Samstagsessay:Die Vermessung der Stadt

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In Zeiten, in denen immer mehr Menschen in die Großstädte ziehen, sind Smart Citys ein wichtiger Trend. Doch was verbirgt sich dahinter? Der Versuch einer Annäherung und Start einer SZ-Serie.

Von Katharina Kutsche

Eine Stadt, in der es keine Staus mehr gibt. In der der Verkehr technisch so intelligent geregelt und gesteuert wird, dass niemand mehr warten muss. Und in der deswegen der CO₂-Ausstoß und die Feinstaubbelastung sinken, die Stadt grün und gesund ist. So in etwa sieht die Mobilitätsvision einer Smart City aus, einer schlauen, weil vernetzten Stadt.

Illustration: Sead Mujic (Foto: Illustration: Sead Mujic)

Es geht um eines der wichtigsten Projekte in Städtebau und -planung. Ein Trend, den jede Großstadt, die etwas auf sich hält, umzusetzen versucht. Top-Thema im März dieses Jahres bei der IT-Messe Cebit in Hannover, raumfüllendes Thema des Smart City Expo World Congress im November in Barcelona. Big Data, Sicherheit, Nachhaltigkeit, Mobilität - das sind die üblichen Stichworte. Große Worte, die dennoch mehr Fragen aufwerfen, als Antworten liefern.

Warum eigentlich ist eine Stadt smart, wenn sie ihren Straßenverkehr digital steuert? Wirklich schlau wäre doch, wenn generell mehr Autofahrer ihr Fahrzeug stehen lassen, wenn sie in die Innenstädte möchten. Das Beispiel zeigt, woran die bisherige Diskussion krankt: Wer sich heute als Smart City bezeichnet, hat bisher vor allem zweierlei: ein Konzept und ein gutes Marketing. Das ist nicht genug.

Schon sich der Definition einer "Smart City" anzunähern, ist schwierig, weil es bisher weltweit keine Stadt gibt, die all das erfolgreich umgesetzt hat, was man unter einer intelligenten Stadt verstehen könnte. Es gibt interessante Projekte, die man bereits besichtigen kann, das schon. In Wien testen U-Bahnen und Straßenbahnen, wie sie die Energie, die beim Bremsen der Züge entsteht, als elektrische Energie gewinnen und ins Gleichstromnetz zurückspeisen können.

In Lyon erproben Unternehmen und Forscher neue Lösungen für die Energieversorgung (Smart Grid) von 25 000 Haushalten und 100 Geschäften. Und in München-Neuaubing wird ein Projekt-Stadtteil energetisch saniert und zukünftig von intelligenten Straßenlaternen beleuchtet, die Lampe, Wlan-Hotspot und Messgerät in einem sind. Alle drei Städte hat die EU-Kommission als Leuchttürme ausgewählt, damit sie im Rahmen des Projekts "Smarter Together" mit intelligenten Lösungen für ihre Städte aufwarten, gefördert mit 20 Millionen Euro. Doch vieles ist noch im Aufbau. Die betroffenen Städte haben sich Umwelt- und Energieziele gesetzt, vollständige CO₂-Neutralität etwa, die sie bis zum Jahr 2050 erfüllen möchten. Ob ihre Smart Citys Erfolgsmodelle sind, steht also erst in 33 Jahren fest.

Trotzdem liegen in der städtischen Vermessung große Chancen. Experten gehen davon aus, dass zukünftig die große Mehrzahl der Menschen im urbanen Raum lebt. Das stellt die ohnehin schon dicht besiedelten Großstädte, aber auch die stark wachsenden Mittel- und Kleinstädte vor große Herausforderungen. Wer jetzt keine neuen Wege sucht, den Menschen und seine Versorgung besser zu vernetzen, der verliert im Wortsinn den Anschluss.

Gegensteuern müssen Kommunen vor allem auf Basis von Daten. In wirklich smarten Städten wird erhoben, erfasst und weiterverarbeitet, was technisch (und gesetzlich) möglich ist. Sensoren in Fahrbahnoberflächen messen Verkehrsströme, smarte Straßenlaternen erfassen die Feinstaubbelastung, schlaue Thermostate und Regler steuern Heizung und Gebäude nach An- und Abwesenheit ihrer Bewohner. Gerade im Straßen- und öffentlichen Nahverkehr müssen solche Lösungen genutzt werden. Warum etwa sollten weiterhin mit Klemmbrettern bewaffnete Menschen zählen, wie viele Passagiere pro S-Bahn-Haltestelle ein- und aussteigen? Das geht besser.

Man sieht, wie falsch es wäre, den Begriff Smart City wörtlich zu nehmen. Die City muss als Synonym für Gebiet verstanden werden, ländliches und städtisches gleichermaßen. Eine intelligente Region findet Lösungen auch für diejenigen, die nicht in ihr leben: für Pendler, Zulieferer, Touristen. In der Metropolregion Rhein-Neckar etwa arbeiten 150 Gemeinden in drei Landkreisen und drei Bundesländern an ihrer Vernetzung und tragen die Kosten gemeinsam. So muss es gehen.

Eine Smart City vernetzt aber nicht Technologien, sondern Individuen. Vorbildlich ist daher die Definition der Stadt Wien. Sie summiert ihre Aktivitäten als "intelligente, soziale und ressourcenschonende Lösungen für die Stadt und die Menschen". Inklusive Projekte und Bauten, die den Zusammenhalt fördern wie Mehr-Generationen-Häuser, sind genauso Bestandteile einer intelligenten Stadt wie eine digitale Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung.

Verkehr, Sicherheit, Umwelt - wie verändert die Digitalisierung das Leben in den Städten? SZ-Serie · Folge 14 (Foto: Sead Mujic)

Und die derzeit größten Hoffnungen und Ziele liegen darin, nachhaltige Lösungen für Mensch und Umwelt zu finden, die weniger verschwenden und mehr sparen. Was also muss eine Stadt erfüllen, damit sie sich Smart City nennen darf? Dazu fünf Thesen:

1. Am Anfang muss eine wirkliche Strategie stehen. Eine Smart City ist weder Zustand noch Werbeversprechen, sondern ein Konzept. Und gerade weil es keine allgemeingültige Definition für Smart Citys gibt, muss jede Stadt für sich selbst definieren, was sie darunter versteht und was sie damit erreichen will. Sie braucht einen Plan, in dem sie die Maßnahmen festgelegt, Kosten überschlägt sowie Verantwortliche, Partner und Kontrollgremien benennt. Damit sollte auch eine Bestandsaufnahme verbunden sein: Welche Daten liegen längst vor? Welche Daten brauchen wir wirklich und welche nicht? Diese Strategie muss gemeinsam mit Bürgern und externen Partnern öffentlich entwickelt und erstritten werden, dokumentiert auf einer offenen Plattform im Netz.

2. Die öffentliche Hand muss den Takt vorgeben. Marktwirtschaft ist schön und gut, aber den Rahmen kann nur der Staat definieren. Eine Smart City trägt nicht nur den Verantwortungsbereich im Namen, sondern auch den Verantwortlichen. Die Stadt oder Kommune, eben die öffentliche Hand muss das Konzept erstellen, die Rahmenbedingungen festlegen und deren Einhaltung kontrollieren.

Viele Dinge, die in einer intelligenten Stadt digitalisiert, neugeregelt oder vernetzt werden, betreffen Bereiche der Daseinsvorsorge: Müllabfuhr, Energieversorgung, Verkehr. Wichtigste Aufgabe der öffentlichen Hand ist, die Interessen der Menschen im Blick zu behalten. Wären ausschließlich Unternehmen die (Be-)Treiber einer Smart City, stünde deren Gewinnmaximierung im Vordergrund, nicht der Nutzen für den Einzelnen. Bund, Länder und Kommunen müssen allerdings auch den Mut haben, noch mehr in Smart-City-Projekte zu investieren. Es sind schließlich Investitionen in die Infrastruktur von Gegenwart und Zukunft, und die sind generell dringend nötig, egal, welchen Namen man dem Kind gibt.

Vielen Menschen ist eine umfassende Datenerhebung unheimlich. Aber es braucht sie

Was in einer Smart City passiert, muss zudem transparent sein. In Wien sind auch Plattformen wie Open Data, also das Veröffentlichen kommunaler Daten, als Teil der Gesamtstrategie festgeschrieben. So können alle Beteiligten auf Daten und Ergebnisse zugreifen und eigene Schlüsse daraus ziehen. Und diejenigen, die ihre Daten zur Verfügung stellen, nämlich die Bürger, geben nur die Informationen aus der Hand, nicht die Kontrolle.

3. Ohne Datenschutz geht es nicht. Eine Smart City ist auf die Mithilfe ihrer Bewohner angewiesen und deren Daten. In vielen Fällen sind das reine Nutzerzahlen, mit denen der Einzelne nicht identifiziert werden kann. Doch es gibt Bereiche, in denen die Stadt und ihre Partner personenbezogene Daten benötigen, etwa bei smarten Stromzählern in Privatwohnungen.

Vielen Menschen ist solch umfassende Datenerhebung unheimlich. Das ist verständlich und bleibt ein Thema, selbst wenn gerade in Deutschland die Datenschutzgesetze streng sind. Bürger und Betroffene sollten daher ihre Rechte nutzen, sich informieren und engagieren, um die Stadtentwicklung kritisch zu begleiten. In München etwa gestalten die betroffenen Bewohner in Workshops mit, was in ihrem Viertel geschieht. Das steigert die Akzeptanz und den persönlichen Nutzen.

4. Ohne externe Partner geht es nicht. Eine Smart City braucht Partner. Unternehmen haben das nötige Expertenwissen in der Digitalisierung, das in der Verwaltung oft nicht vorhanden ist. Die bisherigen Smart Citys entstehen aber nicht nur dort, wo sich Betriebe dafür stark machen. Sie kooperieren auch mit Universitäten und wissenschaftlichen Instituten. Diese begleiten den Prozess und untersuchen Nutzen und Folgen für die Kommunen und die Menschen, die darin leben. So lassen sich Fehlentwicklungen schnell erkennen und abstellen.

5. Scheitern muss erlaubt sein. Eine Smart City ist ein mögliches Zukunftsszenario, kein zwingendes. Es gibt zahllose Forscher, die sich damit beschäftigen, wie man das Leben des Einzelnen weiter digitalisieren kann. Es gibt aber auch genauso viele Forscher, die untersuchen, welche Folgen Technologie und Vernetzung auf den Menschen haben. Nicht alles, was innovativ ist, ist gut für ihn. Das gilt auch die für die einzelnen Teile einer Smart City. Es ist daher durchaus positiv, dass sich viele Städte bisher nur auf einzelne Areale oder Aufgaben beschränken und sie sich erst nach und nach smart machen.

Alle Beteiligten, insbesondere Städte und Gemeinden, müssen regelmäßig überprüfen, ob das, was sie entwickelt haben, tatsächlich einen Nutzen erfüllt, der die Konsequenzen rechtfertigt. Und sie müssen den Mut haben, etwas vermeintlich Smartes, das nicht funktioniert, zu beenden. Das ist am Ende die vielleicht größte Herausforderung.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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