Russland: Abkehr von der WTO:Die Fehler des Wladimir Putin

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Wladimir Putin torpediert Russlands Beitritt zur Handelsorganisation. Auf kurze Sicht ist das verständlich, langfristig schadet das vor allem dem Land selbst.

Alexander Hagelüken

Manchmal hilft ein kleines Quiz, um einer Sache auf den Grund zu kommen. Wer ist kein Mitglied der Welthandelsorganisation? Die Liste der Abtrünnigen ist so kurz wie schillernd. Es finden sich darauf unter anderem der Iran und Nordkorea, São Tomé, Samoa - und Russland. Diese Kollektion aktueller Schurkenstaaten und vergessener Eilande zeigt, was Russlands Abstinenz von der WTO ist: alles andere als normal.

Wladimir Putin blockiert den Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation. Damit schadet sich das Land vor allem selbst. (Foto: Foto: AP)

Mit ihren 153 Mitgliedern hat sich die Welthandelsorganisation längst zu einer Organisation entwickelt, die die wirtschaftlichen Geschicke des Globus lenkt.

Russland als größter Staat der Erde, als großer Energielieferant und wichtige Macht in Europa gehört normalerweise dazu. Und das Land verhandelt ja auch seit 1993 über einen Beitritt. Nun aber will Russlands immer noch starker Mann Wladimir Putin das Unnormale offenbar zur Normalität erheben.

Seine Unterhändler blockieren den Beitritt, und der Premier selbst blockiert die Verhandlungen durch eine absurde Bedingung: Sein Reich werde der WTO nur in einer Zollunion mit Nachbarn wie Weißrussland beitreten - mit Ländern also, die eben jener Putin erst vergangene Woche in einen Handelskrieg verwickelte. Damit zementiert Putin einen Zustand, in der der Welthandelsorganisation Kuba und der Kongo angehören, aber nicht Russland.

Als Russland im Jahr 1993 erstmals um einen WTO-Beitritt buhlte, war gerade die Sowjetunion zerfallen. Das Riesenreich rang um Fassung, Anerkennung und ökonomische Kraft. Eine Aufnahme in den Handelsclub mit seinen marktwirtschaftlichen Regeln versprach langfristig ein höheres Wirtschaftswachstum. Inzwischen ist vieles anders: Öl und Gas haben das Land und manche seiner Bewohner reich gemacht. Russland ist wieder zu einer Art Weltmacht aufgestiegen. Im Kalten Krieg demonstrierte Moskau seine Macht mit Mittelstreckenraketen und Atom-U-Booten, zwei Jahrzehnte sichert Moskau seinen Einfluss mit den Ressourcen des Landes, mit Öl und Gas.

Nach einem WTO-Beitritt könnte der Kreml schwerer verhindern, dass Energie aus Zentralasien über das eigene Territorium nach Europa gelangt - und er könnte die russischen Öl- und Gaslieferungen schwerer stoppen. Mit anderen Worten: Russland würde Macht und Einfluss auf die Nachbarn im Westen und Süden verlieren. Und die Regierung in Moskau könnte der EU, die ein Viertel ihrer Energie aus Russland bezieht, weniger die Preise diktieren. Das ist der wahre Grund für Putins Zögern.

Die russische Kehrtwende trifft die Welthandelsorganisation in einem Moment, der schlechter kaum sein könnte. Die Wirtschaftskrise verleitet immer mehr Regierungen, ausländische Firmen zu diskriminieren, um heimische Hersteller zu schützen - obwohl dieser Protektionismus die Krise noch verschärft. Gleichzeitig sind die WTO-Mitglieder im Streit um ein neues Handelsabkommen erstarrt, das durch niedrigere Zölle die globale Konjunktur ankurbeln würde. In dieser Lage schwächt es die Organisation, wenn sich das größte Land der Erde demonstrativ abwendet. Als Mitglied der Welthandelsorganisation wäre Russland stabiler, moderner und für den Rest der Welt berechenbarer, schon allein durch die WTO-Regeln. Umso größer ist der Schaden für alle Nationen.

Besonders groß aber ist der Schaden für Russland selbst. Ein Beitritt würde das Land zu einer Modernisierung zwingen, die die Unternehmen unter Wettbewerbsdruck setzt und den Wohlstand der Bevölkerung steigert - wie sich in China gezeigt hat, diesem anderen undemokratischen Riesen. Auf mittlere Sicht rechnet die Weltbank mit wirtschaftlichen Vorteilen von 20 Milliarden Dollar jährlich. Russland müsste sich nicht mehr auf seine endlichen Ressourcen Öl und Gas fixieren, die dem Land eine ungesunde Struktur geben.

Wenn Putin diese Strukturen konserviert, macht er sich schuldig an Russlands Abstieg. Bleibt zu hoffen, dass sich der rivalisierende Präsident Dmitrij Medwedjew durchsetzt, der das Land offenbar auf einem Kurs in Richtung Westen halten will.

© SZ vom 16.06.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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