Sagen Sie mal ...:Sind Fusionen eine Form von Größenwahn?

Lesezeit: 3 min

Ob Fusionswellen bei Unternehmen und Kursblasen am Aktienmarkt etwas gemeinsam haben, sagt Günter Müller-Stewens von der Universität St. Gallen. Er verrät auch, welche Zusammenschlüsse am ehesten erfolgreich sind.

Hans von der Hagen

sueddeutsche.de: Wir kennen Spekulationsblasen am Aktienmarkt: Man kauft, weil man kauft. Machen das Manager auch - andere Unternehmen kaufen, weil alle es tun?

Günter Müller-Stewens (Foto: Foto: Universität St. Gallen)

Günter Müller-Stewens: In der Tat gibt es Kaufwellen bei Unternehmen. So wie es Spekulationsblasen gibt, gibt es auch Fusionsblasen, die sich meist parallel entwickeln.

sueddeutsche.de: Platzen sie auch gleichzeitig?

Müller-Stewens: Meist geht es bei den Unternehmen etwas früher wieder bergab.

sueddeutsche.de: Sind die Manager also immer einen Schritt vor den Anlegern?

Müller-Stewens: Es gibt sicher Informationsvorteile. Und man fragt sich in den Unternehmen eben etwas schneller, ob ein Investment noch lohnt.

sueddeutsche.de: Stehen die Zeichen aktuell auf Überhitzung?

Müller-Stewens: Zum Teil ja. Private-Equity-Unternehmen kaufen heute Unternehmen zu Preisen, die zwei bis drei Mal so hoch sind wie noch vor zwei oder drei Jahren. Irgendwann sind die Zitronen ausgequetscht. Gefährlich wird es auch, wenn immer mehr Fusionen angekündigt und kurz darauf wieder abgesagt werden. Da wird dann deutlich, dass die Vorhaben nicht mehr durchdacht sind. Doch das ist derzeit noch nicht der Fall.

sueddeutsche.de: Wie kommt es, dass sich Übernahmewellen in der Wirtschaftsgeschichte mit schöner Regelmäßigkeit wiederholen?

Müller-Stewens: Die Unternehmensführungen pendeln zwischen Konzentration auf Kerngeschäfte und Ausweitung in neue Geschäfte. Mal machen alle Unternehmen das eine, mal das andere. Aber immer machen es fast alle zusammen.

sueddeutsche.de: Und wer stößt das Pendel an?

Müller-Stewens: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssen Firmen die Kosten reduzieren und effizienter werden. Da werden schneller als sonst Unternehmensteile verkauft, manchmal aus purer Not. Auch werden Effizienzsteigerungsprogramme durchgeführt. Dadurch kommt wieder mehr Geld in die Kassen und die Unternehmen fragen sich: Wohin damit?

sueddeutsche.de: Man könnte es wieder in das Geschäft investieren, in dem man es verdient hat ...

Müller-Stewens: Häufig ist es so, dass es sich hier um Märkte mit rückläufigen Ertragschancen handelt, das Geschäft also nicht mehr als attraktives Wachstumsfeld wahrgenommen wird.

sueddeutsche.de: Was ist mit den Aktionären. Die hoffen doch auch immer auf eine üppigere Dividende?

Müller-Stewens: Ja, bis zu einem gewissen Teil kann man Dividenden erhöhen oder auch eigene Aktien rückkaufen. Doch irgendwann fragt sich dann auch der Aktionär, ob das denn noch eine attraktive Aktie sei. Offenbar hat ja das Management keine Phantasie mehr, was es mit diesem Geld machen könnte.

sueddeutsche.de: Es bleibt also nur noch die Möglichkeit ...

Müller-Stewens: ... das Geld in neue Geschäfte und neue Ideen zu stecken. Man geht auf Einkaufstour.

sueddeutsche.de: Es sind demnach nicht die Unternehmensberater, die, Moden gehorchend, das Pendel anstoßen?

Müller-Stewens: Nein, sie bilden eher das Pendel ab. Denn wenn das Pendel in eine Richtung schwingt, erzeugt es eine gewisse Eigendynamik. Und dann reden und fordern eben auch alle das Gleiche.

sueddeutsche.de: Gibt es in der Boomphase bei Managern auch den Hang zum Größenwahn, so wie er an der Börse immer wieder erkennbar ist?

Müller-Stewens: Zunächst steckt durchaus Kalkül hinter dem Verhalten der Vorstände: Im Boom gibt es mehr Übernahmen, die mit eigenen Aktien und nicht mit Geld bezahlt werden. Wann würde man denn selbst ein fremdes Unternehmen mit eigenen Aktien kaufen? Wenn man das Gefühl hat, dass die eigene Aktie eigentlich zu hoch bewertet ist und sie damit eine billige Währung ist. Doch wenn der Herdeneffekt einsetzt und plötzlich das Gefühl aufkeimt, man würde selbst leer ausgehen, sind eben manche auch bereit, Preise jenseits aller Vernunft zu zahlen. Dahinter muss nicht unbedingt Gier stecken, sondern vielleicht auch nur in- und extern erzeugter Druck zum Handeln.

sueddeutsche.de: Welche Fusionen haben denn am ehesten Aussicht auf Erfolg?

Müller-Stewens: Früher dachte man, dass sich Unternehmen mit ähnlicher Produktpalette bei einer Fusion leicht tun würden - wenn etwa ein Bierbrauer ein Fruchtsaftunternehmen kauft. Doch dies lässt sich nicht nachweisen. Es reicht nicht, dass beide Firmen Getränke anbieten, da sich offenbar das Alkohol-Geschäft zu sehr vom Fruchsaft-Bereich unterscheidet. Leichte Hinweise auf höhere Erfolgswahrscheinlichkeiten gibt es in Fällen, wo das erforderliche Managementwissen ähnlich ist.

sueddeutsche.de: Wie viele Fusionen gehen denn schief?

Müller-Stewens: Die Misserfolgsquote liegt bei 50 bis 70 Prozent - je nachdem, wie Sie den Erfolg messen.

sueddeutsche.de: Welche Varianten gibt es?

Müller-Stewens: Beispielsweise die Entwicklung des Aktienkurses in den Tagen und Wochen nach der Fusion, die Marktposition des Unternehmens nach der Fusion und auch die Aussagen der Manager: Würden sie es wieder tun oder nicht.

sueddeutsche.de: Unternehmen versprechen ja immer den Erfolg ...

Müller-Stewens: Auch das ist ein wichtiges Kriterium: Halten die Firmen ihre anfangs gemachten Versprechen ein, etwa bezüglich der angekündigten Synergien, die man in den kommenden Jahren realisieren möchte?

sueddeutsche.de: Was haben denn die Verbraucher von Fusionen?

Müller-Stewens: Wenn durch eine Übernahme die Kosten sinken, werden im besten Fall die Preise fallen.

sueddeutsche.de: Wenn aber die Marktmacht des Unternehmens größer wird, haben die Verbraucher das Nachsehen: Die Produkte werden teurer ...

Müller-Stewens: Stimmt, beide Effekte lassen sich allerdings in der Praxis nicht nachweisen.

sueddeutsche.de: Grund zur Gelassenheit also, weil sich für die Verbraucher ohnehin nichts ändert?

Müller-Stewens: Zumindest lässt es sich nicht feststellen. Auf längere Sicht überlagern sich so viele Effekte, dass nicht mehr erkennbar ist, ob eine Preisveränderung noch Folge einer Fusion ist. Doch wenn am Ende ein leistungsfähigeres Unternehmen zurückbleibt, dann ist dies gut für alle Anspruchsgruppen.

(sueddeutsche.de)

© Professor Günter Müller-Stewens leitet an der Universität St. Gallen HSG das Institut für Management - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: