Riesenrad-Tourismus:In neuen Sphären

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Seit kurzem dreht sich in Singapur das höchste Riesenrad der Welt. Die deutschen Macher dahinter denken bereits in ganz anderen Sphären: Mit etlichen weiteren Riesenrad-Projekten wollen sie den Tourismus neu definieren.

Paul Katzenberger

Florian Bollen will hoch hinaus und so orientiert er sich an niemand Geringerem als an Johann Wolfgang von Goethe. Der größte Dichter des Landes sei immer auf den höchsten Turm gestiegen, ehe er ein Gedicht über eine Stadt schrieb, sagt der 43-Jährige.

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:Das größte Riesenrad der Welt in Singapur

Der Riese auf Schnupperfahrt: In Singapur steht das größte Riesenrad der Welt. Die ersten Gäste durften schon Probe fahren - für 4300 Euro pro Runde.

Ein feinsinniger Dichter ist Bollen zwar nicht, doch die schiere Höhe hat es ihm angetan: Er baut inzwischen gigantische Aussichtsplattformen - Riesenräder der Superlative. Die Geschäftsidee dafür bekam der frühere Internetpionier und Filmproduzent in London, wo er die Eröffnung des 135 Meter hohen "London Eye" an der Themse Silvester 1999 miterlebte.

Als damals höchstes Riesenrad der Welt erlaubte das "London Eye" eine völlig neue Aussicht: Bei gutem Wetter war selbst das 40 Kilometer entfernte Schloss Windsor zu sehen.

Rechte gesichert

Bollen war von dem Konzept überzeugt und gründete die Firma Great Wheel Corporation (GWC), die sich die Rechte an der Technik des Riesenrades in London sicherte. Betrieben wird das "London Eye" weiterhin von der Tussauds Group, bekannt durch das gleichnamige Wachsfigurenkabinett.

Mit der Londoner Technik im Gepäck machte sich GWC daran, ein eigenes Riesenrad zu entwickeln. Anfang März war Bollen am Ziel: Seither dreht sich in Singapur das höchste Riesenrad der Welt - der 168 Meter hohe "Singapore Flyer".

Der "Singapore Flyer" soll das "London Eye" aber nicht nur bezüglich der Höhe, sondern auch in puncto Wirtschaftlichkeit übertreffen: Können die Besucher in beispielsweise London immer nur auf einer Seite in die Kabinen ein- und aussteigen, so ist dies in Singapur an beiden Enden der Kabine möglich.

Die Gondeln sind so groß wie kleine Busse: 28 Passagiere passen in jede der 16 Tonnen schweren klimatisierten Kapseln, 28 Kapseln hängen am Riesenrad.

Genaue Einstiegszeit

Wartezeiten von ein bis zwei Stunden wie in London sollen in Singapur vermieden werden. Zudem werden die Tickets in Singapur mit einer genauen Einstiegszeit ausgegeben. "Bei uns warten die Leute in der Regel eine viertel Stunde, wir haben das ganz gut im Griff", sagt Bollen.

Entsprechend groß ist die Kapazität des "Singapore Flyer": Während das "London Eye" maximal vier Millionen Menschen pro Jahr besuchen können, erlaubt der "Singapore Flyer" jährlich zehn Millionen Besuchern eine Fahrt.

Die Zeit bis zur Fahrt können sich die Besucher in Singapur in Geschäften und Restaurants vertreiben, denn am Fuße des Riesenrades hat GWC einen ganzen Vergnügungspark geschaffen: "Unsere Gäste können hier einkaufen, in Restaurants essen und es gibt sogar ein griechisches Amphitheater und einen Regenwald", schwärmt der Riesenrad-Unternehmer.

Alle bisherigen Rekorde brechen

Doch GWC will noch viel höher hinaus. So soll 2009 ein Riesenrad in Peking in Betrieb gehen, das alle bisherigen Rekorde bricht: "Mit einer Höhe von 208 Metern wird das "Great Bejing Wheel" bis zu 18 Millionen Besucher pro Jahr befördern können", kündigt Bollen an.

Weitere Projekte sind für 2010 geplant, wenn in Berlin und im amerikanischen Orlando jeweils Räder mit einer Höhe von 185 beziehungsweise 120 Metern eröffnen sollen. Angesichts dieser Konstruktionen legt Bollen Wert auf semantische Feinheiten: "Das sind keine Riesenräder, wir nennen es Aussichtsrad", betont er.

Das Know-How von GWC liegt dabei in der Entwicklung der Aussichtsräder, der Standorte sowie der Baubetreuung. So vergab GWC in Singapur den Bauauftrag beispielsweise an die japanische Mitsubishi Heavy Industries. Auch den reibunglosen Betrieb der Riesenräder verantworten Bollens Leute. Zwischenfälle wie der Ausfall des Ticketing-Systems beim "London Eye" wollen sie vermeiden.

Große Räder in finanzielle Hinsicht

Große Räder dreht die GWC allerdings auch in finanzieller Hinsicht. Denn die drei künftigen Projekte in Peking, Berlin und Orlando werden mit mehr als einer halben Milliarde Euro budgetiert.

Als Financier von GWC agiert dabei die zur ABN-Amro-Gruppe gehörende Privatbank Delbrück Bethmann Maffei über ihre Tochtergesellschaft DBM Fonds Invest (DBMFI). "Über geschlossene Fonds und eine Privatplatzierung haben wir Geld vor allem in Deutschland, Hongkong, Singapur und Dubai eingesammelt, sagt DBMFI-Geschäftsführer Thomas Bone-Winkel.

Am "Singapur Flyer Fonds" hätten sich die Investoren in Höhe von 52 Millionen Euro beteiligt. Die restlichen 68 Millionen Euro des 120-Millionen-Euro-Projekts seien über einen Kredit der Hypo Vereinsbank Asien aufgebracht worden.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Anleger in Riesenräder investieren.

Die Anleger werden mit hohen Renditen gelockt: "Im 'Singapur Flyer Fonds' haben wir im Prospekt Zusagen für Renditen von mindestens zehn Prozent", betont Bone-Winkel mit Stolz.

Will hoch hinaus: Aussichtsrad-Pionier Florian Bollen. (Foto: Foto: Great Wheel Corporation)

Um den Renditehunger der Investoren zu stillen, darf der erhoffte Andrang der Besucher nicht ausbleiben. Der Singapore Flyer hat zwar eine Kapazität von zehn Millionen Besuchern pro Jahr, doch die Riesenrad-Betreiber kalkulieren vorsichtig mit 2,8 Millionen zahlenden Gästen. Diese berappen im Durchschnitt 14,75 Euro für die knapp 40-minütige Fahrt. Weitere Umsätze generiert GWC durch "Corporate Bookings", bei denen Firmen für Gäste und Kunden die Gondel buchen. Hinzu kommen Merchandising-Umsätze , wenn die Besucher beispielsweise Fotos ihrer Fahrt kaufen. Die Gesamteinnahmen für 2008 kalkulieren die Betreiber mit 37 Mio Euro.

Kredit möglichst schnell tilgen

Die Einnahmen dienen vor allem dazu, neben den Betriebskosten und den Dividendenausschüttungen an die Investoren auch den Kredit der HypoVereinsbank möglichst schnell zu tilgen.

Wenig Geld bleibt in den ersten Jahren hingegen den Betreibern: "Ein großer Teil der übrig bleibenden Einnahmen werden auf ein Sperrkonto überwiesen, an das die 'Great Wheel Corporation' zunächst nicht herankommt", sagt Bone-Winkel.

Nach sechs Jahren hat der Betreiber dann allerdings die Option, den Eigentümern das Rad vollständig abzukaufen. "Wir wollen den 'Singapore Flyer' natürlich so früh wie möglich zurückkaufen", sagt Bollen dazu. "Ein Teil des Kaufpreises kann aus dem Sperrkonto aufgebracht werden. Für den Rest müssen wir einen Kredit aufnehmen."

Billig wird der Rückkauf für die GWC in jedem Fall nicht: Die Investoren sollen laut Prospekt das Zweifache ihres Einsatzes zurückerhalten.

Risiken streuen

Für die neuen Projekte in Peking, Berlin und Orlando hat die DBM Fonds Invest den "Global View Fund" aufgelegt. "Darin streuen wir nun die Risiken für die Investoren, da die Einlagen in alle drei Unternehmungen gesteckt werden", betont Bone-Winkel.

Eingesammelt habe der inzwischen geschlossene Fonds 208 Millionen Euro, die auf die Projekte in Peking (budgetiert auf 250 Millionen Euro), Orlando (150 Millionen) und Berlin (150 Millionen) aufgeteilt würden. Der Rest werde wieder kreditfinanziert.

Aus Sicht der Investoren war der "Global View Fund" bislang allerdings eine Enttäuschung. Denn das Riesenrad in Peking sollte bereits zu den Olympischen Spielen im Jahr 2008 fertig sein. Nun kann das Projekt erst 2009 realisiert werden.

"Das ist eine glatte Verspätung von einem Jahr", räumt Bone-Winkel ein. Die Investoren müssten daher auf ihre ersten Dividenden warten. Allerdings sei die Höhe der Ausschüttung nun erhöht worden. "Am Schluss sollen sie die versprochene Rendite von mindestens zehn Prozent pro Jahr bekommen, als ob es die Verspätung nicht gegeben hätte", verspricht der Fondsmanager. Schließlich stünde die Rendite im Prospekt und Delbrück Bethmann Maffei habe einen guten Namen zu verlieren.

Börsengang geplant

In Zukunft sollen die Investoren dem Risiko allerdings noch wesentlich stärker ausgesetzt sein, nämlich als Aktionäre. Die weiteren geplanten Standorte in Las Vegas, Dubai, Tsingtao, Mumbai und Delhi sollen bis 2012 zwar noch über Fonds finanziert werden. "Danach wird das den GWC-Managern wegen der hohen Renditen für die Investoren aber zu teuer werden", meint Bone-Winkel. Aktionäre seien eben schon mit einer sehr viel niedrigeren Dividende glücklich.

Bei dem angedachten Börsengang der Great Wheel Corporation will DBM Fonds Invest weiter beratend zur Seite stehen. Die weiteren Pläne wachsen dabei sprichwörtlich in den Himmel. Denn die Riesenräder sollen in Zukunft eine weit wichtigere Funktion erfüllen als nur eine reine Aussichtsplattform zu sein.

Vielmehr möchten sie die Riesenradentwickler zum zentralen Anlaufpunkt für Ortsfremde machen: "Wir wollen neue Identifikationspunkte schaffen wie die Statue of Liberty in New York oder den Eiffelturm in Paris. Die Menschen tendierte dazu, sich in einem neuen Ort erst einmal einen Überblick zu verschaffen", sagt Bollen.

Neugierde weiter nutzen

Ist die Fahrt erst einmal absolviert, will GWC die geweckte Neugierde für den besuchten Ort weiter für sich nutzen. In Singapur sind die Eintrittskarten mit moderner Radiofrequenztechnik ausgestattet - so können die Besucher des "Singapore Flyer" gleich auch eine Eintrittskarte für den Großen Preis von Singapur im September mitbezahlen. Auch die traditionelle Chingay-Parade zu Beginn des chinesischen Mondjahres gehört zum Angebotsspektrum der Riesenradbetreiber.

Begünstigt würden die Projekte durch die hohen Wachstumszahlen im Tourismus vor allem in Asien, meint Bone-Winkel: "China hat heute eine Mobilität wie die USA 1918, da ist noch viel aufzuholen."

Bei allem Optimismus müssen die Aussichtsrad-Pioniere allerdings mit vielen Stolpersteinen rechnen: In Peking war es die chinesische Bürokratie, die den Spatenstich um ein ganzes Jahr verzögerte. In Berlin wehrt sich der Tierschutzverein gegen das Projekt, weil die Beleuchtung des Rades den Tag-Nacht-Rhythmus der Nashörner im nahe gelegenen Zoo stören könnte. Zudem strengt die Technische Universität Berlin derzeit ein Verfahren gegen den Bebauungsplan an, weil sie den Platz, auf dem das Riesenrad stehen soll, für ihre Expansionspläne beansprucht. Und in Orlando beschränkten sich die GWC-Macher gleich freiwillig auf die für ihre Verhältnisse moderate Höhe von 120 Metern, um jeden Ärger mit der US-Luftaufsichtsbehörde FAA zu vermeiden.

Laufende Einnahmen von essenzieller Bedeutung

Kommt es zu Verzögerungen, kann das die Finanzpläne der DBM Fonds empfindlich durcheinander wirbeln. Schließlich basieren die Planungen auf den laufenden Einnahmen aus dem Betrieb der Räder. Bleiben diese weg, muss den Investoren wie bei dem Projekt in Peking erst mühsam erklärt werden, dass es vorerst keine Renditen geben wird.

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