Samstags-Essay:Des Übels Kern

Lesezeit: 5 Min.

Steuerbetrug, illegale Prostitution, Drogenhandel, Waffenschmuggel - die Erlöse aus kriminellen Geschäften fließen durch Geldwäsche zurück in die Wirtschaft. (Foto: Anette Fischer/Unsplash)

Mit Geldwäsche unterwandern internationale Verbrecherorganisationen die freiheitliche Welt. Ein Angriff auf die Demokratie, den die Politik nicht ernst genug nimmt.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Im Bundestagswahlkampf wird es thematisch ganz bestimmt um Steuererhöhungen gehen. Die staatlichen Hilfen zur Abfederung des wirtschaftlichen Corona-Lockdowns belaufen sich auf Hunderte Milliarden Euro. Die steuerpflichtigen Bürger müssen den Deckel übernehmen. Doch viele drücken sich vor der Steuer, und zwar seit Jahrzehnten. So wies der Bundesrechnungshof bereits im Jahr 2000 auf milliardenhohen Umsatzsteuerbetrug durch grenzüberschreitende Karussellgeschäfte hin. Im aktuellen Bericht von 2020 kommen die Rechnungsprüfer zu dem Ergebnis, dass die Gesetze immer noch nicht ausreichten, um diesen Steuerbetrug "nachhaltig zu bekämpfen" - und das nach 20 Jahren.

Deutschland verliert dadurch jährlich bis zu 14 Milliarden Euro. Doch das Thema hat bei der Bundesregierung keine Priorität. Der Begriff "Umsatzsteuer" fiel im letzten Koalitionsvertrag zwei Mal, und zwar im Wort "Umsatzsteuerbefreiung". Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) lässt seit Jahren viele Milliarden einfach liegen. Den Schaden tragen die ehrlichen Bürger.

Steuerbetrug, illegale Prostitution, Drogenhandel, Waffenschmuggel - die Erlöse aus kriminellen Geschäften fließen durch Geldwäsche zurück in die Wirtschaft. Der Internationale Währungsfonds schätzt das jährliche Geldwäschevolumen weltweit auf vier Billionen Dollar. Nur ein Prozent dieses Betrags können die Behörden sicherstellen. Die illegalen Geldströme sind eine ernsthafte Bedrohung für die globale Sicherheit, stellte die Münchner Sicherheitskonferenz 2019 fest. In Deutschland taxiert man das Schwarzgeld auf jährlich 100 Milliarden Euro, rund 20 Milliarden davon fließen laut Schätzung in den Immobilienmarkt. Die Nachfrage der Kriminellen erhöht die Häuserpreise noch mehr. Normal- und Geringverdiener können sich in den Städten keine Wohnung mehr leisten.

Das viele Geld aus dunklen Kanälen unterwandert die Gesellschaft

Das Schwarzgeld der internationalen Banden fließt auch in den Kauf von Firmen, Schmuck, Kunst, Diamanten und in die Finanzierung von Parteien und Wissenschaftsprojekten. Das viele Geld aus dunklen Quellen unterwandert die Gesellschaft, macht Teile davon willfährig, den Interessen der kriminellen Banden zu dienen. Man nennt diesen Vorgang "Korruption". Die gibt es auch in Deutschland, anekdotisch sei der Fall eines Richters aus Baden-Württemberg erwähnt, gegen den die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wegen Bestechung Anklage erhoben hat. In Frankfurt hat ein Oberstaatsanwalt Bestechlichkeit eingeräumt. Der italienische Mafiajäger Roberto Scarpinato warnt, viele öffentliche Ausschreibungen im deutschen Bausektor würden von der Mafia kontrolliert.

Verborgene Geldflüsse nähren den Terrorismus. Das EU-Parlament schrieb 2017 in seinem Bericht zu den Panama Papers, dass die Terrormiliz IS einige Banken kontrolliere, mit eigenem Zugang zum Zahlungsnetzwerk Swift. So konnten die Terroristen bis zu ihrer Niederlage illegale Waffengeschäfte abwickeln. Bei diesen Geschäften sind unangenehme Verstrickungen denkbar: Etwa wenn ein IS-Terrorist Geld bei einer deutschen Bank abhob, den Betrag in die Digitalwährung Bitcoin tauschte, um im Darknet damit Waffen deutscher Hersteller zu kaufen, die in Afghanistan mutmaßlich gegen deutsche Soldaten eingesetzt wurden. Geldwäsche kostet die Gesellschaft nicht nur Geld, sie kostet Leben und destabilisiert die Demokratie.

Die Geldwäschekontrollen im internationalen Finanzsektor sind unzureichend

In Großbritannien haben russische Oligarchen, die ihr Vermögen mutmaßlich illegal erlangt haben, inzwischen enge Kontakte zur Politik, warnen die britischen Sicherheitsbehörden. Der Nachweis der Geldwäsche sei schwer, denn die Oligarchen hätten ihr Vermögen inzwischen untereinander so oft "legal" hin- und herverkauft, so dass man nur noch kleine Sporen ihrer dunklen Vergangenheit sehen könne. Ein weiteres Beispiel: Transnationale Umweltkriminalität wie Wildtierschmuggel, illegale Rodungen und das Deponieren gefährlicher Abfälle kosten die Weltwirtschaft jährlich bis zu 259 Milliarden Dollar, so eine Studie in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature Sustainability.

Wie wird diese Umweltkriminalität bezahlt? Durch anonyme Geldflüsse, die auch über europäische und deutsche Banken laufen können. Die Geldwäschekontrollen im internationalen Finanzsektor sind unzureichend: Über die estnische Filiale der Danske Bank sind 2007 bis 2015 von osteuropäischen Kriminellen mutmaßlich 200 Milliarden Euro gewaschen worden. Auch Deutsche Bank, ING und Goldman Sachs waren in große Geldwäschefälle verwickelt. Die lettische Bank ABLV soll Kunden sogar geholfen haben, Sanktionen gegen Nordkorea zu umgehen. Auch Finanzinstitute in Zypern und Malta waren immer wieder in illegale Geldtransfers involviert. Die Beispiele unterstreichen, wie nachlässig die Aufsichtsbehörden in Europa waren.

Die EU regelt die Geldwäschebekämpfung seit 1991 mit der inzwischen fünften Richtlinie, bei der die Mitgliedstaaten, anders als bei einer EU-Verordnung, Spielraum bei der Umsetzung haben. Die EU-Kommission ist als Hüterin der Verträge die oberste Kontrollbehörde. Sie hat viel Arbeit gehabt in den letzten 27 Jahren, denn die Moral der Mitgliedstaaten war oft schlecht. Es gab immer wieder Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelhafter oder verspäteter Umsetzung der Regeln, auch gegen Deutschland. Die Bundesregierung musste 2012 einräumen, dass sie bis dahin noch nicht einmal die erste Richtlinie von 1991 vollständig umgesetzt hatte. Im deutschen Nicht-Finanzsektor können Kriminelle bis heute problemlos Geld waschen. Für die Kontrolle der Immobilienmärkte, Casinos, Juweliere und Autohändler sind Behörden der Bundesländer zuständig. Sie müssten sicherstellen, dass diese Güterhändler verdächtige Geschäfte melden, etwa wenn ein Kunde einen großen Betrag in bar bezahlt. Das geschieht viel zu selten, und die Kontrollbehörden sind meist unterbesetzt.

Die 1989 gegründete Financial Action Task Force (FATF) ist das oberste internationale Anti-Geldwäsche-Gremium. Es hat einen Maßnahmenkatalog beschlossen für den Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die FATF prüft alle paar Jahre, wie gut die Unterzeichnerstaaten die Vorgaben umsetzen. Aktuell steht die Prüfung von Deutschland an. Die Kontrolleure kommen im März. Sie werden sich den Nicht-Finanzsektor vornehmen, aber auch die Financial Intelligence Unit (FIU). Dort laufen alle Geldwäscheverdachtsmeldungen zur Prüfung ein. Die Behörde ist seit 2017 beim Zoll angesiedelt. Doch auch diese Behörde ist zum Teil fachlich überfordert. Zudem fehlen ihr wichtige Zugriffsrechte auf Polizeidaten, um die Relevanz der Verdachtsmeldungen seitens der Banken einschätzen zu können. Aufgrund dieses Fiaskos leitete die Staatsanwaltschaft Osnabrück bei der FIU sogar Ermittlungen wegen Strafvereitelung im Amt ein.

Die Justiz sollte verdächtige Sach- oder Geldvermögen einfrieren

Noch immer grassiert in den westlichen Industriestaaten eine wohlfeile Sicht auf die Finanzkriminalität, nach dem Motto: Wir sind gut, böse sind die anderen. Das brachte der damalige britische Premierminister David Cameron auf dem Londoner Anti-Korruptions-Gipfel 2016 offen zum Ausdruck. In seiner Rede bezeichnete er einige Entwicklungsländer als "fantastically corrupt". Auf die Frage, ob er eine Entschuldigung fordere, antwortete der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari: "Nein, keine Entschuldigung. Ich fordere die Rückgabe von Vermögen." Korrupte Politiker, Unternehmer und andere Kriminelle hatten vor Buharis Amtszeit zwischen 2003 und 2012 rund 157 Milliarden Dollar aus Nigeria ins Ausland verschafft, darunter auch Entwicklungshilfegelder. Der Präsident weiß: Die Plünderung der nigerianischen Bevölkerung war nur möglich mit Hilfe von Spezialisten in angelsächsischen Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.

Der Westen hilft korrupten Politikern, ihre eigenen Länder auszurauben. Die "Enabler" in den Kanzleien leiten die Vermögen über Firmen mit unklarer Eigentümerschaft in das Finanzsystem europäischer und amerikanischer Großbanken auf Offshore-Konten, die ihren Sitz in britischen und amerikanischen Domizilen haben. "Es ist so, als hätten die Reichsten aus Ländern wie China, Nigeria, der Ukraine oder Russland einen Tunnel in dieses neue Land gegraben, das unter allen Ländern liegt und in dem es keine Grenzen mehr gibt", schreibt der britische Journalist Oliver Bullough in seinem Buch "Moneyland". "Die Regeln und Einschränkungen, die den Rest der Menschheit betreffen, haben für sie keine Gültigkeit."

Wie wenig Fantasie Deutschland und die EU beim Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gezeigt haben, belegt ein Bericht des Bundeskriminalamts aus dem Jahr 1986: Die Experten forderten damals die Einführung einer "Beweislastumkehr". Die Justiz sollte verdächtige Sach- oder Geldvermögen einfrieren und am Ende konfiszieren dürfen, es sei denn, der wahre Eigentümer trete vor, belege die legale Herkunft des Geldes und dessen Versteuerung. In Italien dürfen Gerichte Mafia-Vermögen seit 1983 auf Verdacht beschlagnahmen.

Diesen Faden müsste Deutschland endlich aufnehmen. Zwar wurde die Beschlagnahmung krimineller Vermögen 2017 gesetzlich erleichtert, doch die Behörden fremdeln mit der Vorschrift. Die Beschlagnahmung von 77 Immobilien Berliner Clans ist bislang der prominenteste Fall geblieben. Der Gesetzgeber müsste mit deutlicheren Vorschriften zur Beweislastumkehr mehr Mut aufbringen, um die organisierte Kriminalität und deren wachsenden politischen Einfluss durch Korruption erfolgreich zu bekämpfen.

Die ehemaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), Hans Eichel (SPD), Peer Steinbrück (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) hat der Kampf gegen Geldwäsche nie wirklich interessiert. Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigt wenig Elan, das Geld der Kriminellen abzuschöpfen, um Unterwanderung zu stoppen und die Demokratie zu schützen. Scholz hält es sogar für völlig in Ordnung, dass Immobilien in Deutschland mit einem Koffer voller Bargeld bezahlt werden dürfen. Man muss wissen: Für die Besteuerung ist es in Deutschland unerheblich, ob Geld illegal erwirtschaftet wurde. Der deutsche Staat kassiert also bewusst mit bei der Geldwäsche.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: