durchaus zweifelhaft.

Wahrscheinlicher ist doch, dass nach Ablauf der Garantien und der Fünfjahresfrist Filialen, die nicht mehr rentabel oder an Doppelstandorten schlicht überflüssig sind, geschlossen werden. "Nach einer Übernahme durch Edeka ist mit einem größeren Stellenabbau zu rechnen als in jedem anderen Szenario", kritisiert Zimmer. Da wird er wohl recht haben: Andere potenzielle Käufer der Tengelmann-Kaiser'sFilialen, etwa aus dem Ausland, hätten deutlich mehr Interesse an einem Ausbau des Geschäftes und an der Schaffung neuer Jobs als der Marktführer Edeka.

Dazu kommt: Die 16 000 Arbeitsplätze finden sich größtenteils in Regionen mit guter Beschäftigungslage. Jobsicherung durch staatliche Eingriffe - dieses Vorgehen, so dachten viele, würde schon lange der Vergangenheit angehören. "Der Wirtschaftsminister darf kein Interessensvertreter sein", heißt es übrigens im sechsten Kapitel von "Wohlstand für alle".

Seit dem Erscheinen des Buches hat sich die Welt rapide geändert, die Digitalisierung und der rasche technologische Wandel lassen inzwischen keinen Wirtschaftszweig mehr unberührt. Plötzlich tauchen "Disrupter" auf, die traditionelle Geschäftsmodelle einfach zerstören. Der Mitfahrdienst Uber aus San Francisco ist so ein Beispiel, der der Taxibranche mit ihren Tausenden Arbeitsplätzen zusetzt. Ist das noch fairer Wettbewerb? An eine solche Entwicklung hat Erhard damals nicht mal im Traum gedacht.

Die großen US-Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook setzen zudem ganz neue Regeln. Die Wirtschaft im Internet hat, das wird immer deutlicher, eine verhängnisvolle Tendenz zu Monopolen. Wettbewerb zu schaffen, ist hier schwierig. Wer über die meisten Daten verfügt, hat schnell die größte Macht, alle anderen aber haben das Nachsehen - nach dem Motto: The winner takes it all. Viele fürchten zudem, dass gerade in Zeiten der Globalisierung weltweiter Konkurrenzkampf zu sinkenden Löhnen und schlechteren Lebensstandards in westlichen Industrieländern führen wird.

Facebook, Amazon, DFB: Das Kartellamt sucht sich keine kleinen Gegner aus

Die einzig richtige Antwort auf all das kann sein, den Wettbewerb zu stärken und möglichst für faire Bedingungen zu sorgen. Soziale Marktwirtschaft - Digitalisierung hin oder her - kann nur mit Wettbewerb funktionieren, das ist das Erbe Erhards.

Das Kartellamt geht zu Recht nicht nur gegen die Anbieter von Bier, Zucker oder Wurst vor, sondern sucht sich auch mächtige Gegner, schritt schon gegen den US-Internethändler Amazon oder das Hotelbuchungsportal Booking ein.

Gerade erst wurde ein Verfahren gegen Facebook eröffnet. Das soziale Netzwerk beachte Datenschutzregelungen nicht und missbrauche damit möglicherweise seine beherrschende Marktposition. Gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB) wird ermittelt wegen der Vergabe der Eintrittskarten zur Fußball-Europameisterschaft im Sommer. Auch beim Verkauf der Fernsehrechte der Fußball-Bundesliga spricht die Wettbewerbsbehörde ein gewichtiges Wort mit, bilden die Vereine und die Deutsche Fußball Liga (DFL) mit der gemeinsamen Vermarktung doch eine Art Kartell, das nur unter Auflagen genehmigt werden kann. Auch das ist zwar für die Beteiligten unbequem, aber richtig.

Das Kartellamt ist alles andere als untätig, und doch wirkt es manchmal seltsam machtlos. Der Grund: Die Wirtschaft ist längst global, die Wettbewerbsaufsicht aber lokal (Deutschland) oder regional (Europa). Das zeigte sich gerade wieder bei den Hotelbuchungsportalen, deren Beurteilung in europäischen Ländern mit unterschiedlichem Maß gemessen wurde. Oder beim Kampf gegen die Macht von Google, bei dem die EU-Kommission alleine wohl wenig ausrichten kann gegen den US-Superkonzern. Einige Firmen, so der Eindruck, stehen heute über den Kartellbehörden, das aber darf nicht sein. Die Schaffung eines Welt-Kartellamts ist derzeit sicherlich unrealistisch, wollen doch zu viele Staaten wichtige Kompetenzen nicht abgeben. Mehr internationale Zusammenarbeit der Behörden wäre sehr sinnvoll.

Die Idee des funktionierenden Wettbewerbs ist heute doch aktueller denn je. "Auf dem Wege über den Wettbewerb wird - im besten Sinne des Wortes - eine Sozialisierung des Fortschritts und des Gewinns bewirkt und dazu noch das persönliche Leistungsstreben wachgehalten", schrieb einst Ludwig Erhard. Er hat noch immer recht.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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