Der Sachverständigenrat (SVR) steht wieder einmal im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Doch wie so oft in den vergangenen Jahren scheint hierbei - trotz Pandemie - weniger seine wirtschaftspolitische Expertise im Vordergrund zu stehen als vielmehr personalpolitische Aspekte. Die Diskussion um die ausbleibende Wiederberufung des Vorsitzenden Lars Feld und deren Folgen (ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin ist nicht benannt, der Rat von fünf auf vier Personen geschrumpft) erinnert an ähnliche Debatten der jüngeren Vergangenheit.
Dabei ist ein wiederkehrendes Muster zu beobachten. Sobald Fragen der Ratsbesetzung auf der (politischen) Agenda stehen, kommt es zu einer teils hitzigen öffentlichen Debatte, in der meist die Bedeutungslosigkeit des Rates beklagt wird. Letztere wird dann gelegentlich einer glorreichen Vergangenheit gegenübergestellt, in der die Wirtschaftsweisen noch über eine unangefochtene Autorität verfügt hätten. Lässt man aber die tagespolitische Aufregung hinter sich und blickt etwas gelassener auf die Geschichte des SVR, so ergibt sich ein differenzierteres, weit weniger düsteres Bild.
Um die Resonanz des Rates - im Sinne seiner öffentlichen Sichtbarkeit, nicht seines direkten Beratungserfolgs - empirisch zu erfassen, lassen sich zwei Indikatoren bilden, die seinen beiden Zielgruppen, Öffentlichkeit und Politik, entsprechen. Der erste besteht aus der Häufigkeit, mit der der Rat in verschiedenen Leitmedien genannt wurde, der zweite aus der Häufigkeit der Bezugnahme durch Politiker im Deutschen Bundestag. Beide Größen haben den Vorteil, dass mit Hilfe von Verfahren des Text Minings die Diskurse, in die der SVR eingebunden war, datengestützt analysiert werden können. In beiden Fällen weist die Resonanz eine auffällig ähnliche Entwicklung auf, die sich in drei Phasen einteilen lässt.
Der Glaube, dass ökonomische Planung machbar ist
In den ersten zwei Jahrzehnten nach seiner Gründung 1963 erhielt der Rat ein hohes Maß an öffentlicher Resonanz, was nicht nur seinen regierungskritischen Positionen, etwa im Aufwertungsstreit, zuzuschreiben ist. Vielmehr war bereits seine Gründung Ausdruck eines vom Glauben an die Machbarkeit ökonomischer Planung und Steuerung geprägten Zeitgeists, der später seinen Niederschlag etwa im Konzept der Globalsteuerung fand und zu einem Boom des ökonomischen Expertentums führte. So fiel die Expertise des Rates trotz mancher inhaltlicher Kritik in jener Zeit auf fruchtbaren Boden. Dem tat auch der erste ratsinterne Krach, die "Stützel-Affäre", keinen Abbruch. Die Krisen der 70er-Jahre sorgten zwar dafür, dass die Autorität des SVR zum ersten Mal ins Wanken geriet. Und auch wenn ihm seine angebotsökonomische Wende die Kritik der Gewerkschaften einbrachte, so bescherte sie ihm doch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, vom Zuspruch nicht nur konservativer Kreise ganz abgesehen.
Die zweite Phase setzte in den frühen 80er-Jahren ein, hier ist ein deutlicher Wandel in der Bewertung des Rates zu beobachten. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit erfuhr er massiven Widerspruch, allenthalben war von der "Ratlosigkeit der Ratgeber" die Rede. Allerdings betraf die Kritik keinesfalls nur den SVR, vielmehr galt die Ökonomik in der öffentlichen Meinung insgesamt als überholt. Nach einigen heftigen Attacken machte sich in der Folge, besonders in den 90er-Jahren, dann Stille um den Rat breit. Sowohl in den Medien als auch im Bundestag stellte sich eine Ritualisierung im Umgang mit seinen Gutachten ein, die nur von wenigen Ausnahmen, wie etwa der Debatte um die Währungsunion mit der DDR oder die Einführung der Pflegeversicherung, unterbrochen wurde.
Um die Jahrtausendwende gelang dem Rat jedoch ein Comeback, mit dem nicht nur eine gesteigerte Aufmerksamkeit, sondern auch eine positivere Bewertung verbunden war. Neben einer besonders präsenten Ratsbesetzung ist dies auf den Politikstil Gerhard Schröders zurückzuführen. Dieser zeichnete sich durch eine medienwirksame Einbindung von Experten-Kommissionen aus und führte zu einem Boom der Politikberatung, von dem auch der SVR profitierte. Zudem sorgte der Regierungswechsel 1998 für Spekulationen über die politische Zukunft des Rates, die an die aktuelle Debatte erinnern.
Allerdings währte das Comeback nur kurz: Die ratsinternen Querelen von 2004/2005 sorgten für eine besonders schlechte Publicity. Während sich die Medienresonanz seither jedoch auf einem stabilen, recht hohen Niveau eingependelt hat, ist der SVR für die Bundestagsdebatten praktisch bedeutungslos geworden.
Der Rat war schon immer in politischen Streit involviert
In der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Rat lassen sich einige übergeordnete Muster beobachten. Erstens mag die Politisierung des SVR zwar momentan besonders deutlich zu Tage treten, der Rat war jedoch seit seiner Gründung immer wieder in (partei-) politische Auseinandersetzungen involviert, was angesichts seiner institutionellen Ausgestaltung im Grunde unvermeidlich ist. Besonders deutlich wird dies im Plenum des Bundestags. Hier standen sich Regierung und Opposition in nichts nach, beide nahmen seine Expertise für sich in Anspruch, meist sogar zur selben Zeit.
Zweitens orientierte sich die Presse, entgegen anders lautender Behauptungen, in ihrer ratsbezogenen Berichterstattung inhaltlich stark an dessen Themensetzung beziehungsweise den großen wirtschaftshistorischen Problemfeldern: Preisniveaustabilität in den 60er-/frühen 70er-Jahren, Arbeitslosigkeit in der Zeit nach der ersten Ölpreiskrise, öffentliche Finanzen und soziale Sicherung in den späten 1990er/frühen 2000er Jahren. Allerdings ist ein zunehmender Fokus auf die personelle Besetzung des Rates festzustellen, Personalquerelen wie die derzeitige nehmen einen immer größeren Raum ein. Das insgesamt durchaus hohe mediale Echo der letzten 15 Jahre steht dabei in einem starken Kontrast zu der immer wieder behaupteten Bedeutungslosigkeit. Überhaupt scheint sich in der Diskussion um den SVR eine bestimmte Krisensemantik eingebürgert zu haben.
Drittens war und ist der SVR in einem größeren Kontext wirtschaftspolitischen Expertentums zu sehen. Seine Resonanz wird immer auch durch den gesellschaftlichen Stellenwert wissenschaftlicher Expertise beeinflusst, der sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gewandelt hat. Durch seine exponierte Position mögen sich am SVR zwar bestimmte Trends besonders deutlich zeigen; auf ihn beschränkt sind sie freilich selten. In der Rückschau steht es um den SVR alles in allem besser, als man in Anbetracht der gegenwärtigen Diskussion annehmen würde.