Sagen Sie mal ...:Wie kommt ein Trend in die Welt?

Lesezeit: 4 min

Plötzlich tragen alle wieder das Gleiche. Wie kommt das? Wo Trends entstehen und warum sie uns mit Wucht treffen, sagt Marco Tomasi, Chefdesigner bei Strellson.

Hans von der Hagen

sueddeutsche.de: Wie lange basteln Sie bereits an ihre Kollektion für den Herbst 2008?

Präsentation der Swiss Cross Collection auf der Modemesse Pitti Imagine Uomo in Florenz (Foto: Foto: oH)

Marco Tomasi: Seit April, Mai sind wir da dran, etwa zeitgleich starten wir mit der Produktion der Sommerkollektion.

sueddeutsche.de: Was heißt "dran" sein?

Tomasi: Da präsentieren die Weber bereits die Garne und Stoffe für den Herbst 2008. Das sind wichtige Leute in diesem Geschäft, mit denen entwickeln wir schon die ersten Ideen.

sueddeutsche.de: Wo kommt die übrige Inspiration her?

Tomasi: Es sind viele Eindrücke, die wir sammeln. Wir bereisen weltweit Metropolen, und informieren uns, was es Neues gibt in den "Places to be", in den angesagten Städten. Wichtig ist, dass wir Leute beobachten können.

sueddeutsche.de: Was sind die relevanten Städte?

Tomasi: Auf jeden Fall London. Da fliegen wir jedes Jahr in einem kleinen Team hin und schauen uns an, wie sich die Stadtbilder verändern, vor allem die Struktur der Läden. Wir gehen über die Märkte mit ihrem extrem gemischten Publikum, aber auch in die Geschäfte. Manchmal sogar in Secondhand-Läden, um Originale aus den vergangenen Jahrzehnten für retroinspirierte Trends zu finden. Und Buchgeschäfte.

sueddeutsche.de:  Buchgeschäfte?

Tomasi: Wir wollen eben möglichst viele Eindrücke aufsaugen. Schon bestimmte Farbkombinationen in Bildbänden können interessant sein. Oder die neuesten Comics.

sueddeutsche.de: Wie lange sind Sie dort?

Tomasi: Drei, vier Tage etwa. Es ist eine sehr dichte Zeit. Ähnlich machen wir das in einer Handvoll anderer Städte.

sueddeutsche.de: Berlin gehört auch dazu?

Tomasi: Klar. Die Stadt ist nischenorientierter, weil dort vieles noch im Umbruch ist. In Berlin hat sich vieles noch nicht so gesetzt wie in Paris oder Mailand.

sueddeutsche.de: Jetzt haben Sie die Orte beschrieben, an denen Trends zu finden sind - aber wie kommen sie in die Welt? Wenn Sie die Trends dort entdeckten, muss sie jemand anderes schon gesetzt haben.

Tomasi: Das ist richtig. Manchmal tun das sogar nur einzelne Personen. Es kann passieren, dass man an jemandem vorbeiläuft und denkt: verdammt cooler Look. Da könnte man etwas daraus machen. Aber das passiert nicht jedes Jahr. Oft sehen sie nur Weiterentwicklungen bestehender Moden. Und viele Trends bleiben gänzlich unbeachtet, weil sie nicht zum Unternehmen, zum Kern der Marke passen.

sueddeutsche.de: Aber nicht alle Trends kommen von der Straße?

Tomasi: Es kommen immer viele Faktoren zusammen. Mode kann nicht für sich genommen werden, denn alles hängt mit allem zusammen - der Musikszene, dem Wohnbereich, dem Sport oder der Kunst. Es geht alles ineinander über. Denken Sie an die Farbe Weiß, die für Jahre einfach weg war. Jetzt macht sie einen großen Siegeszug über Kleidung, Möbel oder Autos.

sueddeutsche.de: Lassen sich da die Ursprünge von Trends überhaupt noch verfolgen?

Tomasi: Manchmal. Etwa wenn Filme wie der über den New Yorker Club "Studio 54" Paten für bestimmte Thematiken sind.

sueddeutsche.de: Entstehen Trends auch in den Köpfen der Designer? Oder holt man sich alles von außen?

Marco Tomasi: "Möglichst viele Eindrücke aufsaugen." (Foto: Foto: oH)

Tomasi: Nein, sie werden auch im Haus entwickelt - und es kann unter Umständen ganz schön dauern, bis es ein echter Trend wird. Wir haben ein Beispiel in unserer Kollektion: die Swiss-Cross-Jacke. Sie wurde von uns entworfen und sie war einzigartig, denn sie hatte eine eingenähte Schweizer Militärdecke.

sueddeutsche.de: Eine gebrauchte?

Tomasi: Die Decken sind gebraucht! Wir fanden diese Jacke unglaublich authentisch und cool - aber kein Einzelhändler wollte sie haben. Wir saßen auf 3000 Stück. Doch dann erschien ein kleiner Bericht mit Bild in einer Zeitschrift - und sie war im Nu ausverkauft. Mittlerweile ist es ein Klassiker.

sueddeutsche.de: Wie lange dauert es, bis sich in Ihren Köpfen ein Trend für die neue Saison gefestigt hat und alle im Team sich einig sind: So machen wir das jetzt.

Tomasi: Das ist ein Prozess, der sich etwa über zwei Monate hinzieht.

sueddeutsche.de: Wie sieht das weitere Leben eines Trends aus?

Tomasi: Sie verbreiten sich in großem Tempo um die Welt. Vor allem aufgrund des Internets, aber auch mit Hilfe von Zeitschriften und Celebreties: Wenn sich bekannte Persönlichkeiten in einem bestimmten Look fotografieren lassen, erzeugt das viel Aufmerksamkeit - selbst wenn echte Stilikonen wie Madonna oder David Bowie selten geworden sind. Trends fangen also klein an, werden zum Hype, später wird Massenware daraus. Und irgendwann setzt die Gegenbewegung ein.

sueddeutsche.de: Wie sieht es derzeit aus?

Tomasi: Aktuell ist die Mode "more dressed": schick, clean und körperbetont - oft mit schmaler Krawatte kombiniert. Aber es gibt bereits die Gegenbewegung: Die ersten weit geschnittenen Teile sind schon wieder da. Wichtig ist überdies der Stilbruch: Anzug ja, aber mit Sneakers.

sueddeutsche.de: Ist das nicht längst durch?

Tomasi: Das dachte man schon vor zwei Jahren. Doch dieser Mix aus Konfektion und sportiven Elementen, von Materialen oder der Stilbruch über die Silhouette hinweg - eng mit weit - erzeugt erst die Spannung.

sueddeutsche.de: Gibt es einen Trend bei den Trends?

Tomasi: Sie breiten sich immer schneller aus. Wenn heute ein Designer etwas auf dem Laufsteg zeigt, haben es die großen Modemarken fast gleichzeitig im Laden hängen, manchmal sogar schon vorher.

sueddeutsche.de: Wie lässt sich diese Simultaneität realisieren?

Tomasi: Viele bedienen sich bei den gleichen Platformen im Internet, die beispielsweise von Trendscouts eingerichtet werden. Daneben ist der Zugang zu den internationalen Modeshows wesentlich leichter geworden. Früher wurde das, was dort gezeigt wurde, erstmal ein halbes Jahr geheim gehalten. Heute stehen die Bilder im Netz.

sueddeutsche.de: Und auf der Produktionsseite?

Tomasi: Die großen Modeeinzelhändler wie H&M, Mango oder Zara sind im hohen Maß vertikal organisiert, das heißt sie fertigen alles selbst und sind darum schnell. Und sie bringen die Ware massenhaft in ihre Läden, die immer in 1-a-Lagen stehen. Das sorgt europaweit, fast schon weltweit für eine große Präsenz von High Fashion, also gut designter Mode. Diese Allgegenwärtigkeit trägt erheblich zum gestiegenen Modebewusstsein bei Frauen und Männern bei.

sueddeutsche.de: Gibt es Trends, die bewusst klein gehalten werden, um die Exklusivität zu wahren?

Tomasi: Man versucht natürlich, Originale zu limitieren. Aber das ist mittlerweile fast nicht mehr möglich. Irgendeiner kopiert einen immer.

sueddeutsche.de: Kann Sie ein Trend noch überraschen?

Tomasi: Früher gab es das häufiger. Aber jetzt ist alles derart vernetzt, dass die großen Überraschungen selten geworden sind.

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