Russische Milliardäre auf Einkaufstour:Die große Angst vor den Schattenmännern

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Von EADS bis Escada: Russische Konzerne und Milliardäre kaufen sich in Deutschland ein. Viele sehen das mit Sorgen - Fachleute sagen dagegen, die Partnerschaft zahle sich für alle aus.

Karl-Heinz Büschemann und Caspar Busse

Der Aufsichtsrat tagte am Mittwoch dieser Woche in München. Der russische Multimillionär und Escada-Großaktionär Rustam Aksenenko, 33, hatte die außerordentliche Sitzung einberufen lassen. Auf der Tagesordnung standen eine brisante Personalie: Escada-Chef Frank Rheinboldt musste wegen unterschiedlicher Auffassungen über die künftige Strategie und Geschäftspolitik gehen.

Aksenenko, der mehr als 25 Prozent der Aktien hält, geht der Umbau von Escada nicht schnell genug. Er demontierte Rheinboldt gezielt und installierte jetzt einen Vertrauten, den Franzosen Jean-Marc Loubier, als neuen Konzernchef.

Der Fall Escada wirft ein spektakuläres Schlaglicht darauf, wie sich russische Investoren immer stärker bei deutschen Unternehmen engagieren. Auch im strategisch sensiblen Energiebereich spielen sie bereits eine Rolle. So betreibt der russische Energiekonzern Gazprom gemeinsam mit der BASF-Tochter Wintershall die deutsche Gashandelsfirma Wingas.

Erst kürzlich baute der Geschäftsmann Oleg Deripaska seinen Anteil am Essener Baukonzern Hochtief von drei auf knapp zehn Prozent aus - für 390 Millionen Euro. Zuvor hatte sich der 39-Jährige beim kanadischen Autozulieferer Magna eingekauft sowie beim österreichischen Baukonzern Strabag.

Großes Aufsehen erregte, als sich 2005 die staatliche russische Bank JSC VTB eine Beteiligung von fünf Prozent an dem europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen EADS kaufte, das auch den Airbus und Militärflugzeuge baut. An einem Einstieg bei der Deutschen Telekom zeigt der russische Mischkonzern Sistema, der von Ex-Telekom-Chef Ron Sommer beraten wird, immer wieder sein Interesse.

"Machtpolitischer Angriff einer russischen Clique"

Auch kleine Unternehmen sind zunehmend im Fokus russischer Investoren. Der Kosmetikkonzern Kalina aus Jekaterinburg kaufte sich in die schwäbische Dr. Scheller AG ein. Die russische Atlas Connection hält heute die Mehrheit an dem Landmaschinenhersteller Franz Kleine in Westfalen. Die staatliche Vnestorg-Bank (VTB) übernahm die Frankfurter Ost-West-Handelsbank. Auch der Berliner Tanklagerbetreiber Tabeg ist inzwischen in russischer Hand.

Oft allerdings sorgt das russische Interesse an deutschen Firmen für große Unruhe. Vor allem wurde das deutlich, als sich Sistema im Herbst 2006 an der Deutschen Telekom beteiligen wollte. Da beklagten sich Telekom-Aufsichtsräte über den "machtpolitisch motivierten Angriff einer russischen Clique". Von "Industrieimperialismus" war die Rede.

Fachleute aus der Wirtschaft halten diese Sorgen vor den Russen für unberechtigt und übertrieben. "Investitionen russischer Firmen in Deutschland sind auch in unserem Interesse", sagt Alexander Dibelius von der Investmentbank Goldman Sachs.

"Wir brauchen die Zusammenarbeit"

Einer der Gründe dafür sei der deutsche Rohstoffbedarf. Je mehr sich Russland in Deutschland engagiere, desto sicherer sei die zukünftige Versorgung des Landes mit Grundstoffen oder Energie. "Wir brauchen die Zusammenarbeit," sagte Dibelius. Allerdings, so der erfahrene Investmentbanker, sei die russische Wirtschaft für ausländische Investitionen weniger offen als die deutsche. Die Deutschen profitieren nach seiner Meinung trotzdem: "Wegen des großen und wachsenden russischen Absatzmarktes."

Doch im Westen bestehen die Vorurteile weiter. So sollen die amerikanischen Behörden Deripaska sein im Jahr 2005 ausgestelltes Visum annulliert haben. Angeblich hat Deripaska der FBI-Unterabteilung für organisiertes Verbrechen unzureichende Auskunft gegeben. Als in der vergangenen Woche das Gerücht umging, der russische Staatskonzern Gazprom wolle bei dem Essener Kohlekonzern RAG einsteigen, waren die Politiker in Berlin alarmiert. Es hagelte Vorwürfe gegen den RAG-Chef.

Das Misstrauen ist gegenseitig

Das Misstrauen ist gegenseitig. Auch die Russen zeigen sich gelegentlich sperrig, wenn es um ausländische Investitionen geht. Nicht jeder Euro oder Dollar ist ihnen willkommen.

Vor einem halben Jahr schreckte Moskau die internationale Energieindustrie auf. Der Kreml hatte überraschend die Konzerne Shell, Mitsui und Mitsubishi gezwungen, ihre Anteile an dem weltweit größten Gas- und Ölfeld bei der im Nordpazifik liegenden russischen Insel Sachalin zu reduzieren und dem staatlichen Gaskonzern Gazprom die Mehrheit zu überlassen.

Zwar bekamen die drei Konzerne für ihre Aktien etwa 7,45 Milliarden Dollar. Doch Fachleute behaupten, die unter Druck verkauften Beteiligungen wären zu Marktbedingungen zweieinhalb Milliarden Dollar mehr wert gewesen.

Sperrige Russen

Anfang dieses Jahres sorgten die Russen für Verunsicherung im Ausland, weil sie die Beteiligung ausländischer Investoren an russischen Firmen in rund 40 Wirtschaftsbereichen, die für das Land strategische Sicherheitsbedeutung haben, von Genehmigungen durch die Regierung abhängig machen wollen.

Deutsche Unternehmen sind trotzdem an Geschäften mit Russland interessiert. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, der von den Spitzenverbänden der Wirtschaft getragen wird und sich um die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen kümmert, hält die Flagge des freien Handels mit Russland hoch.

"Die deutsche Wirtschaft hat großes Interesse daran, die strategische Partnerschaft mit Russland weiter auszubauen", heißt es in einem Positionspapier. Die deutsche Wirtschaft begrüße "das zunehmende Interesse russischer Firmen am deutschen Markt."

Auch im Westen nicht immer nach Vorschrift

Von Sorge über den Aufkauf der deutschen Wirtschaft durch russische Unternehmen, die möglicherweise vom Kreml oder zwielichtigen Oligarchen gesteuert sind, ist beim Ostausschuss nichts zu spüren. Nach dessen Schätzungen belaufen sich die russischen Investitionen in Deutschland bisher auf etwa 2,5 Milliarden Euro. Die Deutschen dagegen haben nach Aussagen von Fachleuten bereits etwa sechs Milliarden Euro in Russland investiert.

Vorfälle wie bei Escada werden nicht gerade für neues Vertrauen in die gelegentlich als unheimlich geltenden russischen Investoren sorgen. Der scheidende Escada-Chef Rheinboldt hatte den Streit mit dem russischen Großaktionär schon für beendet erklärt - doch dann holte Aksenenko überraschend auf der Hauptversammlung zum Gegenschlag aus und entschied den Machtkampf für sich. Die Ostexperten der Wirtschaft spielen solche Vorgänge herunter: Auch in westlichen Unternehmen gehe es nicht immer so zu, wie es Lehrbücher vorschreiben.

© SZ vom 01.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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